Im Schatten der Islamisten

Aufstieg und Zerfall der sozialistischen Studentenbewegung an Ägyptens Universitäten vor dreißig Jahren liegen dicht beieinander

Als im Februar 1968 Tausende Studenten und Arbeiter gegen die politischen Verhältnisse unter Präsident Gamal Abdel Nasser protestierten, war dies ein Warnschuß gegen das technokratische Regime. Anlaß zur Besorgnis bot dieser Aufstand für die Militäroligarchie insofern, als nach mehr als zehn Jahren politischer Teilnahmslosigkeit ausgerechnet die gesellschaftlichen Kräfte, die Nasser als "Pioniere der Zukunft" und "Führer der Revolution von morgen" gepriesen hatten, sich nun vereint gegen staatliche Bevormundung zur Wehr setzten.

Obwohl sich die Demonstrationen gegen das autoritäre System richteten, waren die 68er-Unruhen in erster Linie nationalistisch: Ihr Auslöser resultierte aus als zu milde angesehenen Urteilen gegen Offiziere, die für die militärische Niederlage Ägyptens im Sechs-Tage-Krieg verantwortlich gemacht wurden. Hatte ein Jahr zuvor das Fiasko der ägyptischen Armee die jüngere Generation der Nasseristen an den Unis paralysiert, ergriff die Jugendorganisation der Staatspartei "Arabisch Sozialistische Union" (ASU) nach den Urteilen die Initiative. Die nasseristischen Studenten trugen ihren Unmut auf die Straße, sprachen Nasser jedoch von jeglicher Kriegsschuld frei. Während sie die Demonstrationen primär als Ventil zur Kompensation der als "nationale Demütigung" empfundenen Niederlage benutzten und den panarabischen Mythos beschworen, verhielt sich die unabhängige Linke an den Universitäten passiv. Erst im weiteren Verlauf der Revolte formulierten auch die unabhängigen Sozialisten die sozialen und politischen Widersprüche der Nasser-Ära.

Der Druck des Aktionsbündnisses veranlaßte Nasser einen Monat nach den Unruhen zu weitreichenden Zugeständnissen: Angekündigt wurde, die Urteile zu revidieren und das "Programm vom 30. März" zu verabschieden. Dieses sah vor, den ASU-Machtapparat zu demokratisieren und künftig auch Zivilisten zu Ministern ernennen zu können. Zum anderen garantierte es die Aufhebung der Zensur studentischer Publikationen, ein Verbot für die Universitätswache, in politische Zusammenhänge der Studenten einzugreifen und die Abschaffung der vom Lehrpersonal kontrollierten Studentenverbände.

Auch wenn Nasser später den Spielraum der unabhängigen sozialistischen Hochschulgruppen wieder einschränkte, waren durch Verbindungen zur Arbeiterschaft und deren Organisationen politische Erfahrungen gewonnen; wegen effektiver Organisationsarbeit gelang es zudem, die lockeren studentischen Subkulturen zusammenzufügen und die passive Mehrheit der Studenten zu mobilisieren. Nicht zuletzt bildeten die studentischen Organisationen einen integralen Bestandteil der damals im Untergrund agierenden kommunistischen Bewegung.

Bis 1972 hatten die sozialistischen Basisgruppen auf dem Campus soviel an politischem Terrain dazugewonnen, daß sie sich an die Spitze der Bewegung setzen konnten. Im gleichen Jahr kam es zu einer neuen Revolte, die die Ausmaße der 68er-Unruhen überstieg. Anlaß waren nicht eingehaltene Versprechen, die der neue Staatschef Anwar al-Sadat in seiner "Nebelrede" gegeben hatte: 1972 sollte zu einem "alles entscheidenden Jahr" gemacht, die ägyptischen Gebiete sollten von Israel wiedererlangt, das autoritäre Klima beseitigt werden. Im Januar hielten 20 000 Studenten unter Führung des Sozialisten Ahmed Abdalla die ägyptische Hauptstadt in Atem, es kam bei Demonstrationen und Blockaden zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Als die Revolte auch Teile der Armee zu erfassen drohte, ließ Sadat die Streitkräfte auf dem Campus einmarschieren und die vermeintlichen studentischen Rädelsführer inhaftieren.

