Revolution gegen die Arbeit

Wie der sozialdemokratische Arbeits-Mythos der Volksgemeinschaft den Boden bereitet.

Die Geschichte, sagt Karl Marx, ereignet sich einmal als Tragödie, ein zweites Mal als Farce. Längst nachdem Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Parteikommunismus die Integration des Proletariats in die Klassengesellschaft bewerkstelligt haben, inszenieren derzeit Linke unterschiedlichster Couleur ein sozialreformistisches Komödiantenstadl, der der Marxschen Diagnose zu trauriger Aktualität verhilft.

Entgegen der Reklame, nun würden neue Wege beschritten, alternative Strategien gewählt und man befleißige sich origineller und kreativer Problemlösungen, ist der gesamte sozialreformistische Katalog die Wiederkehr des Immergleichen: Der Staat soll gegen den Markt ins Feld geführt werden. Diese Ideologie ist so neu wie Staat und Kapital. Das Unbehagen gegenüber der "Anarchie des Marktes" gerinnt zum Vertrauen in die ordnende Macht des Staates. Weil der Staat tatsächlich die Bewirtschaftung der Ware Arbeitskraft betreibt, wird er zum Adressaten der Forderungen der Lohnabhängigen: seine Sozialleistungen sind die materielle Bedingung der sozialreformistischen Ideologie. Was Moment der Reproduktion des Kapitalverhältnisses ist, erscheint als karitativer Selbstzweck und wird mit dem Grundgesetz rumfuchtelnd eingeklagt. Der Staat ist selbstverständlich der Staat des Kapitals, aber er ist kein Club der Kapitalisten. Gerade weil der bürgerliche Staat das Kapital- und somit Klassenverhältnis rechtlich zu garantieren und politisch zu organisieren hat, steht er über den Klassen: So erzeugt er die Illusion von der Autonomie der Politik.

Die Sozialreformer erwarten vor allem drei Dinge vom Staat: Arbeit, Arbeit, Arbeit! Nicht den Arbeitszwang der bürgerlichen Gesellschaft kritisiert der Sozialreformismus, sondern die Unfähigkeit des Marktes, Vollbeschäftigung herbeizuführen. Was aber der individuellen Selbsterhaltung dient, ist noch lange nicht subversiv: den BesitzerInnen der Ware Arbeitskraft durch ABM zum Absatz zu verhelfen, ist Kapitulation vorm Bestehenden, nicht seine Überwindung. Die finge vielmehr damit an, der herrschenden Alternative von Arbeitsamt und Fabrik mit der Forderung nach kommunistischer Arbeitslosigkeit für alle zu begegnen. "Statt in den Zeiten der Krisis eine Verteilung der Produkte und allgemeine Belustigung zu verlangen, rennen sich die Arbeiter vor den Türen der Fabriken die Köpfe ein", bemerkte Paul Lafargue 1887 in seinem Pamphlet "Das Recht auf Faulheit", seiner Kritik des Rechts auf Arbeit, was bei den vom deutschen Arbeitswahn und anderen Sekundärtugenden verdorbenen Sozialreformern nur Kopfschütteln hervorrufen kann.

Keine Bewegung ist zu abgeschmackt, als daß Linke nicht ihre pädagogischen Neigungen daran ausleben würden. Auch als kürzlich die Studierenden murrten, man würdige sie, die Ressource Wissen, am Standort Deutschland nicht gebührend, gaben viele Linke den Bewegungsonkel. Obwohl die Studierenden sich für ihre Flugblätter nicht mehr interessierten als für das, was sie normalerweise in der Universität pauken, verbreiteten etliche Linke zwanghaften Optimismus und traktierten sie mit der Aufforderung, den Protest zu "verbreitern" und "auszuweiten" - mit dem Ergebnis, daß aus zwei dusseligen Bewegungen eine wurde und Studenten und Gewerkschafter vereint für Arbeit und Bildung demonstrierten. Zwar ist noch niemals eine Bewegung durch linke Propaganda entstanden, doch fahndet man immer noch nach dem Patentrezept, das die Leute auf die Straße treibt. Nüchtern wird taxiert, welche Forderung das Objekt der Begierde - "die Masse" - hinterm Ofen hervorlocken könnte: ein bißchen Grundsicherung? Mieten einfrieren? Die Befreiungsperspektive ist auf ein Programm sozialstaatlicher Wohlfahrt eingeschrumpft. Statt die Subversion des Bestehenden zu versuchen, empfiehlt man sich als besserer Anwalt der "kleinen Leute".

Wenn Arbeitsfetisch und Etatismus erst einmal kritisiert sowie die Leier von der "Vermittlung linker Politik" und der "Radikalisierung" affirmativer Bewegungen als Heimatsehnsucht durchschaut sind, die immer nur nationalen Opportunismus hervorbringen, dann können wir endlich über das Selbstverständliche sprechen. Reden wir über das, was von den Linken allseits kollektiv beschwiegen wird: Reden wir über Kommunismus. Über Anarchie. Über den globalen Anarchokommunismus, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft, in der es nie wieder Deutsche, dafür immerhin freie Individuen geben wird. Reden wir nicht nur über die Abschaffung der Lohnarbeit, sondern über die Abschaffung der Arbeit überhaupt. Über die soziale Liquidation des Geldes. Über die freie Assoziation. Über die Abschaffung des Staates und über die Liquidation des Kapitals. Reden wir darüber, daß der totalitären Gesellschaft der Herrschaft und der Ausbeutung ein Ende gesetzt werden muß, daß dies Ende nur revolutionär gesetzt werden kann.

Sprechen wir darüber, warum der Kommunismus kein Ideal und kein politisches Programm ist, kein Prinzip, keine Utopie. Sondern: das Gebot der Vernunft, ihr Diktat, das sich nicht in positiven Sätzen, sondern in der negativen Kritik des Bestehenden nur aussprechen kann. Sprechen wir also über Kommunismus, über das Einfache, das trotz allem leichter zu denken als zu machen ist. Reden wir wieder vom kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen und abzuschaffen, unter denen die Menschen ausgebeutete und beherrschte Wesen sind: Nicht etwa, um diesen Imperativ zu begründen. Die Evidenz der Vernunft bedarf keiner weiteren Begründung. Sondern um uns ihn anzueignen als den Nerv der sozialrevolutionären Kritik.

Die Autorinnen und Autoren gehören der "Initiative Sozialistisches Forum" (ISF) aus Freiburg i.Brsg. an, die mit dem obigen Text zu einer Konferenz von 24. bis 26. April einlädt. Titel der Konferenz: "Terror der Ökonomie - Elend der Politik". Der Text wurde redaktionell stark gekürzt.