Geschlossen langweilig

Der PDS-Parteitag setzte auf Konfliktvermeidung. Nur Captain Gysi bringt die Basis in Stimmung.

"Der Jugend eine Chance - für innerparteilichen Wandel" - Die Tagungsleitung verschwindet hinter diesem Transparent, der Parteitag applaudiert der überraschenden Einlage. Streit ist nicht angesagt auf dem PDS-Parteitag, die Parteijugend hat sich die Beschimpfung selbst organisiert: In den hinteren Reihen sind einige Junggenossen postiert, die "Utopisten", "Spinner", "Träumer" rufen. Das Transparent wird gewendet. "Wer nicht für seine Träume kämpft, hat schon verloren" ist jetzt zu lesen. Zweiter Applaus, Jugend ab, der ordentliche Tagungsablauf kann weiter gehen.

Der Himmel ist verhangen an diesem Wochenende in Rostock. Es nieselt die meiste Zeit. Inmitten dieser grauen Suppe sucht die PDS ihre Chance. Um die nicht zu vermasseln, muß vor allem eines her, da scheint man sich einig: Geschlossenheit. Und ein Wahlprogramm. Ein Satz in der Präambel ist fett gedruckt: "Wir haben die Chance! Nutzen wir sie!"

Um die Chance zu nutzen, müsse die Partei, "die Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellen", gibt Parteichef Lothar Bisky in seiner Eröffnungsrede die Linie vor. Er hatte Angst, der Streit um die Aufstellung der Bundestagskandidaten könnte auf den Parteitag durchschlagen. Die Angst ist unbegründet. Die Delegierten haben die Botschaft verstanden. Die Generaldebatte zum Wahlprogramm gerät zum Probelauf der Wahlkämpfer.

Kaum zu glauben, daß es vor dem Parteitag heftige Kritik an der zentralistischen Kandidatenfindung gegeben haben soll. Ein leiser Nachhall davon ist in der Rede von Angela Marquardt, der Sprecherin der AG Junge GenossInnen zu spüren: Es habe eine "mangelnde Kommunikation in der KandidatInnenfrage" gegeben. Doch mit dem kleinen Seitenhieb auf den Parteivorstand will auch sie keinen Streit anzetteln. "Hier und heute" sei "Kooperation statt Konfrontation" angesagt. Die leise Kritik ist Sympathiewerbung an ihrer "Basis", der sie sich am nächsten Tag vorstellen muß. Auch die Vorzeigejugendliche mit dem frisch grün und violett gefärbten Haarschopf sucht ihre Chance - als Kandidatin auf der Wahlliste des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern zur Bundestagswahl. Da gilt es den Eindruck zu vermeiden, sie sei von oben geschickt.

Für den Genossen Siegfried Schlegel aus Leipzig ist ohnehin alles in Butter. Strahlend verkündet er: "Uns wurde Täve nicht von oben diktiert". Das klingt glaubhaft: In der Mittagspause am Sonnabend bildet sich eine lange Schlange vor dem Büchertisch des Spotless-Verlages: Hier gibt es das Büchlein "Der Kandidat" zu erstehen, und der Kandidat Gustav Adolf "Täve" Schur verziert bereitwillig die innere Aufschlagsseite mit einer persönlichen Widmung. Hundert schafft der ehemalige Radsportler in einer Stunde, dann sind die Bücher vergriffen.

Im Saal lösen andere sportliche Ereignisse die größten Emotionen aus. Dietmar Bartsch, Versammlungsleiter und Bundesgeschäftsführer der PDS, unterbricht die Behandlung des Antrags V.2.4.7. zur Migrantenpolitik und betätigt sich als Stadionsprecher: Der Mann mit dem Outfit eines Sparkassenangestellten gibt die Bundesligaergebnisse bekannt. 3:1 für Hansa Rostock. Größeren Jubel gab es im Saal den ganzen Sonnabend nicht.

