Lübecker Brandanschlag

Die Inflation der Geständnisse

Nein, nicht jede Aneinanderreihung schlecht formulierter Sätze, in denen Textfragmente wie "Shell-Tankstelle am Padelügger Weg", "hölzerner Vorbau" oder "Benzin ausgekippt" auftauchen, muß gleich ein Geständnis sein. Im Gegenteil: Was vergangene Woche als mögliche Selbstbezichtigung des Grevesmühlener Heiko P. in einzelnen Printmedien die Runde machte, wirkt wie eine akribische Zusammenfassung aller Verdachtsmomente, wie sie in verschiedenen linken Publikationen zum Lübecker Brandanschlag nachzulesen sind.

Die auf knapp drei Seiten heruntergeschriebene Beichte, in der ein Heiko P. sich und seine einstigen Freunde Dirk T., Maik W. und René B. der Urheberschaft des mörderischen Feuers bezichtigt, liest sich wie ein Drehbuch mit vorgegebenen Eckdaten: Führende Neonazikader aus Hamburg sollen demnach die vier Männer zur Tat angestachelt haben, um dem "Führer" ein Denkmal zu setzen, "das so schnell keiner vergißt". Und natürlich erinnert sich Heiko P. vage daran, daß am kommenden Tag im Bonner Bundestag "eine Gedenkfeier mit Juden aus Israel" stattgefunden habe. Bisher wäre soviel politisches Allgemeinwissen einer maßlosen Überschätzung der intellektuellen Fähigkeiten des Mecklenburger Mannes gleichgekommen.

Vor allem aber löst der vermutlich unbekannte Regisseur des Beichtwerkes alle Seltsamkeiten der Brandnacht halbwegs gekonnt in einem Szenario auf, das beschreibt, wie die Grevesmühlener in jenen ersten Stunden des 18. Januar 1996 ein Auto geklaut, getankt und schließlich die Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße 52 in Brand gesetzt hätten. Selbst Ungereimtheiten, von denen in der kleinen linken Öffentlichkeit kaum mehr die Rede war, sind entsprechend eingebaut. So bastelt der Autor des Geständnisses beispielsweise jenen jungen Mann ein, der in der Nähe des Gebäudes mit einem Beil geschwungen und nach Zeugenangaben Maik W. ähnlich gesehen haben soll. Fast niemand hatte dieser Kuriosität im vergangenen Jahr noch Beachtung geschenkt.

Last not least gelingt Heiko P.s mutmaßlichem Ghostwriter, was bisher niemand geschafft hat: Endlich wissen wir definitiv, daß die fragwürdigen Zeugen der Anklage im Prozeß gegen Safwan Eid, die Rettungssanitäter Matthias Hamann und Jens Leonhardt, über Kontakte in die Grevesmühlener Rechtsradikalen-Szene verfügen: "Der Schünemann hat versprochen", heißt es über einen der angeblich Mitverantwortlichen, "sie würden alles organisieren, sie hätten Freunde bei der freiwilligen Feuerwehr und bei der Polizei. Ich erinnere mich an die Namen Leonhardt und Hamann."

Alles Paletti, könnte man meinen, endlich fügt sich zusammen, was zusammengehört. Vielleicht. Höchstwahrscheinlich aber nicht. Die ideale Verschwörungstheorie wirkt schlichtweg zu perfekt, um wahr zu sein. Warum auch sollte der zur Zeit in Bützow inhaftierte Heiko P. auf den Gedanken kommen, aus dem Knast heraus ausgerechnet den Lübecker Nachrichten und der jungen Welt ein schriftliches Geständnis zu schreiben und obendrein seinen Anwalt außen vor zu lassen. Auch dieser, der Verteidiger Frank-Eckhard Brand, hält die per Fax aus dem holsteinischen Reinfeld verschickte Selbstbezichtigung für gefälscht. Wortwahl und Diktion des Bekennerschreibens entsprächen nicht der seines Mandanten.

Man ist gezwungen, erstmals seit Beginn der Ermittlungen zum Brandanschlag selbst dem Lübecker Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz zu glauben, wenn er "nicht unerhebliche Zweifel an der Echtheit des Schreibens" äußert. Sollte der Brief ein Fake sein, hat er vor allem eines erreicht: Das geringe Interesse an den bereits abgelegten Grevesmühlener Geständnissen dürfte noch weiter sinken. Schon die tatsächliche Selbstbezichtigung des Neonazis Maik W. ist bereits zwei Wochen nach ihrem Bekanntwerden wieder ad acta gelegt. Aber vielleicht liegt ja genau hier die Motivation für eine Fälschung: Wenn schon bisher weder Staatsanwaltschaft noch sogenannte kritische Öffentlichkeit den Geständnissen der tatverdächtigen Männern besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben, kommt es doch auf ein Geständnis mehr oder weniger nicht mehr an. Die Inflation der Geständnisse als Provokation - hat die Kommunikationsguerilla zugeschlagen?