Ein Urteil als Schutzwall

Im Mykonos-Prozeß hat sich die Justiz gegen die Staatsräson und für die Moral entschieden.

Am 10. April 1997 wurde ein Urteil verkündet, das in die deutsche Rechtsgeschichte eingehen sollte. Schon am Tag seiner mündlichen Begründung löste es Turbulenzen in Teheran aus.

Ihr Protest richtete sich gegen das organisierte Morden im Auftrag der iranischen Staatsspitze, das mit der Verkündung des Mykonos-Urteils erstmals ein unabhängiges Gericht festgestellt hatte. Seit den Tagen der Islamischen Revolution im Februar 1979 war Europa zum quasi rechtsfreien Raum für die Täter mit Diplomatenpaß geworden. Schon im Mai 1979 - als die Linke im Iran wie auch hierzulande Khomeini noch als Helden feierte, der den Schah gestürzt hatte - verkündete Ayatollah Khalkhali als "religiöser Richter und Präsident des Revolutionstribunals" seine Absicht, "die Verderber auf Erden zu vernichten". Dazu zählten fortan die "Ungläubigen" und "Heuchler" ebenso wie die geflüchteten Oppositionellen, die dem Absolutheitsanspruch des Gottesstaates auf Erden Widerstand leisteten.

Auch die Demokratische Partei Kurdistans/lran gehörte dazu, weil sie die Autonomie der Kurden in einem demokratischen Iran zum Ziel hatte. Bei "Friedensgesprächen" in Wien wurde ihre Führungsspitze 1989 von einer iranischen Regierungsdelegation in eine Falle gelockt und ermordet. Im September 1992 wiederholte sich das Geschehen in Berlin. Im Reichstag hatte die Führung der DPK/I an der Tagung der Sozialistischen Internationale teilgenommen. Anschließend fand im Lokal "Mykonos" ein Treffen mit anderen Oppositionellen statt. Mit 26 Schüssen aus einer Maschinenpistole und vier Pistolenschüssen wurden die führenden Mitglieder der Partei mit ihrem in Berlin lebenden Freund, Berater und Dolmetscher Nuri Dehkordi liquidiert.

Anders als in Wien, wo man die Täter mit Polizeieskorte zum Flugzeug nach Teheran gebracht hatte, wurden in Berlin libanesische Hizbollah-Kämpfer, die teilweise im Iran ausbildet waren, und der iranische Logistiker vor Gericht gestellt. Das Kammergericht verhandelte dreieinhalb Jahre lang. Nach 247 Verhandlungstagen, während deren fast 200 Zeugen und Sachverständige gehört worden waren, wurden die Hauptangeklagten wegen vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Sensationell, wenngleich nach dem Prozeßverlauf zwingend, war aber die klare Benennung der iranischen Staatsspitze - vom religiösen Führer über den Staatspräsidenten bis hin zum Außen- und Geheimdienstminister - als Auftraggeber der Morde. "Ihre politischen Gegner lassen sie um der reinen Machterhaltung willen liquidieren", heißt es auf Seite 370 der schriftlichen Urteilsbegründung, die jetzt vorliegt. Die 395 Seiten starke Akte überzeugt nicht nur durch ihre zwingende Argumentation, sondern auch durch Detailreichtum in den Fakten. Sie ist auch angemessen gebunden: Der Einbanddeckel ist rot wie das Blut der Opfer, der Buchrücken ist schwarz wie ein Trauerflor.

