Ein sauberes Geschäft

Gefährliche Orte XXIII: Beate Uhses Erotik Museum und die kulturelle Verankerung der Pornographie in der Massenkultur

Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, strömten Tausende von Ostdeutschen über die Grenzübergänge, um die Westberliner City zu erkunden. Ihre Neugierde galt insbesondere jenen kapitalistischen Geschäftszweigen, die der Sozialismus für dekadent erklärt hatte: Heimwerkermärkte, Billig-Discounter und Sex-Shops. Kaum war die deutsche "Einheit" im Oktober 1990 institutionell vollzogen, stand eine Gewinnerin der "Wiedervereinigung" bereits fest: die westdeutsche Porno-Industrie, allen voran die Sex-Shop-Kette und der Erotik-Versand von Beate Uhse, dicht gefolgt von Europas führender Porno-Produzentin Teresa Orlowski ("VTO", "Foxy Lady").

In der Kantstraße, Berlins Rotlichtbezirk, bildeten sich vor den Warenhäusern der sexuellen Revolution, den Sex-Shops, lange Menschenschlangen. Da lagen sie nun, fein säuberlich in Regalen aufgereiht und frisch etikettiert, all die Markenartikel, die man in der DDR nur vom Hörensagen kannte: batteriebetriebene Dildos in dreierlei Größen, aufblasbare "Gummi-Girls", biegsame "Latex-Möpse" und "Dauer-Bumser-Dragees", das Zehnerpack zu DM 6,99.

Die Soziologen wunderten sich, denn Langzeitstudien haben gezeigt, daß die Ostdeutschen ihre Sexualität weit freizügiger ausgelebt hatten als die Westdeutschen. In der DDR waren Scheidungen und Abtreibungen europäische Spitze. Dem Kollektivierungszwang des Regimes setzten die Bürger einen übersteigerten Partikularismus entgegen, wobei die Sexualität die Funktion oppositionellen Sozialverhaltens innehatte. Und nun, kaum wiedervereinigt, imitierten sie westliches Konsumverhalten, kauften Magazine, Videos und CD-ROMs, abonnierten Telefonsex-Dienste und Porno-Kanäle wie Teresa Orlowkski aus London ausgestrahlter "Adult Channel".

Sexualität ist im Zuge der Studentenbewegung der sechziger Jahre zur kulturellen Ware umdefiniert worden. Zur Standardausrüstung eines deutschen Haushalts gehört mittlerweile neben Partykeller und Satellitenschüssel auch eine private Porno-Videothek. Die feministischen Anti-Porno-Kampagnen der achtziger Jahre, von Alice Schwarzer und Andrea Dworkin entfacht, konnten nicht verhindern, daß die als höchste Form des Kitschs gegeißelte Pornographie via Werbung und Massenmedien den Alltag kolonisiert hat.

Anfang der neunziger Jahre boomte die deutsche Porno-Industrie. Mangels Gewerberaum wurden die DDR-Grenzbaracken, wo Touristen Paßkontrollen und Leibesvisitationen über sich ergehen lassen mußten, zu Sex-Shops umgebaut - ein ironisches Symbol für die Übernahme der DDR durch das West-Kapital.

Wenn Kapitalismus - in der Definition von Charles Baudelaire - ein verfeinertes Kapillarsystem menschlicher Bedürfnisse darstellt, so hat die Porno-Branche das Tauschgeschäft mit Emotionen perfektioniert, indem sie nur deshalb Bedürfnisse nach Sex produziert, um sie anschließend befriedigen zu können. Beate Uhse, die 1962 den ersten Sex-Shop der Welt eröffnete und heute über 50 Läden sowie die "Blue Movie"-Kinokette besitzt, konnte für ihren Sexartikel-Versand zwei Millionen Ostdeutsche als neue Kunden gewinnen.