Daß die sozialistische Studentenbewegung bis Mitte der siebziger Jahre dominant blieb, verdankte sie ihrem Image als Trägerin des antikolonialen Befreiungskampfes gegen die britische Mandatsmacht in den dreißiger und vierziger Jahren. Ihre Popularität war auch dem Geschick studentischer Kader geschuldet, die passive Mehrheit der Studenten auf einen antiimperialistischen Konsens einzuschwören. Die Studentenbewegung analysierte, daß Sadats Wirtschaftspolitik Ägypten den herrschenden Mächten auf dem Weltmarkt ausliefern würde. Die Stellung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten sei zugunsten der Herausbildung einer Neureichenschicht, den "fetten Katzen", gefährdet, hieß es in einem ihrer Grundsatzprogramme.

Dennoch waren die sozialistischen Studentengruppen durch ideologische Differenzen gespalten, besonders über den politischen Umgang mit Israel. Zudem war die Bewegung nicht in der Lage, ein Bündnis gegen Sadat aufrechtzuerhalten. Die Anfälligkeit gegen Eingriffe des Regimes zeigte sich schon bald nach den 72er-Unruhen, im Verlauf der Sadatschen "Korrekturrevolution": Um sich der altnasseristischen Clique im monolithischen Herrschaftsapparat und der "unbequemen Linken" zu entledigen, unterstützte Sadat den Aufbau einer islamistischen Bewegung. Auf kurze Sicht schien die Rechnung, Islamisten gegen Sozialisten und Nasseristen auszuspielen, um die Bewegung insgesamt politisch zu neutralisieren, aufzugehen.

Spätestens 1977 hatte die Linke den Zenit ihrer Macht auf dem Campus überschritten. Schon kurz nach ihrer Gründung liefen die islamistischen Hochschulgruppen, die "gama'at islamiya", den Sozialisten den Rang ab. Sie konnten 1978 bei den Wahlen zur Studentenunion erdrutschartige Stimmengewinne verbuchen und stellten an fast allen Fakultäten die Vorsitzenden. Möglich gemacht hatte dies ein Bündnis aus Uni-Verwaltungen mit Vertrauten Sadats: dem späteren Gouverneur von Assiut, Muhammad Isma'il, und dem Regierungsagenten Wa'il Uthman. Diese sponserten islamistische Schlägertrupps zur Einschüchterung der Linken und bewilligten großzügige Mittel für Koranseminare und islamische Sommercamps.

Doch die Geister, die Sadat rief, sollten ihm selbst zum Verhängnis werden: Schon seit seiner Jerusalemreise und dem Camp-David-Abkommen von 1979 kühlten die Beziehungen zu den Gama'at ab. Als die Regierung versuchte, den Islamisten mittels Repression Herr zu werden, bildeten sich vor allem an den oberägyptischen Universitäten aus den Gama'at-Zusammenhängen militante Zellen der Jihad-Organisation. In diesen Hochburgen der Fundamentalisten kam es zum sprunghaften Anstieg gewaltsamer Übergriffe gegen Kopten, unverschleierte Frauen, Säkularisten und Linke. Als 1981 der islamistische Studentenführer der Universität Assiut, Mohammad al-Islambuli, verhaftet und von Sicherheitskräften mißhandelt wurde, reagierte sein Bruder aus der Jihad-Organisation: Zusammen mit seinen Komplizen schmiedete Islambuli ein Mordkomplott gegen den Präsidenten, der kurze Zeit darauf während einer Militärparade erschossen wurde.

Nach nunmehr 20jähriger Vorherrschaft der Islamisten scheint die Linke an den Universitäten noch immer weit von einem Neuanfang entfernt. Zwar hat sich die fundamentalistische Elite mit ihrem Puritanismus bei vielen Studenten diskreditiert, doch gibt dies keinen Anlaß zum Optimismus. Mit ihrer Passivität fördert die neue Studentengeneration den politischen Islam, indem sie ihm kampflos die Arena überläßt. Sozialistische Studentenzirkel haben sich verstärkt der Arbeit in Parteien, zum Beispiel der Tagammu', verschrieben. An eine Zusammenarbeit mit nasseristischen Gruppen ist nicht zu denken, da sich diese anläßlich des Golfkriegs und des Hebron-Attentats in die Arme der Gama'at geworfen haben, um vom Zeitgeist zu profitieren.

Die Chancen stehen eher schlecht, den Islamisten auf dem Campus eine Alternative entgegenzusetzen. Nur ins Lager der Alt-68er und -72er scheint Bewegung gekommen zu sein. Frühere Kader, wie Ahmad Abdalla, Farid Zahran und Ahmad Saif, die auf den Marsch durch die Institutionen verzichtet haben, um als Aktivisten in NGOs tätig zu sein, wollen eine neue und generationsübergreifende politische Initiative ins Leben rufen: Die "Partei der Studentenführer".