Sozialistische Tugenden

Die Partei der Disziplinierten Senioren (PDS) hat Petra Pau einstimmig zur "Miß Mitte" gekürt

Als die Medien Admiral a.D. Elmar Schmähling mit seiner Partei-Flottille auf einen kleinen Schuldenberg auflaufen ließen, machte sich bei der PDS-Basis im Bundestagswahlkreis Mitte/ Prenzlauer Berg das Titanic-Gefühl breit. Der Kölner Kapitän war am letzten Donnerstag von Bord gegangen und zwei Tage lang schien es, als würde der linke Luxusliner geradewegs ins Nichts steuern, die Logistik im Bonner Wahlkampfbüro drohte zusammenzubrechen.

Am Samstag endlich warf die getreue Besatzung das Rettungsboot aus. Befreiter Jubel brandete unter den versammelten Bezirksvertretern auf, als Petra Pau sich als die neue Direktkandidatin der PDS für den Wahlbezirk 249 vorstellte. Zuvor hatte sie sich gegen diese Aufgabe zwar wiederholt gesträubt, aber jetzt, da, so Pau, "die Parteispitze nun mal keinen guten Vorschlag gemacht hatte", sprang die Landesvorsitzende im letzten Augenblick ein. Neben der ehemaligen Lehrerin bewarben sich noch vier weitere Kandidaten für den Kampf um die beiden Stadtteile, die vor vier Jahren Stefan Heym für die PDS erobert hatte. Doch niemand von den rund 200 Anwesenden war in die Kongreßhalle am Alexanderplatz gekommen, um über personelle oder inhaltliche Alternativen zu diskutieren. So interessierten sich die Delegierten, während die Konkurrenz der 34jährigen Berliner PDS-Chefin das Rednerpult besetzte, mehrheitlich für das Angebot an der Kaffeetheke vor den beiden Flügeltüren des Saals.

Nachdem die demokratische Pflichtkür absolviert war, stimmten 128 der 134 wahlberechtigten Basisvertreter für ihre brave Landtagsfrau. Man wollte Blumen abliefern, nicht Fragen plazieren. Eine "angemessene Stimmung" herrsche unter den Versammelten, meinte Lothar Bisky gegenüber der Jungle World. "Im Gegensatz zu der destruktiven und überzogenen Polemik aus Berlin gegen die vierköpfige Findungskommission, als von 'Viererbande' und 'Politbüro' die Rede war, steht jetzt endlich das gemeinsame Vorgehen im Mittelpunkt des politischen Willens."

In seinem 20minütigen Galopp über den Hindernisparcours der parteiinternen Anwürfe, Schmähling sei von Bonn aus gesteuert worden, und das habe die Kompetenz der Berliner Landesgruppe in Frage gestellt, versuchte der Parteivorsitzende, Einheit zu schaffen. "Wir müssen alle Kraft zusammennehmen", forderte er die Basis kurz vor dem Wahlgang auf, "wir dürfen unsere Chancen nicht selber zerreden."

"Det isset", frohlockte eine rüstige 60jährige lautstark, während im ganzen Saal scharf rhythmisiertes Klatschen einsetzte. Nur der Rücksicht auf die Saalältesten dürfte es geschuldet sein, daß nicht bereits an dieser Stelle von Biskys Einleitungsreferat "La Ola", die Welle, durch die Reihen wogte. So verharrte die schlohweiße Einheitsfront in den vorderen Reihen, die eindrucksvoll den Verdacht bestätigte, daß Basisvertreter erst mit 68 Jahren wahlberechtigt sind, konsequent in Habacht-Stellung.

Diese würdige Haltung der Basis sowie der Verzicht auf Zwischenrufe und Widerrede machten das Parteitreffen zu einer gepflegten Veranstaltung im Stil der Fünfziger-Jahre-Tanzstunden, die so schön mit den roten Plüschstühlen und der braunen Wandvertäfelung harmonierte. Nur in den hinteren Reihen, wo Sympathisanten und Gäste saßen, ließ sich, als wäre der Straßenkampf in das überdimensionierte SED-Wohnzimmer verlegt worden, die dem Ernst der Lage angemessene Kampfkleidung entdecken.