Daß ein unabhängiges Gericht trotz massiver Einflußnahme aus Teheran die erkannte Wahrheit ausspricht, ist befreiend. Die Bundesregierung hat die Ermittlungen zwar nicht behindert, aber immer wieder zu erkennen gegeben, daß ihr eine diplomatische Sprache des "kritischen Dialogs" wichtiger war als die Benennung der Fakten im Klartext. Wirtschaftliche Interessen rangierten ganz offen vor moralischer Empörung. Nach diesem Urteil aber mußte das business as usual zumindest unterbrochen werden. Als die abgezogenen Botschafter der EU-Staaten schon Ende April 1997 wieder nach Teheran zurückkehren sollten, zeigte der Iran, daß er in seinem Stolz getroffen war. Organisierte Demonstranten hatten die Richter bereits als Faschisten beschimpft und als Puppen symbolisch verbrannt. Jetzt war der deutsche Botschafter Persona non grata. Erst im November 1997 kehrten die EU-Diplomaten nach Teheran zurück. Der diplomatischen Eiszeit war ohne Entschuldigung Teherans für die Mordtat Tauwetter gefolgt.

Ob das Mykonos-Urteil Einfluß auf die Wahlentscheidung der Iraner im Mai 1997 hatte, bleibt Spekulation. Der Erdrutsch-Sieg Chatamis gegen die konservativen Hardliner beruhte auf dem Versprechen von mehr Liberalität im kulturellen Bereich. Eines aber darf aus dem Prozeß in Erinnerung gebracht werden: "Kratzen Sie an einem Mullah und es kommt ein Nationalist heraus." - Das waren die Worte von Professor Udo Steinbach, dem Chefberater der deutschen Iranpolitik, der als Sachverständiger gehört wurde. Gegenüber den Kurden und anderen nationalen Minderheiten sind sich alle Mullahs einig. Und ein Mullah ist auch Chatami. Ob das Morden im staatlichen Auftrag beendet wird, bleibt also abzuwarten.

Gerichtsverfahren mit Auswirkungen auf die Außenpolitik stehen im Spannungverhältnis der Gewalten. Hier die Justiz, die im Idealfall alle Erkenntnisquellen für die Aufklärung nutzen will, dort die Regierung, die über das Wissen der Geheimdienste verfügt und ihre Außenpolitik nicht beschädigen lassen will. Als vor 15 Jahren am Düsseldorfer Flughafen der frühere stellvertretende Ministerpräsident des Iran, Saddegh Tabatabai, mit 1,7 Kilogramm Opium im Gepäck erwischt wurde, beendete eine Demarche des iranischen Außenministers Velajati an den damaligen Bundesaußenminister Genscher das Gerichtsverfahren. Tabatabai wurde nachträglich der Status eines Sonderbotschafters zugestanden - und damit diplomatische Immunität. Als "Botschafter für besondere Aufgaben", so ließ das Teheraner Ministerium wissen, sei Tabatabai "mit Gesprächen wichtiger politischer Fragen betraut" gewesen. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht setzte den Haftbefehl aus, der BGH hob das vom Landgericht verhängte Urteil - drei Jahre Freiheitsentzug - auf. Tabatabai entfleuchte nach Teheran, Genscher erklärte ihn zur unerwünschten Person. Zurück blieben ein Koffer und ein ratloser Vorsitzender der 12. Kammer des Düsseldorfer Landgerichts.

Diese Erfahrung mit der deutschen Justiz prägte offenbar die Erwartung Teherans an ein Eingreifen der Bundesregierung. Wie anders wäre zu erklären, daß der iranische Geheimdienstminister Fallahian von Staatsminister Schmidbauer die Niederschlagung des Verfahrens verlangte? In der Tat hatte der Generalbundesanwalt den Entwurf der Anklageschrift nicht nur dem Justizministerium, sondern auch dem Kanzleramt, dem Außenministerium und dem Innenminsterium vorlegen müssen, bevor er die Anklage trotz der Bedenken der Bundesregierung unterschrieb. Aber er unterschrieb sie.

