Trick 17

Wie avantgardistisch ist der Animationsfilm? In Stuttgart fand das Internationale Trickfilmfestival statt

Wenn in Stuttgart einmal etwas stattfindet, dann beflügelt das die Phantasie der Einheimischen, dann droht, angesichts der eher festgefügten Verhältnisse vor Ort, im Wortsinne Phantastisches entdeckt zu werden. Thomas Klingenmaier, ein Lokalreporter der Stuttgarter Zeitung, der zwischen dem 3. und dem 8. April dieses Jahres über das 9. Internationale Trickfilmfestival (ITF) zu berichten hatte, geriet über die Animation an die Alliteration, und die führte ihn direkt zur Rechtschreibreform: "Mit der entfesselten filmischen Fantasie kann sowieso nichts konkurrieren", schrieb er dahin, nachdem sein Text schon mit der konkurrenzlos phantasievollen Überschrift "Fantasie statt Glimmer" betitelt war. Damit sollte auch Stuttgarts Kulturbürgermeisterin, Iris Magdowski, gelobt werden, die in ihrer Begrüßungsansprache vom "Kino als Ort der Demokratie" phantasierte, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß sie als Kulturbürgermeisterin keineswegs die demokratiefeindlichen Dinger von Disney, sondern die künstlerisch wertvollen, die seit Jahren in Stuttgart gezeigten Phantasiefilme gemeint habe.

Der künstlerische Leiter des Trickfilmfestivals, Albrecht Ade, wollte sich auf eine Demokratiediskussion nicht einlassen, sondern verortete die Animation auf der Seite der Avantgarde: "Wir stellen hohe Ansprüche, und deshalb ist das ITF auch in einer Gegenposition zur gegenwärtigen Medienlandschaft." Da saßen sie nun, die Trickfilmfestivalbesucher, in der alten Reithalle neben dem Maritim-Hotel, die einen jubelten bei den Cartoons, die anderen beklatschten die Sand- oder Salzanimationen, die einen wollten keine Puppen und keine Knete mehr sehen, die anderen langweilten sich beim impressionistischen Zeichentrick. Einig war man sich aber darin, einer Veranstaltung beizuwohnen, die mit der gemeinen Filmindustrie wenig zu tun hat. Die Attraktivität der Animation scheint von einer innerbetrieblichen Eigenständigkeit abzuhängen; wer da von Einbildung spricht, ist Miesmacher und Geschäfteverderber. Dabei ging es in Stuttgart so zu wie auf jeder stinknormalen Messe. Ob die Ware Trickfilm oder Mastvieh heißt, es werden nun einmal Erzeugnisse präsentiert, Sponsoren stellen Geld zur Verfügung, und es werden Auszeichnungen verliehen.

In Stuttgart ging zum Beispiel nichts ohne Mercedes-Benz, was nicht unbedingt gegen das Festival spricht. Nur nervt der Gestus der Besonderheit, wenn der Untertürkheimer Autokonzern die Show finanziert. Die Animation "Sex & Violence" des Amerikaners Bill Plympton ist so wenig exklusiv wie die A-Klasse. Beide verursachten einen mittelmäßigen Skandal, der die Kundschaft amüsierte. Plymptons Gags seien sexistisch, beschwerten sich die dem Ernst der Weltenlage bewußten Zuschauer, und der Trickfilmer, der in Stuttgart den Preis für den "witzigsten Film" erhielt, lieferte den Sexismussuchern umgehend die Begründung: "Sex ist klasse, Sex macht Spaß, und wir werden alle Probleme kriegen, wenn wir beginnen, Sex zu hassen."

Viele der im Internationalen Wettbewerb gezeigten Filme erzählten Geschichten voller Schwere und Traurigkeit. Sie taten gut daran, denn die Jury schien dem Motto "Wer nicht ernst ist, der ist auch nicht ernst zu nehmen" zu folgen. Beim diesjährigen ITF mogelte sich nur ein kleiner, liebenswerter Film unter die prämierten Ernsthaftigkeiten: "La Grande Migration" von dem in Frankreich lebenden Iouri Tcherenkov - ein Stück über die Irrflüge eines bunten, dickbauchigen Vogels, der im Nebel seinen Schwarm verloren hat. Der Film, der zwischen einem vorsichtigen Lächeln und dem lauten Lachen viele Nuancen zugelassen hat, wurde mit dem Internationalen ProSieben Preis für Animation ausgezeichnet.

Dem ambitionierten Laien erschlossen sich selten die technische Komplexität der gezeigten Arbeiten; Carmen in Salz war nur noch bunt und kitschig. Technisch wenig Versierte konzentrierten sich also auf die Storys. Auffallend viele Handlungen wurden über stereotype Charaktere geführt: die treue Mutter, das ängstliche Kind, der verschrobene Wissenschaftler. Eine Ausnahme stellte der Film "Höhlenangst" von Benjamin Quabeck dar: Ein reizendes, rüsselnasiges Wesen versorgt einen mißmutigen Drachen. Um das Untier bei Laune zu halten, malt das rüsselnasige Wesen Cartoons. Gäbe es die rüsselnasige Dame nicht, die mit ihrem Drachen im Bunker gegenüber haust, hätte er seinen Job längst aufgegeben. Dieser Film kam bei der Jury nicht an. Dafür wurde der Beitrag über einen Besessenen, der sein Leben der Frage "How Wings Are Attached to the Backs of Angels" gewidmet hatte, umso wohlwollender bewertet. Der akribisch gezeichnete Film des Kanadiers Craig Welch, der sein Publikum in eine beängstigende Welt anatomischer Apparaturen führt, wurde mit dem Preis des Landes Baden-Württemberg bedacht.

Als eine "absurde Idee, die klar und sachlich dargestellt wird", bezeichnet die Jury den Film "Un Jour" der Französin Marie Paccou und spricht ihm den "Internationalen Mercedes-Benz Förderpreis für Animationsfilm" in Höhe von 40 000 Mark zu. Carpe diem.