Zum 50jährigen Firmenjubiläum eröffnete die selbsterklärte "Pionierin der sexuellen Revolution" 1995 im repräsentativen Leineweberhaus in der Nähe vom Bahnhof Zoo für zehn Millionen Mark Europas größtes Erotik-Museum. Auf drei Etagen sind über 3 000 Objekte zu sehen, sortiert nach Epochen und Genres, vom Riesenphallus-Totem aus Bali über Schnupftabakdosen aus dem Biedermeier bis hin zu chinesischen Tusche-Akten. Trash steht neben Objekten mit kulturhistorischem Wert. Ein Kabinett ist dem Berliner Genremaler Heinrich Zille gewidmet, ein anderes würdigt Magnus Hirschfeld, den von den Nazis ins Exil vertriebenen Begründer der Sexualwissenschaft.

Die so unterschiedlichen Exponate kontextualisieren sich dennoch gegenseitig, sie konstruieren den gesellschaftlich und historisch sich verändernden normativen Rahmen für die Differenzbildung zwischen Erotik und Pornographie. Die Museums-Mischkonzeption aus erotischen und sexualwissenschaftlichen Exponaten, aus Porno-Produkten und populärkulturellen Sammelobjekten, aus kommerziellen und didaktischen Schautafeln zielt weniger darauf ab, Pornographie zu nobilitieren, als vielmehr darauf, die von bürgerlichen Connaisseuren für sich reklamierte Erotik mit einer kommerziell ausgebeuteten Pornographie zur Deckung zu bringen und letztere als kulturelle Ware zu legitimieren. Wer sich angesichts dieser unverfrorenen kulturellen Umschreibung entrüstet, hat den Definitionskampf zwischen Erotik und Pornographie schon verloren und steht als Moralapostel da.

Beate Uhse beging aber noch einen zweiten Tabu-Bruch. Ihr Erotik-Museum ist ein integrierter Sex-Shop. Es gibt praktisch keine Chance, den Porno-Produkten zu entkommen. Ein- und Ausgänge, aber auch Fluchttüren führen an Video-Kabinen und Verkaufsständen vorbei. Über diese freche Überschreitung zwischen Museumsbesuch und Geschäft regte sich die bürgerliche Öffentlichkeit mächtig auf. Dabei hatte Uhse nur die gängige Praxis von Museums-Shops kopiert.

Zur Eröffnungsfeier paraphrasierte sie den berühmten Satz von John F. Kennedy: "Ich bin eine Berlinerin!" Damit beanspruchte sie über die sexualwissenschatliche Ahnenreihe mit Iwan Bloch, Albert Moll, Magnus Hirschfeld, Max Marcuse hinaus auch politische Rückendeckung für sich. In den restaurativen fünfziger Jahren war sie noch wegen Verkauf von Kondomen und Verbreitung von Aufklärungsbüchern strafrechtlich verfolgt worden. Das Erotik-Museum legitimiert die Pornographie als Kulturerbe und beansprucht ihre Verankerung in der Massenkultur. Dazu bedurfte es einer flächendeckenden Marketingstrategie und der Vorherrschaft des Ästhetischen.

"Es ist unser Ziel, weltweit der Style-Leader zu sein", lautet Beate Uhses oberstes Credo. Ihr ausgeklügeltes Versandsystem transportierte mit den Produkten zugleich Wert- und Geschmacksvorstellungen bis in die kleinsten Dörfer hinein und prägte so über Jahrzehnte das Sexualverhalten der Deutschen. Rollenverhalten wurden festgeschrieben, Klischees umgedreht. Die Magie der Zeichen machte aus Pornographie ein sauberes Geschäft. Gemessen an Beate Uhse oder Teresa Orlowksi erscheinen Jeff Koons, Paul McCarthy und Elke Krystufek als üble Pornographen.

"Sodom Berlin". 50 Bilder von George Grosz, bis zum 30. September, tägl. 9 bis 24 Uhr, Beate Uhse Erotik Museum, Joachimsthaler / Ecke Kantstraße, Berlin-Charlottenburg