Peace in Our Time

Das Nordirland-Friedensabkommen steht. Ein Vertrag bedeutet viel und zugleich nichts

"Ich sage euch, wie die Lage in Wirklichkeit ist", erklärte der Sinn Féin-Hauptverhandler Martin McGuinness den zahlreichen Journalisten bei einer der letzten Pressekonferenzen vor dem Abschluß des Friedensabkommens in Stormont Castle: "Auf der Suche nach einer Lösung des Konflikts habe ich zwei Jahre lang pausenlos gearbeitet, und jetzt, nur Stunden von einer Vereinbarung entfernt, höre ich immer noch nicht einmal 'Guten Tag' von den Unionisten."

Während die Regierungschefs von Großbritannien und Irland, Tony Blair und Bertie Ahern, nach Abschluß des "Friedenspakts" am vergangenen Freitag von einem historischen Moment schwärmten, weigerte sich die Ulster Unionist Party (UUP) unter Führung von David Trimble weiterhin, direkte Gespräche mit McGuinness und Sinn Féin über die Zukunft Nordirlands zu führen. Ein klares Zeichen für Sinn Féin-Wähler, immerhin über ein Drittel der katholischen Bevölkerung, daß Frieden oder die Hoffnung auf Frieden nicht mit Versöhnung zu gleichzusetzen ist. Die Unionisten halten es zudem nicht für nötig, ein breites Bündnis zu bilden: Eine Koalition mit der zur Zeit größten nationalistischen Gruppierung, der Social Democratic and Labour Party (SDLP) unter der Führung von John Hume, wäre ausreichend, um die nötige Zustimmung der Mehrheit beider Bevölkerungsgruppen bei der für den 22. Mai geplanten Volksabstimmung zu finden.

Diese Strategie wäre aber auch für die SDLP gefährlich, da ein Bündnis mit den Unionisten in den Augen vieler Nationalisten als "Sell Out" angesehen würde. Nach den riesigen Stimmengewinnen bei den Westminster- und Bezirkswahlen im Jahr 1997 - Sinn Féin wurde drittstärkste Kraft hinter der UUP und der SDLP - könnte Gerry Adams, der sich während der Friedensgespräche stark profiliert hat, von einer solchen Situation profitieren und langfristig John Hume als bislang prominentestem Vertreter der katholisch-nationalistischen Bevölkerung in Nordirland den Rang ablaufen. Und das könnte sich schon bei den für den 25. Juni vorgesehenen Wahlen zum nordirischen Parlament bemerkbar machen.

Indes nutzen der britische Premierminister und sein irischer Kollege den Druck der Weltöffentlichkeit, um Hume und Trimble doch noch zu einer Koalition der Mitte zu führen. Der vereinbarte Zeitplan zur Durchsetzung des Abkommens ermöglicht es US-Präsident William Clinton - nach dem G7-Treffen, das Mitte Mai im nordenglischen Birmingham stattfindet -, Nordirland und die Republik Irland im Vorfeld der am 22. Mai stattfindenen Volksabstimmungen über die Friedensvereinbarung zu besuchen. Der US-amerikanische Präsident soll auch weiterhin sein politisches Gewicht hinter die beiden Regierungen und deren Friedenspläne stellen. Weitere Vermittlungsgespräche mit den Chefs von UUP und SDLP, mit denen Clinton bereits in der vergangenen Woche telefoniert hat, wären dafür nötig.

Spätestens im Juni wird sich herausstellen, ob der Friedensplan erfolgreich sein wird: Dann will der protestantische Oranier-Orden wieder durch die von Katholiken bewohnte Gervaghy Road in Drumcree marschieren. Der Einsatz von mehreren hundert Polizisten in den beiden vergangenen Jahren, als Katholiken von Armee- und Polizeieinheiten von der Straße geprügelt wurden, erinnerte an die vor dreißig Jahren ebenfalls mit Polizei-Unterstützung durchführten Pogrome. Auch damals existierte ein Nordirisches Parlament, das jedoch bis zum Kollaps im Jahr 1972 ausschließlich die Interessen der protestantischen Mehrheit vertrat.

Zur Zeit mehren sich die Anzeichen, daß in diesem Jahr - zum ersten Mal - in republikanischen Kreisen mobilisiert wird, um die Gervaghy Road zu schützen. Bei einer solchen Eskalation würde sich erweisen müssen, was das Versprechen der britischen Regierung, die Rechte der katholisch-nationalistischen Bevölkerung zu respektieren, wert ist.

