Ahmad Saif und Farid Zahran ehemalige Studentenführer

»Als die Unruhen einsetzten, war die Avantgarde weg«

Die Rolle der Studenten während der 68er-Unruhen bleibt umstritten. Einige frühere Studentenführer behaupten, die Demonstrationen der Sozialistischen Jugendorganisation (SJO) seien von Nasser initiiert worden. Publizisten wie Ahmad Abdalla hingegen sagen, es habe sich bei den 68ern um eine autonome Protestbewegung gehandelt. Welchen Standpunkt teilen Sie?

Saif: Ich würde eher Abdalla zustimmen - Nasser war ja nicht Vorsitzender der Jugendorganisation. Aber das Regime war nach 1967 bemüht, die Organisation zu kontrollieren. Außerdem glaubten die Jugendlichen, unabhängig zu handeln, so daß sich ein Teil von ihnen für nasseristische Errungenschaften einsetzte. Auch wurden die Aufstände nicht allein von Studenten, sondern auch von Teilen der Zivilbevölkerung getragen. So gesehen war die Bewegung unabhängig.

Zahran: Zunächst sollte man das drei Abschnitten zuordnen: 1967 bis 1972, 1972 bis 1973 und 1973 bis 1977. Nach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg reagierten die Jugendlichen emotional, es gab unterschiedliche Standpunkte: Studenten, die gegen die Armeeführung und den Staatschef protestierten und Personen wie Abdel Shater und Abdel Hassan, die die Studierenden für das Regime funktionalisieren wollten, was auch Nasser versucht hat. Das wird daraus ersichtlich, daß die Bewegung kaum unterdrückt wurde, nur 30 Studenten mußten vorzeitig ihren Militärdienst absolvieren. Erst 1972/73 konnten sich die Studenten von der Instrumentalisierung befreien, ein Generationswechsel und ein neuer politischer Zeitgeist setzten ein. Von 1973 bis 1977 befanden sich die Studierenden in Bewegung: Sie bauten feste Beziehungen zu den Kommunisten auf, setzten ihre politische Arbeit fort und veränderten ihre universitätsinterne Ausrichtung zugunsten der sozialen Ziele der Kommunisten.

Welche politischen Inhalte nahmen bei der 72er-Bewegung einen größeren Stellenwert ein - Demokratisierung und individuelle Freiheitsrechte oder Nationalismus und der politische Umgang mit Israel?

Saif: Das läßt sich so nicht trennen. Unser damals verfaßtes "Januardokument" enthält drei Schwerpunkte. Wir kritisierten die ägyptische Verfassung als Papiertiger und forderten vom Staat eine tatsächliche Gewährleistung der Grundrechte. Zudem lehnten wir den sozialistischen Zentralismus als politisches Ordnungsprinzip ab. Der zweite Teil des Papiers behandelte die Frage einer politischen Lösung mit Israel, um den Sinai wiederzubekommen. Auch ging es um soziale Probleme. Die Studentenbewegung war nicht nur nationalistisch.

Wie war es möglich, daß nach den 72er-Unruhen in kurzer Zeit die Macht an den Unis an die Islamisten überging? War die Spaltung der Studierenden in den "Klub des sozialistischen Denkens" und den "Klub des nasseristischen Denkens" dafür der Hauptgrund?

Zahran: Die Kader der Nasseristen haben sich uns nicht angeschlossen. Aber viele nasseristische Jugendliche haben mit uns zusammengearbeitet, auch wenn sie kaum Einfluß hatten. Nur die Islamisten waren nicht beteiligt. Die Gama'at haben mit der Sadat-Regierung kollaboriert, die sie finanzierte und benutzte. Das war der Hauptgrund, weshalb Nasseristen und Sozialisten ihre Stellung verloren.

Saif: Der Machtverlust der Linken hat auch mit den Unruhen von 1977 zu tun. Die Bevölkerung ging gegen Subventionsstreichungen auf die Straße und vertraute der Linken. Die war aber nicht in der Lage, Lösungen aufzuzeigen, geschweige denn den Aufstand zu organisieren. Als die Unruhen einsetzten, war die Avantgarde verschwunden.