Mariam Lau über Marcuse

Die große Zustimmung

In der Woche von letzter Woche findet sich eine Retourkutsche auf eine Rezension Volker Ullrichs. Ullrich hatte in der Zeit mit völlig unangebrachtem Respekt gefragt, warum Hans Mommsen einem Buch das Geleit gebe, in dem der Antizionist Norman G. Finkelstein gegen Daniel J. Goldhagen polemisiert. Nun darf der ehemalige Assistent Mommsens, Christian Jansen, in der Woche schreiben, Ullrich habe den "Startschuss für einen Medien-Wirbel" (d.h. die Goldhagen-Debatte, die nur ein Medien-Wirbel war) abgefeuert. In Deutschland werden also sogar Wirbel durch Schüsse ausgelöst.

Dann langt Jansen noch einmal mit beiden Händen in den Schmutz, aus dem sich Goldhagens deutsche Gegner bedient haben. Goldhagen habe einen "Nationalcharakter" der Deutschen behauptet, behauptet Jansen über dessen "simplifizierende amerikanische Dissertation", um im gleichen Atemzug sogar einen Fall von Rassismus zu insinuieren: "Undenkbar, dass heute in den USA noch eine Dissertation mit derartigen Kollektiv-Erklärungen für das Verhalten der 'Afroamerikaner' reüssieren könnte!" Ein Mann auf der Suche nach seinen Roots. Oder, schlichter: ein Angestellter einer deutschen Universität.

Da fügt es sich gut, daß in derselben Ausgabe auch die Verfasserin einer der ersten und übelsten Beschimpfungen Goldhagens, Mariam Lau, vertreten ist. Früher hätten "konservative Kommentatoren" Herbert Marcuse als "geistigen Ziehvater" des Terrorismus hingestellt, weiß Lau, und sie hätten "damit so falsch nicht gelegen". Wie man sich bettet, so liegt man. Die konservative Kommentatorin legt sich gern ins gemachte Bett, aber hier setzt sie sich in die Nesseln: "Auf dringende Bitten aus Nachkriegs-Deutschland kehrten Max Horkheimer, später auch Theodor W. Adorno und Herbert Marcuse nach Frankfurt zurück (Ö)." Marcuse kam also ins Land der Mörder seiner Verwandten, um der RAF den Sprengstoff zu liefern - solche "hitverdächtigen Begriffe wie 'repressive Toleranz', 'neue Sensibilität', 'große Weigerung' und 'Naturrecht auf Widerstand'". Aber wie hat er überhaupt die Zeit gefunden, nach Frankfurt zurückzukehren? Bekanntlich arbeitete Marcuse ab 1934 im nach New York vertriebenen Institut für Sozialforschung, hatte in den Vierzigern einen Job beim Office of Strategic Services in Washington, wechselte 1951 an die Russian Institutes in New York, wirkte ab 1954 als Professor in Newton und lehrte, nach einem kurzen Gastspiel in Paris, ab 1965 an der University of San Diego. Sollte er in den Jahren 1968 und 1969, als er in Paris, London, Rom und auch in Berlin Vorträge hielt, kurz nach Frankfurt gereist sein, um seine "Brutstätte des Terrors" zu begründen? Vielleicht kann uns Frau Lau eines Tages darüber aufklären.

Was übrigens den "hitverdächtigen Begriff" der "Großen Weigerung" betrifft, mit dem Lau ihren Artikel überschreibt: Den hatte sich Marcuse bei Maurice Blanchot ausgeliehen. Im "One-Dimensional Man" zitiert er ihn mit den Worten: "Es gibt eine Vernunft, die wir nicht mehr akzeptieren; es gibt eine Erscheinung von Weisheit, die uns in Schrecken versetzt; es gibt die Aufforderung zuzustimmen und sich zu versöhnen. Ein Bruch ist eingetreten. Wir sind zu einer Freimütigkeit verhalten, die das Mittun nicht mehr duldet." ("Le Refus", 1958) Würde Marcuse heute, nachdem die "Irrläufer" die "Waffen gestreckt haben", endlich die "Normalität" des postnazistischen Deutschland anerkennen, von der Lau in einer Fernsehdiskussion über Goldhagen einmal sprach? Man müßte ihm raten, nicht die Woche zu lesen.