Ein "Farbtupfer" wolle sie selber sein, antwortete die neue Direktkandidatin auf die Frage, ob mit dem flotten Abgang Elmar Schmählings über Berlin-Mitte nicht abrupt tiefschwarze Finsternis hereingebrochen sei. "Über Bonn brauche ich nicht nachzudenken", sagte Pau am Tag nach der Wahl, "wenn hier in Berlin nichts läuft." Fraglich ist aber, ob die Stimmenanteile für die Partei in den Berliner Bezirken mehr als nur einen Farbtupfer in der bundesweiten Tristesse abgeben werden. Denn der Wahlerfolg der PDS im September hängt ganz entscheidend von ihrem Abschneiden in Berlin ab. Um fünf Direktmandate will die Partei hier kämpfen, drei muß sie erringen, um die Fünf-Prozent-Klippe erfolgreich zu umschiffen, nach zweien sieht es aber nach der Neubesetzung vom Samstag aus. Lediglich Gregor Gysi (Marzahn/Hellersdorf) und Christa Luft (Lichtenberg/Friedrichshain) bringen genug Prominenz auf die Waage, um im Personenzirkus eine Rolle spielen zu können. Bisky scheiterte schon beim letzten Mal in seinem Stammrevier (Treptow/Köpenick).

Und in Rostock und Schwerin dürften Kandidaten ohnehin nur noch von dem Messianismus Ernst Blochs auf den Beinen gehalten werden. Im inoffiziellen Ranking erwartbarer Direktmandate ist der ehemalige Heymspielbezirk auf den letzten Platz abgerutscht. "Noch ist nichts verloren", meinte eine tapfere Pau wenige Minuten nach der Wahl und liegt damit völlig richtig. Verloren wird erst im Herbst, denn gegen den SPD-Bürgerrechtler Wolfgang Thierse wird nicht viel zu holen sein.

Weil eisiger Gegenwind den Genossen um die Nasen pfeift, probte man in der Kongreßhalle erfolgreich den von Wahlkampfleiter André Brie angeordneten "Ruck zur Gemeinsamkeit" und drängte sich enger aneinander. Nur ein graumelierter Mittfünfziger, Vertreter der Basisorganisation 409, "tätig im Baugewerbe", versuchte kurzzeitig auszuscheren und kritisierte an der Parteistrategie, daß ein "staubsaugerartiges Einsammeln von guten Menschen" mit einem durchdachten politischen Programm ja wohl nichts zu tun habe. "Nu hörma uff", dröhnte es dem Verwegenen aus der Seniorenecke entgegen. "So viel Klugscheißer jibt et bei uns", ergänzte eine dürre Greisin und hätte sich mit ihrer wilden Gestik fast die Bernsteinkette ruiniert.

Da lauschten die Herrschaften lieber andächtig den frommen Hoffnungen, denen sich ihr Parteivorsitzender hingab. "Chancen sind da", konnte er behaupten, und dank seiner totalen Körperbeherrschung begann seine Nase nicht sogleich der gegenüberliegenden Wand entgegenzuwachsen. Wenn es wahr wäre, was Bisky skizzierte, nämlich daß Kohl "ins Schlingern gerät", die FDP "nur noch ums Überleben kämpft" und die Grünen "ausweglos in der Klemme sind", gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder geht am 27. September niemand wählen oder die SPD darf sich über ein SED-Ergebnis freuen. Denn die PDS wird die Fünf-Prozent-Hürde mit ihren reformsozialistischen Rezepten nicht schaffen.

Ansonsten wäre ja das Theater um die Rekrutierung werbeträchtiger Gesichter überflüssig, die den uniformen Ost-Block zur bunten Truppe aufpeppen sollen.