Strittige Friedenspolitik

Die Öko-Partei hat ein strukturelles Problem: Ihr Programm ist zur Führung eines Staates ungeeignet.

Nein, nein, da nützt kein Hoffen auf die Attraktivität des basisdemokratischen Fiaskos. Auch der Verweis auf kleinere Meinungsverschiedenheiten der Protagonisten hilft nicht weiter. Die Grünen stecken ziemlich tief in der Scheiße. Sicher hat hierzu die schlechte PR-Arbeit zu den Beschlüssen der Magdeburger Bundesdelegiertenkonferenz ebenso beigetragen wie die Androhung einer Halo Seibold, den Deutschen ihren jährlichen Mallorca-Urlaub zu versauen. Dennoch weist gerade die hektische Betriebsamkeit, mit der in den vergangenen Wochen versucht wurde, alles Umstrittene zu relativieren, auf grundlegendere strukturelle Probleme. Nicht zuletzt im ungünstigen Timing sollte sich dies offenbaren: Die eine Woche zwischen Gerhard Schröders gewonnener Entscheidungsschlacht in Niedersachsen und der Abstimmung über das grüne Wahlprogramm reichte den Parteitagsdirigenten nicht aus, um zu realisieren, daß ein anderer Wind weht, wenn die rot-grüne Option für Bonn tatsächlich in greifbare Nähe rückt. Während im Adenauer-Haus der Lagerwahlkampf bereits als beschlossene Sache galt, machten die grünen Regisseure in Magdeburg auf locker. Im Höhenflug ließ man über ein Programm abstimmen, das, wie Kanzleraspirant Schröder vergangene Woche zu Recht kritisierte, zur Führung eines kapitalistisch organisierten Staates in Zeiten der sozialen und ökonomischen Zuspitzung wenig taugt.

Dabei sind es nicht die grünen steuer- und wirtschaftpolitischen Umbaupläne, die perspektivisch Probleme bereiten, schließlich sind diese durchaus kompatibel mit den veränderten Bedingungen der Kapitalverwertung und stoßen auch bei den grünen Parteigängern kaum auf Ablehnung. Zunehmend werden dagegen Konzessionen in Bereichen wie Innere Sicherheit, Militär- oder Flüchtlingspolitik die Debatte dominieren und damit in großen Teilen der Basis zu weiteren Zerwürfnissen zwischen Anspruch und Realität führen. Schließlich hatte man sich in Magdeburg offensiv gegeben. So sollen laut dem dort beschlossenen Wahlprogramm immer noch der militärisch-industrielle Komplex entmachtet, die Geheimdienste aufgelöst, die Nato "radikal" abgerüstet, Abschiebehaft und Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden ... Forderungen, die sich trotz der Austritte vieler einflußreicher Linker bei Teilen der Basis halten konnten, da sie bislang keiner praktischen Überprüfung standhalten mußten. Dieser "Realitäts-TÜV einer kritischen Öffentlichkeit" (Grünen-Chef Joseph Fischer in der neuesten Ausgabe des Spiegel) steht jetzt an und offenbart trotz der längst vollzogenen linken Abwanderung Brüche in der Öko-Partei.

Daß nun ausgerechnet die von diesen Linken einst kritisierte Erhöhung des Benzinpreises zum besonderen öffentlichen Ärgernis geriet, wirft zunächst nur ein bezeichnendes Licht auf die Schlichtheit des Gemütes gemeiner Wähler und Wählerinnen. Der Fall aber auch, daß im Wahlkampf kein Platz für differenziertere Argumentationen bleibt. Sozialdemokraten wie Schröder werden eines Tages den Grünen dafür danken müssen, daß sie sich für die Durchsetzung der Ökosteuer zum Buhmann hergegeben haben. Schließlich erweist sich das steuerpolitische Programm der Grünen in Verbindung mit deren Plänen zur Existenzsicherung doch als erfolgversprechendes Konzept, um die kapitalistischen Produktionsverhältnisse auf höherem Niveau zu stabilisieren. Die peinliche Inszenierung eines Peter Hintze, der sich nun auf Tankstellen zum Rächer des werktätigen deutschen Autofahrers aufschwingt, offenbart hier nur, daß die Ökos der Bonner Koalition einiges voraus haben. Während die Grünen zur Finanzierung der Lohnnebenkosten-Senkung zwar den Benzinpreis erhöhen, dafür aber Kfz-Steuer abschaffen und öffentlichen Nahverkehr verbilligen wollen, hat die Union bislang kein Konzept vorgelegt, das dem Wahlvolk ein Weniger an Belastung anbietet.

Gehört also die Forderung nach Fünf-Mark-Sprit durchaus zu jenen, für die auch Sozialdemokraten jenseits von Wahlproklamationen künftig ein offenes Ohr haben werden, so avancieren gerade die grünen Programmpunkte zum Problem, mit denen keine neue Stimme für Rot-Grün gewonnen, sondern auch keine Bundesregierungspolitik gemacht werden kann. Denn bei der Mehrheit des wählenden deutschen Volks interessiert man sich vor allem für die eigene soziale Absicherung, die von Flüchtlingen möge man ihr lieber ersparen. Von einer präventionsorientierten Kriminalpolitik, der Abschaffung von Armeen oder einem differenzierten Umgang mit Sexualstraftätern ganz zu schweigen.

Die Grünen stecken in einem Dilemma, das man zwar prinzipiell von rot-grünen Koalitionen auf Länderebene gut kennt, das sich aber, auf die Bundespolitik übertragen, besonders zuspitzt. Schließlich geht es in Bonn weniger um Vogelschutzgebiete und Braunkohle-Löcher, sondern um die Zukunft eines der wirtschaftlich potentesten Staaten, also auch um Kriegseinsätze, Abschottungs- und Standortpolitik. Es bedarf nicht der rüden Wahlkampfproklamationen des politischen Gegners, um festzustellen, daß es hier eine Regierungsbeteiligung nur geben wird, wenn die grünen Parteiführer von einigen umstrittenen Positionen noch weiter abrücken. Lautete der Vorwurf nach Magdeburg lediglich, daß diese Zugeständnisse zugunsten der Basis nicht genügend gemacht wurden, so wird sich spätestens beim Länderrat der Partei im Juni zeigen, zu welchen Konzessionen man unter Druck bereit ist, um mitregieren zu dürfen. Gehen diese nicht weit genug, werden sich die Sozialdemokraten im populistischen Interesse dem kleinen Partner verweigern müssen, gehen sie zuweit, wird sich ein Teil der grünen Wähler und Wählerinnen, wie jüngste Umfragen bestätigen, lieber für die SPD als für deren Mehrheitsbeschaffer entscheiden.