Architektur ohne Ambiente

Ungefährliche Orte I: The Sound of the Suburbs.

Als die Pet Shop Boys Ende der achtziger Jahre über einen seltsamen Ort namens "Suburbia" sangen, hörte sich das recht flott an, obwohl es um jene trostlose Gegend zwischen Stadt und Land ging, in der gewohnt und gewohnt wird und sonst kaum etwas geschieht.

Suburbanität beschäftigt allerdings nicht nur aufmerksame Popmusiker; Städteplaner und Architekten debattieren seit Jahren über die ständig wachsenden Einfamilienhäuserparks und Hochhausanlagen, deren Bewohner zum Arbeiten in die City und zum Kaufhallenbesuch in die Peripherie fahren. Vor allem in den USA wächst das suburbane Ödland, die Hälfte aller Amerikaner lebt bereits in den monofunktionalen Ortschaften. Der Rest Urbanität im Zentrum löst sich ebenfalls in gähnende Leere auf. Die sozial entleerte Downtown wird dann in der Regel zur Spielwiese der versammelten Sicherheitskräfte, die von ihren Vorgesetzten dafür ausgezeichnet werden, in der vereinsamten Metropole für Sicherheit gesorgt zu haben.

Die amerikanischen Verhältnisse lassen sich nicht bzw. noch nicht auf andere Länder übertragen: Während Wohnblocks und andere nicht für den Tourismus gedachte Gebäude in südeuropäischen Schwellenländern grundsätzlich im suburbanen Einheitsstil erbaut werden, konnten die ostdeutschen Plattenbauten mittels geschickter Kosmetik aufwendig saniert werden. Architektur ist auch eine Geldfrage. Die suburbanen Siedlungen etwa in Berlin-Marzahn sind angestrichen worden, haben neue Dächer, Fenster und Türen erhalten. Kinokomplexe und Gaststätten sind geplant. Um eine Mieterflucht zu verhindern, startete der Berliner Senat 1993 ein Zehnjahresprogramm im Umfang von 13 Milliarden Mark. Ob die Maßnahmen greifen werden, weiß man noch nicht. Die Menschen werden wohl bleiben. Kaum vorstellbar aber, daß der Raum rund um die bunten Betonkästen demnächst mit dem prallem Leben gefüllt sein wird.

Dem Versuch, den Wohnsilos ein Gesicht zu verleihen, steht das Verschwinden der noch sichtbaren architektonischen Unregelmäßigkeiten gegenüber. Der Schmuddelcharme mancher Orte im Herzen der deutschen Hauptstadt scheint sich nicht mit Berlins zukünftigen Repräsentationszwecken zu vertragen. Über die Identität der ohnehin schon schlichten Bauwerke in der politischen und ökonomischen Mitte schreibt Christian Thomas in einem Beitrag für Centrum, dem Jahrbuch für "Architektur und Stadt 1997-1998": "Das entstehende Regierungsviertel mit seinem grotesken Abschirmungswahn urbaner Strukturen, der boomende Schick und die hohle Betriebsamkeit am zukünftigen Potsdamer Platz, die verödeten Straßen rund um die Friedrichstraße: Resonanzböden des urbanen Quick Step sind das nicht."

Der öffentliche Raum soll hübsch anzuschauen sein, und dabei ist er meist nur langweilig. Die Angestelltenheere brauchen nicht in einer aufwendigen Beaubourg untergebracht zu werden, die architektonischen Schmuckstücke sind der Museumsinsel vorbehalten. Und zum Meinungsaustausch ist der öffentliche Raum ebenfalls nicht nötig, da reicht die elektronische Kommunikation aus. Nur die Obdachlosen und Bettler in der Fußgängerzone und vor den Einkaufspassagen beschädigen noch das Bild der hypertrophen Innenstadt.

In dem Maße allerdings, in dem die Planung der Großbauten voranschreitet, regredieren die einfacheren Stadtbezirke. Berlins Wohnungspolitiker beraten seit Jahren über Strategien gegen die Verslumung dieser sozialen Brennpunkte. Statt die Sparpolitik zu revidieren, werden private Hygiene- und Kontrolltrupps bemüht. Nachdem Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) der Öffentlichkeit erneut ein Gutachten über die sogenannten "Problemgebiete" Berlins vorgestellt hatte, kündigte Bausenator Jürgen Klemann (CDU) neue alte Wohnkonzepte an: Beschädigungen und Schmierereien sollen demnächst sofort beseitigt werden, um keinen falschen Eindruck bei friedliebenden Passanten oder gewaltbereiten Jugendgangs zu erwecken. Die Händler am Pariser Platz sollen vertrieben, die Penner am Breitscheidplatz am Stadtrand ausgesetzt werden. Auf die Fehlbelegungsabgabe für Besserverdienende im sozialen Wohnungsbau soll verzichtet werden, wenn der Mietermix gefährdet scheint, und in den Eingangsbereichen berüchtigter Häuser sollen Pförtnerlogen eingerichtet werden. Im Tempelhofer Ortsteil Marienfelde hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft Degewo bereits ein solches Pförtner-Pilotprojekt gestartet.

"Angetreten ist die moderne Architektur zweifellos mit dem Anspruch, daß das Leben leichter würde. Nun hat das kahlgeräumte Ambiente der modernen Architektur nicht nur den Aspekt der Bequemlichkeit, sondern auch den der Askese", schreibt Hermann Czech in seinem Aufsatz "Komfort und Moderne" für das Architektur Jahrbuch 1997. Es liegt nicht nur an der vom Bauherrn stets geforderten Kostenminimierung, die monolithischen Großblöcke in der City und in den Vorstädten sind auch Ausdruck des Zeitgeistes. Die asketische Pflicht der Architekten erschwert auf jeden Fall eine extravagante Kür der Bewohner.

Blättert man in den aktuellen Architektur-Jahrbüchern, so fällt die Ähnlichkeit der besprochenen Bauwerke sofort auf. Industrieanlagen ähneln Konzerthäusern, der Zweck der Kästen bleibt beim ersten Außenanblick verborgen. Das technologische Paradigma, das in den siebziger Jahren noch mit der Konstruktion expressiver Technik verbunden war, hat längst seine Provokation verloren. Renzo Piano entwickelte vor zwanzig Jahren die "fröhliche Stadtmaschine", das Pariser Centre Pompidou, heute ist er für den Masterplan des Potsdamer Platzes in Berlin verantwortlich. In einem Interview mit Centrum erklärt Piano: "Die Tragödie Europas resultiert aus seinem Mangel an kreativer Energie", und man hat den Eindruck, daß der Baumeister selbst von der akuten Mangelerscheinung geplagt wird.