Schlingensief-Spaltung

Chance 2000? Chance 4000!

"Frau Riefenstahl, Sie miefen schal / Herr Schlingensief, Sie singen schief." Diesen Zweizeiler, den mein Bruder, es ist Jahre her, in die Welt gestemmt hat, konnte auf besonders frivole Weise bestätigt finden, wer die Ereignisse um den Schlingensiefschen Wahl-Zirkus verfolgt hat. Einmal mehr erweist sich Christoph Schlingensief als der unsichere Kantonist, der er stets vorgibt zu sein. Mit großem Hallo eine Partei zu gründen, die sich als Sammelbecken und Sprachrohr aller Marginalisierten begreift, ging zwar gerade eben noch in Ordnung. Aber wenn's an den Org-Kram geht, der obzwar lästig so doch unvermeidlich ist: Wenn man eine wie auch immer utopische Perspektive nicht zugunsten des sattsam bekannten selbstreferentiellen Klamauks aufs Spiel setzt; wenn man sich gar tatsächlich dem parlamentarischen Spießrutenlauf aussetzen und dazu zunächt einmal "Wahlkreiskandidaten" aufstellen will - dann ist mit Schlingensief nicht nur kein Staat zu machen, sondern nicht einmal einer abzuschaffen.

Insofern war die Spaltung der Schlingensief-Partei unmittelbar nach ihrer Gründung nicht nur vorhersehbar, sondern notwendig und konsequent. Neben der aus dem Verein "Chance 2000" hervorgegangenen und inzwischen ordentlich konstituierten "Partei der Letzten Chance" (PLC) existiert also jetzt eine weitere Partei, die bis auf weiteres, und um die Verwirrung hintanzuhalten, schlicht "Schlingensief-Partei" zu nennen sein wird.

Dabei handelt es sich keineswegs, wie der kommissarische Zeremonienmeister der PLC, Dietrich Kuhlbrodt, beim ersten gemeinsamen Auftreten der beiden Fraktionen am vergangenen Samstag erläuterte, um eine Spaltung im klassischen Sinne, vielmehr habe man es mit einer "Verdoppelung" zu tun, von der beide Parteien nur profitieren könnten, vergleichbar der Zellteilung im Organismus. Um Zellen geht es ja sowieso, genauer um die einzelne Zelle, den Einzeller, Quatsch!, den einzelnen, der als autonomes Subjekt ermutigt wieder in das "System" Politik eingespeist werden soll, woraus ihn die Bösen zuvor vertrieben hatten.

Es böte sich also noch erheblicher Spielraum für eine weitere Atomisierung der Partei, bis sich die Zahl der Parteien der der vormaligen Mitglieder angleicht. Mit dem Parteiprogramm wäre das ohne weiteres vereinbar, lediglich das Vereinsrecht spielt da nicht mit. So müssen wir uns also damit bescheiden, daß weiterhin jeder einzelne zwar "sein eigenes Volk" (Schlingensief) ist, es aber weiterhin nur zwei wahre Volksparteien gibt, von denen eine (Schlingensief-Partei) gar nicht erst versucht, vernünftig und mit Anstand zu scheitern, während die andere (PLC) auf den besten Weg gebracht ist, ein Scheitern de luxe hinzulegen, wie es einst als vorbildlich für utopistisches Hasardeurtum gelten wird. Das ebenfalls am Samstag verabschiedete Parteiprogramm der PLC, weitgehend von der dünnen Ironie gesäubert, darf mit Fug und Recht als Lehrbeispiel an Donquichotterie erachtet werden und läßt noch einiges erwarten, wenn nicht gar hoffen.

Aus der Präambel: "Auch den Arbeitslosen und sonstwie ausgegrenzten Menschen wieder zum Menschenrecht der Würde zu verhelfen, wird zur Folge haben, dem ganzen Volk wieder die strukturelle Gewalt zurückzugeben, die ihm das Grundgesetz unverbrüchlich verliehen hat."

Am 1. April findet im Berliner Prater der Erste Ordentliche Parteitag der Partei der Letzten Chance statt.