Schmidbauer nörgelte: "Wer die Details kennt, kommt zu ganz anderen Ergebnissen." Der Vorsitzende forderte ihn und das Kanzleramt zur Erläuterung und Preisgabe seines Wissens auf. Auf Antrag der Nebenklage wurde der Staatsminister als Zeuge vernommen und vereidigt. Dabei kam heraus, daß er keinerlei anderes Detailwissen hatte. Es kam aber auch das Ansinnen Fallahians auf Niederschlagung des Prozesses heraus, das Schmidbauer vor dem Bundestag verschwiegen hatte.

Innenminister Kanther, sonst selbsternannter Vorkämpfer gegen die Organisierte Kriminalität, verweigerte die Freigabe eines wichtigen Berichts der Arbeitsgruppe Iran des Bundesamtes für Verfassungsschutz für den Prozeß. In diesem Papier stand, daß die Auskünfte einer zuverlässigen Quelle den Schluß zulassen, die Mykonos-Morde seien unter Federführung iranischer diplomatischer Vertretungen vorbereitet und durchgeführt worden. Es enthielt sogar das Code-Wort darin, unter dem der Anschlag lief. Gleichzeitig wurden wichtige Einblicke in die Arbeitsweise, Struktur und Systematik der Arbeit der iranischen Geheimdienste auf deutschem Boden geliefert. Weil die Nebenklage eine Kopie dieses Berichts auf den Gerichtstisch legen konnte, stand das Kammergericht vor der Entscheidung, diese Kopie entweder trotz der Verweigerung des Innenministers verlesen zu lassen und zu verwerten oder sie ungenutzt zu lassen. Gegen die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft entschied sich das Kammergericht für die Verlesung und Verwertung. Mit dieser Entscheidung demonstrierte das Gericht seine Unabhängigkeit und begründete das Vertrauen der iranischen Oppositionellen, daß es für eine Kumpanei nicht zu haben sei. Dieses Mißtrauen hatte vor allem die Zusammenarbeit von BND und iranischem Geheimdienst - angeblich im Kampf gegen Drogen und Terrorismus - begründet. Tabatabai und der Mykonos-Anschlag zeigen, wie die Islamische Republik in Wahrheit zu Drogen und Terror als Mittel der Politik steht. Daß die Justiz nicht mehr gewillt war, sich auch künftig als zahnloser Tiger vorführen zu lassen, zeigte auch der Haftbefehl gegen Irans Geheimdienstminister Fallahian, den der BGH gegen die Bedenken der Bundesregierung erließ.

Bis zuletzt arbeitete die Bundesregierung im Mykonos-Verfahren den Ermittlungsbehörden entgegen: Als die Vertreter der Bundesanwaltschaft im November 1996 in ihrem mutigen Plädoyer von der iranischen "Tötungsmaschine" sprachen und deren Mitglieder beim Namen nannten, wurde in Ghom, der Heiligen Stadt, ein Todesbann gegen sie gefordert. Anstatt diese Ungeheuerlichkeit mit klaren Worten zurückzuweisen, entschuldigte sich Kanzler Kohl in einem Brief an Staatspräsident Rafsandjani, niemand habe die "religiösen Gefühle" der Iraner verletzen wollen. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft ließ Kohl im Regen stehen.

Um so mehr ist dieses klare Urteil ein erfreulich selbstbewußtes Pochen auf die Unabhängigkeit der Justiz - ein Zeichen, daß die Dritte Gewalt nicht bereit ist, sich den Wünschen der Regierung zu beugen.

Gerade für ausländische Flüchtlinge, die sich vor politischer Verfolgung nach Deutschland gerettet haben, ist das Vertrauen in die Integrität und Unabhängigkeit der deutschen Justiz lebenswichtig. Daß ein deutsches Gericht den iranischen Staatsterrorismus beim Namen nennt, zeigt, daß die Justiz, die in Nazideutschland zum Instrument des Terrors geworden war, heute bisweilen zum Schutzwall für politisch Verfolgte taugt.

Unser Autor arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin. Er hat im Mykonos-Verfahren die Witwen zweier ermordeter iranischer Oppositioneller als Nebenkläger vertreten.