Die 108 Abgeordneten für das im Abkommen vorgesehene Parlament werden in dieser angespannten Atmosphäre gewählt. Zudem müssen sie sich innerhalb von drei Monaten über Formen und Funktionen der künftigen gesamtirischen Institutionen einigen. Der erreichte Einigungsentwurf sieht die Bildung eines gesamtirischen Rates vor, der über exekutive Befugnisse in Bereichen wie Landwirtschaft, Tourismus, Verkehr, Umweltschutz und Handel verfügen soll. Auch auf sogenannte Sozialhilfebetrüger hat man es abgesehen: Eine gemeinsame Aufsichtsbehörde soll künftig verhindern, daß Sozialhilfe auf beiden Seiten der Grenze bezogen werden kann. Zudem sollen Beschlüsse im Bereich der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ebenfalls unter die Verantwortung des Rates fallen. Der irische Premierminister Ahern und die SDLP hoffen darauf, die gesamte Insel als Einheit in einem Europa der Regionen etablieren zu können: Die Grenze zwischen Nord und Süd würde somit quasi von selbst obsolet.

Genau aus diesem Grund hat die zweitgrößte unionistische Partei, die Democratic Unionist Party (DUP) die Friedensgespräche bislang boykottiert. Jede Verhandlung oder engere Beziehung mit der irischen Republik birgt in ihren Augen die Gefahr, durch die Hintertür in ein vereinigtes Irland verschleppt zu werden. Entsprechend wurde Trimble nach Abschluß der Vereinbarung von DUP-Führer Ian Paisley als "Verräter" beschimpft; der Verhandlungsleiter, der frühere amerikanische Senator George Mitchell, dem allgemein außerordentliches Verhandlungsgeschick attestiert wurde, mußte sich gar mit dem Antichrist - den für Paisley ansonsten nur der Papst verkörpert - vergleichen lassen.

Um diese "Angst der Protestanten" zu besänftigen und weitere Eskalationen zu verhindern, haben die Unionisten während der Verhandlungen darauf bestanden, daß der vorgesehene Nord-Süd-Rat nicht nur von der irischen und britischen Regierung gestellt wird, sondern daß jede Entscheidung vom Parlament mit der demographisch gegebenen unionistischen Mehrheit gebilligt werden muß. Um das zu erwartende Unionisten-Veto zu umgehen, hatte die katholisch-nationalistische Seite im Gegenzug die Zukunft des Parlaments von der Entstehung des gesamtirischen Rates abhängig gemacht. Ergebnis: Beide Institutionen sind nun symbiotisch miteinander verbunden. Die Unionisten akzeptieren die gesamtirischen Institutionen, die Nationalisten und Sinn Féin haben ihre Forderung nach einem Verzicht auf das gemeinsame nordirische Parlament aufgegeben. Dort ist eine Machtteilung zwischen Protestanten und Katholiken vorgesehen: Um ein Gesetz verabschieden zu können, wird eine Mehrheit unter den nationalistischen und den unionistischen Abgeordneten erforderlich sein - was eine Politik der Mitte mit sich bringt. Das Parlament soll bereits im Juli zusammentreten und muß bis Ende September die gesamtirischen Institutionen bilden.

Der Entwurf für eine friedliche Lösung des Nordirland-Konflikts beruht auf drei Prinzipien: Es wird für Nordirland keine Verfassungsänderung ohne Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit geben, die "irische Identität" der katholischen Minderheit in Nordirland wird anerkannt, und schließlich werden beide Volksgruppen gleichberechtigt behandelt. Zudem muß sich Nordirland bereit erklären, die Europäische Konvention für Menschenrechte zu unterschrieben. Die Anti-Terror Gesetze in Nord- und Südirland werden, wenn es nach dem Vertragsentwurf geht, künftig wegfallen.

Die geforderte Neustrukturierung und Umbenennung der nordirischen Polizei (Royal Ulster Constabulary, RUC) sorgt indes schon jetzt für Konflikte. DUP-Chef Paisley befürchtet, daß Sinn Féin - in enger Zusammenarbeit mit der IRA - den enormen Sicherheitsapparat der RUC (eine Sicherheitskraft pro zehn Katholiken) mit Hilfe des Abkommens deutlich schwächen könnte, zumal die zur Zeit zu 92 Prozent aus Protestanten bestehende RUC künftig mit Katholiken zersetzt werde. Diese so geschwächte und demoralisierte Polizei wäre dann, so Paisley, bei einer überraschenden Kriegserklärung der IRA nicht mehr in der Lage, einen "Low-Intensity-War" zu führen.