Gelobte Demokratiekunde

Weil die Heimatstadt des wehrpolitischen Sprechers der Unionsfraktion keine Kaserne hat, werden im Wahlkampf Soldaten aus dem knapp 80 Kilometer entfernten Koblenz zum Gelöbnis angekarrt

Siegen, eine 100 000-Einwohnerstadt inmitten der südwestfälischen Provinz. Siegen will hier am 27. September auch Paul Breuer, der lokale Bundestagsabgeordnete der CDU, der seiner Fraktion auch als verteidigungspolitischer Wadenbeißer dient. Ehrensache, daß Bundeswehr-Minister Volker Rühe seinem Parteifreund kameradschaftlich mit einem Öffentlichen Rekrutengelöbnis der S-Klasse unter die Arme greift. 600 Rekruten aus Rennerod und Koblenz sollen am 24. April quer durch den schönen Westerwald angekarrt werden, um in Reih und Glied den Siegener BürgerInnen Verfassungstreue und Demokratie zum Nachbeten zu demonstrieren. Für den festlichen Rahmen sollen neben Rühe aIs Hauptredner 150 Zinnsoldaten des Bonner Wachbataillons und 200 geladene Ehrengäste sorgen. Aufgefüllt wird der Platz am Unteren Schloß mit den Verwandten der Wehrpflichtigen und dem örtlichen Jubelvolk.

Doch ganz ruhig wird es selbst im Siegerland nicht bleiben, wenn erstmals seit der Befreiung Siegens vom Faschismus wieder deutsches Militär durch die Stadt marschiert. Gegen das Gelöbnis haben sich verschiedene Friedensinitiativen, Bündnis 90 / Die Grünen, Jusos, Falken, linke Hochschulgruppen und Antifa-Gruppen zu einem Bündnis "SiegenerInnen gegen Gelöbnisspektakel" zusammengeschlossen, das schon vor der Veranstaltung die Ausstellung "BRD ohne Armee - Gewaltfrei handeln" nach Siegen holte und die BürgerInnen mit Vortragsveranstaltungen zur Militärpolitik auf das bevorstehende Spektakel einstimmte.

Für den scharfen Ton sorgten bislang aber vor allem Breuers Parteigänger. So wurden die Jusos, die sich gegen "eine unnötige Militarisierung öffentlicher Räume" gewandt hatten, daraufhin öffentlich von der JU belehrt, sie hätten "nicht erkannt, welche Rolle die Bundeswehr in der Gesellschaft wahrnimmt: Im Gegensatz zu Reichswehr und Wehrmacht ist die Bundeswehr eine demokratische Einrichtung, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Mit der Tradition der Vorläuferorganisationen hat die Bundeswehr nichts zu tun."

Die Geschichtsstunde wurde bei der "Reservistenkameradschaft Siegen im Reservistenverband" von dessen NRW-Vorsitzendem fortgesetzt: Herbert Bäumer erläuterte die Geschichte des soldatischen Eides vom germanischen Volksheer des 8. Jahrhunderts bis zur Eidleistung im Deutschen Bund um 1834, um von dort direkt nach 1956 zu springen. Zur Untermauerung der JU-Aussage reichte das nicht ganz aus. Darauf kam es dem Reservisten Bäumer aber auch nicht an, denn "Eid und feierliches Gelöbnis sollten die Integration des jungen Rekruten in die soldatische Gemeinschaft fördern, ihn auf einer emotionalen Ebene an die soldatischen Pflichten binden und eine erzieherische Wirkung auf den Soldaten im Sinne einer Funktion im Staat ausüben". Beim Gelöbnis habe der Soldat "die Öffentlichkeit zum Zeugen, daß er sich zum treuen Dienen an seinem Land verpflichtet". Schlußfolgerung: "Es wird somit deutlich, daß Gegner der Öffentlichen Gelöbnisse in Wirklichkeit nicht gegen das Gelöbnis opponieren, sondern sie wollen mit ihren Aktionen die Grundwerte unserer Demokratie herabwürdigen."

Auch Breuer selbst schaltete sich in das Wahlkampf-Geplänkel um das Gelöbnis ein: Den SPD-Unterbezirk Siegen-Wittgenstein lud er, angeblich wegen der demokratischen Tradition der SPD und deren Einstellung zur Bundeswehr, zu einem "Bündnis der Demokraten" für das Öffentliche Gelöbnis ein, nur um dem Unterbezirksvorstand bei gleicher Gelegenheit nahezulegen, er möge "sein Schweigen zu diesen skandalösen Vorgängen brechen" - gemeint waren die milde-militärkritischen Äußerungen der Jusos. Die örtliche SPD folgte der Einladung Breuers nicht. Dafür veröffentlichten 30 "Bürger pro Gelöbnis" einen Aufruf in der Siegener Zeitung, garniert mit dem Siegener Stadtwappen - Krönchen vor Schwarz-Rot-Gold. V.i.S.d.P. zeichnet Reservist Bäumer. Die UnterzeichnerInnen "bitten die Bevölkerung um Teilnahme am Gelöbnis, um so die Verbundenheit mit der Bundeswehr und unseren jungen Mitbürgern deutlich zu machen".

GelöbnisgegnerInnen, die angeregt hatten, der Bundeswehr keinen öffentlichen Platz zur Verfügung zu stellen, erfuhren von der Stadtverwaltung Siegen, darüber könne man selbst gar nicht entscheiden. Nach Paragraph 2, Absatz 2 des Gesetzes über die Ausübung unmittelbaren Zwangs durch Soldaten und Zivilangestellte der Bundeswehr habe die Bundeswehr bei der Erfüllung einer dienstlichen Aufgabe unmittelbares Zugriffsrecht auf öffentliche Plätze.