775 Veränderungswünsche zum Programmentwurf des Parteivorstands liegen vor. Das Engagement der Delegierten scheint umgekehrt proportional zur Zahl der Anträge. Einmal malt ein Delegierter das Fünf-Mark-Debakel der Grünen an die Wand: Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich stand nicht mehr im Programmentwurf. Statt dessen sollten nur "untere und mittlere Einkommensgruppen" von Einkommenskürzungen verschont bleiben. Schnell findet die Parteitagsregie einen Kompromiß: Weder die Forderung nach vollem noch nach differenziertem Lohnausgleich steht jetzt im Programm, statt dessen heißt es nur: Die Arbeitszeitverkürzung dürfe "weder zur Verringerung der Massenkaufkraft noch zu Einkommenskürzungen führen". Der Kompromiß wird mit großer Mehrheit angenommen, erklärungsbedürftige knappe Mehrheiten bleiben den Wahlkämpfern erspart.

Wer den Saal betritt, in dem die 550 Delegierten ihr vier Zentimeter dickes Antragsbuch abarbeiten, kommt nicht an ihnen vorbei: Herren mit Schlips, die Haare so grau wie ihre Sakkos, "Organisation" steht auf ihren angesteckten Plastik-Schildchen, schauen prüfend auf jede Brust. Wer etwa nur einen Presseausweis vorzeigt, wird nicht durchgelassen, es muß schon das PDS-eigene Plastikkärtchen sein, mit dem aufgedruckten "Presse", "Delegierter/e", "Gast". Es geht gesittet zu beim PDS-Parteitag. Unschöne Bilder verderben den Auftakt des Wahlkampfs in der Rostocker Stadthalle nicht, aber der nötige Enthusiasmus will sich nicht einstellen. Zwar hatte Lothar Bisky in seiner Eingangsrede die Delegierten beschworen: "Zur Zuversicht, liebe Genossinnen und Genossen, haben wir allen Grund". Aber der Spezialist für mitreißenden Optimismus ist der PDS-Parteichef, der immer wieder mit den Formulierungen seines Redemanuskripts kämpft, nun mal nicht, dafür ist ein anderer zuständig: Gregor Gysi. Ihn hat man sich bis zum Schluß aufgespart. Als die Schieds- und die Finanzprüfungskommission gewählt, alle Anträge abgestimmt, vertagt oder überwiesen und die Füße eingeschlafen sind, gönnt die Parteitagsregie den Medien und den Delegierten die unterhaltsame Kurzfassung des Programms. Eineinhalb Stunden hat Gysi den Saal in der Hand, erklärt der Partei, was sie da in eineinhalb Tagen verabschiedet hat und zeigt, wie man es verkaufen könnte. Besser gesagt: Wie er es verkaufen kann. Angereichert mit Andekdoten schafft er es, den radikalen Oppositionellen zu mimen und Rot-grün die Zusammenarbeit anzudienen, den Weltbürger und den verfolgten Ossi gleichzeitig zu verkörpern.

"Ihr wißt, mich behandeln sie besonders schlecht, weil sie immer noch glauben, wenn ich weg wäre, seid ihr alle weg. Diesen Irrtum müssen wir irgendwann mal sehr grundlegend aufklären." Irgendwann ist nicht an diesem Sonntag. Es zieht, wenn Gysi zum Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde aufruft mit dem Argument: "Acht Jahre war ich Gruppenvorsitzender. Jetzt will ich endlich Fraktionsvorsitzender werden." Es begeistert die PDS-Delegierten, wenn er sich ausmalt, welch schönes Gefühl es sei, nach einer gewonnenen Wahl die frustrierten Abgeordeten der Konkurrenz mit einem fröhlichen "Guten Morgen" zu begrüßen. Seine Bitte "Versaut mir den 28. September nicht" wird so zum Wahlkampfansporn.

Gysi schafft es, die Delegierten zum ersten und einzigen Mal mit einer Rede von ihren Sitzen zu reißen. Und nach den Begeisterungsstürmen für ihren Gregor können sie gleich stehen bleiben, denn jetzt kommt der Text, den Pressesprecher Hanno Harnisch den etwas konsternierten Medienvertretern in der vorangegangenen Pressekonferenz verlesen hatte - diesmal gesungen: "... kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun, uns von dem Elend zu erlösen, können nur wir selber tun."