Siemens fährt Heu ein

Die Versorgung des Reaktors in Garching ist gesichert. Rußland liefert bombentaugliches Uran

Die Bauarbeiten am Forschungsreaktor München II (FRM II) laufen seit September 1996 auf vollen Touren und auch für die Zukunft kündigen sich keine Schwierigkeiten für den ersten deutschen Reaktorneubau nach dem Super-Gau in Tschernobyl an. Nachdem die juristischen Hindernisse auf dem Weg zur Verwirklichung des FRM II mittlerweile aus dem Weg geräumt sind - die Klage der Landeshauptstadt München gegen die erste Teilgenehmigung wurde vergangene Woche auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen -, konnte inzwischen auch ein zweites Problem im Sinne der Reaktorbetreiber gelöst werden: Die Frage, woher der Brennstoff für den Reaktor kommen soll. Seit Anfang März ist klar: Der Stoff kommt aus Rußland.

Der Garchinger Reaktor soll mit hochangereichertem Uran-235 (Heu, "highly enriched uranium") betrieben werden - ein Stoff, der zur Herstellung von Atombomben geeignet ist und dessen weltweite Verbreitung deshalb auf Initiative der USA eingedämmt werden soll. Bereits 1978 startete die Carter-Administration ein internationales Programm zur Reduktion der Anreicherung in Forschungs- und Testreaktoren (RERTR-Programm). Ziel: Alle Heu-betriebenen Forschungsreaktoren auf weniger angereichertes Uran (Leu, "low enriched uranium") umrüsten. Bislang haben lediglich China und Libyen das Programm durchbrochen, mit dem Bau des FRM II setzt sich nun auch Nato-Partner Deutschland über die US-Initiative hinweg. Kein Wunder, daß das Garchinger Projekt zu diplomatischen Verstimmungen führte.

Die USA kündigten prompt an, daß von ihrer Seite kein Heu nach München geliefert werden würde. Da die Euratom-Versorgungsagentur ESA der Europäischen Union die Versorgung mit Heu nur für einen Zeitraum von zehn Jahren garantieren kann, mußte man sich nach einem anderen Lieferanten umschauen. Bei ihrer Suche erhielten TU und Siemens tatkräftige Unterstützung durch die ESA. Kein Wunder: Sitzt mit Michael Goppel doch ein ausgewiesener FRM II-Freund auf dem Chefsessel der Versorgungsagentur. Goppel ist Bruder des bayerischen Umweltministers Thomas Goppel, dessen Ministerium für die atomrechtliche Genehmigung des Forschungsreaktors zuständig ist.

Bereits im vergangenen Dezember bestätigte die Europäischen Kommission in ihrer Antwort auf eine Anfrage der grünen Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer, daß ein Konzept für die Lieferung von hochangereichertem Uran an Mitgliedsstaaten der EU entwickelt werde. Anfang März ließ der stellvertretende russische Regierungssprecher Alexander Wosnesenskij die Katze aus dem Sack: In Kürze werde ein Regierungsabkommen zwischen Rußland und Deutschland unterzeichnet, das die Lieferung von 1200 Kilogramm Uran-235 für den Betrieb des FRM II ab dem elften Betriebsjahr vorsehe, kündigte Wosnesenskij an. Daß das Abkommen zustande kommt, ist durchaus überraschend. Auf Druck der USA waren frühere Verhandlungen zwischen Deutschland und Rußland geplatzt.

Eine zentrale Stelle in dem Heu-Deal soll die Frankfurter Firma Internexco Handels GmbH einnehmen, die zu 51 Prozent der Moskauer Firma Techsnabexport und zu 49 Prozent der Frankfurter Urangesellschaft mbH gehört. Deren Haupteigentümer ist der deutsche Ableger der französischen Wiederaufbereitungsfirma Cogema Deutschland. Bei Cogema kennt man sich aus mit Bombenstoff: Der halbstaatliche Konzern, der zum Teil eng mit Siemens zusammenarbeitet, ist verantwortlich für die Produktion von Spaltmaterial für die französischen Atombomben.

Internexco versucht seit ihrer Gründung 1989 Produkte und Dienstleistungen aus dem russischen Kernbrennstoff-Kreislauf auf dem europäischen Markt unterzubringen. Mit dem Heu-Abkommen zwischen Deutschland und Rußland dürfte ein großer Schritt in diese Richtung geschafft sein.

Die zukünftigen Betreiber des FRM II, die stets den wissenschaftlichen Nutzen des Atomprojekts hervorheben, weisen Vorwürfe, durch die Verwendung von Heu würden internationale Vereinbarungen unterlaufen und der Verbreitung von atomwaffenfähigem Material Vorschub geleistet, weit von sich. TU-Präsident Wolfgang Hermann sieht sich im Gegenteil als Wohltäter und Friedensstifter: "Jedes Gramm hochangereichertes Uran, das wir auf diesem Wege dem Kernwaffenkreislauf entziehen, ist ein Gramm Uran für den Frieden", ließ er unlängst von der Pressestelle der TU verbreiten.

Die Verwirklichung des FRM II in Garching leistet jedoch nicht nur der weltweiten Verbreitung von Heu Vorschub, sondern wird wohl auch der gewinnbringenden Verbreitung von mit Heu betriebenen Forschungsreaktoren dienen - womit das Projekt in doppeltem Sinne das RERTR-Programm der USA unterläuft. Mittlerweile schickt sich der Konstrukteur, Mitantragsteller und Generalunternehmer des FRM II, der Siemens-Konzern, an, zusammen mit der englischen Firma British Nuclear Fuels (BNFL), Heu-Reaktoren auch weltweit zu vermarkten. In einer gemeinsamen Presseerklärung von Siemens und BNFL heißt es: "Das angestrebte neue Unternehmen würde dem Weltmarkt ein breites Tätigkeitsspektrum von der Uran-Beschaffung über die Brennelementeversorgung für eine große Bandbreite von Reaktortypen und einen umfassenden Nuklearservice bis zum Bau von neuen Kernkraftwerken und Forschungsreaktoren anbieten."