Vesna Pesic

»Keine Seite darf die andere unterdrücken«

Vesna Pesic ist Vorsitzende der Bürgerallianz Serbiens. Gemeinsam mit Zoran Djindjic und Vuk Draskovic gründete sie 1996 das national-bürgerliche Oppositionsbündnis Zajedno, das jedoch im Frühjahr 1997 wegen interner Streitigkeiten zerbrach. Mit dem Ende des Bündnisses verlor auch ihre Partei an Bedeutung. Le Monde diplomatique attestiert ihr heute lediglich ein "symbolisches Gewicht". Innenpolitisch hat die studierte Philosophin seitdem versucht, durch Aufrufe zum Wahlboykott die Position des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu schwächen. Auch im Konflikt um den Kosovo forderte sie die serbischen Wähler auf, am Referendum über eine internationale Vermittlung nicht teilzunehmen. Auf Einladung der Europäischen Akademie besuchte sie Ende April Berlin.

Jugoslawiens Präsident Slobodan Milosevic weigert sich weiterhin, einer internationalen Vermittlung im Kosovo-Konflikt zuzustimmen, mit der Begründung, es handele sich um ein inneres Problem Serbiens. Unterstützt wird er darin von Vuk Draskovic, Ihrem Partner aus dem Zajedno-Bündnis, während der zweite aus dem 1997 zerbrochenen Trio, Zoran Diindjic, für internationale Vermittlung plädiert. Ist der Kosovo wirklich nur ein inneres Problem Serbiens?

Geographisch gesehen, handelt es sich natürlich um einen internen Konflikt. Nur kann das nicht heißen, ihn über Jahre hinweg nicht zu lösen. Inzwischen hat sich die Lage verschlechtert, weil die Albaner im Kosovo ein komplettes Parallel-Leben aufgebaut haben, ökonomisch, in der Bildung, im Gesundheitswesen. Mit einer Exilregierung, eigenen Politikern, eigenen Wahlen, so daß sie in keiner Form am politischen System Serbiens teilnehmen. Und seit jüngstem gibt es die Befreiungsarmee. Seit zehn Jahren ist der Kosovo ein internes Problem Serbiens, und ich habe wirklich nichts dagegen, wenn wir viele unserer großen inneren Probleme lösen, einschließlich das des Kosovo.

Unter internationaler Beteiligung?

Ja, weil es weder in Serbien noch im Kosovo jemanden gibt, der die Rolle eines Vermittlers spielen könnte. Der Vermittler darf den Prozeß nur initiieren und begleiten, das Ergebnis aber nicht vorwegnehmen. Denn wenn wir einen wirklichen Dialog zwischen den beiden Seiten haben wollen, dann dürfen wir nicht vorher sagen, was die Lösung ist. Bis ein Modus vivendi gefunden ist, müssen beide Seiten sagen: Keine bewaffneten Auseinandersetzungen!

Die OSZE hat als Vermittler den früheren spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonz‡lez vorgeschlagen ...

Ich denke, daß er der richtige für diese Art von Verhandlungen wäre, weil er weiß, daß uns zur Lösung vieler innerer Probleme die demokratischen lnstitutionen fehlen. Und da sich Gonz‡lez während der OSZE-Wahlbeobachtung letztes Jahr schon mal - ich sage das in Anführungsstrichen - in die inneren Angelegenheiten Serbiens eingemischt hat, ist anzunehmen, daß er an diese gute Arbeit anknüpft. Darüber hinaus bringt er für uns hilfreiche Erfahrungen aus Spanien mit - ebenfalls ein kompliziertes Land mit seinen ganz eigenen Autonomie-Konflikten.

Das Referendum hat Milosevics ablehnende Position gestärkt. Kann er es sich aus dieser kraftvollen Abwehrhaltung heraus denn überhaupt noch leisten, Verhandlungen unter ausländischer Leitung zuzustimmen?

Milosevic hat das Referendum nur benutzt, um sich hinter dem Volk verstecken zu können. Damit kann er aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß er schon bald in einer Situation sein könnte, in der er nach internationaler Vermittlung ruft, weil auch er sehen muß, daß sich das Problem anders nicht lösen läßt. Im Moment sieht einfach keiner, wie dieser Dialog beginnen soll und wie der Krieg verhindert werden kann. Deshalb muß verhandelt werden, wobei wir nicht auf einer bestimmten Person bestehen.

Schon vergangene Woche haben die USA damit gedroht, im Alleingang schärfere Strafmaßnahmen zu verhängen und bilaterale Verhandlungen mit Belgrad aufzunehmen, sollte die Kontaktgruppe härtere Sanktionen nicht mittragen. Damit stehen sich zwei Optionen gegenüber: Eine EU- bzw. OSZE-Vermittlung gäbe Jugoslawien zumindest mittelfristig die Perspektive eines Assoziierungsabkommens mit der EU. Das US-Engagement in Jugoslawien hingegen steht für eine engere Anbindung Serbiens an die Staaten des Südbalkan. Mit wem halten Sie es?

Es ist weder klar, was die EU wirklich von Serbien will, noch kann man mit Sicherheit sagen, wie die US-Strategie für den Balkan tatsächlich aussieht. Talbott äußerte sich vor einigen Tagen so, als ob die USA auch weiterhin einen OSZE-Vermittler akzeptieren könnten. Deshalb bin ich mir wirklich nicht im klaren darüber, wer nun welche Position vertritt. Was wiederum klar ist, ist eins: Sanktionen werden keinerlei Auswirkung auf die Lage haben. Ich frage mich, wessen große Auslandskonten gesperrt werden sollen. Potentielle Investoren wissen selbst am besten, daß Serbien derzeit nicht das Land ist, in das es sich zu investieren lohnte. Dafür muß man keine Sanktionen verhängen. Und wie werden sie denn begründet? Allein dadurch, daß Serbien keinen internationalen Vermittler anerkennt?

Die Kontaktgruppenforderung nach sofortigem Abzug der Polizeisondereinheiten und der Armee hat Belgrad nicht umgesetzt.

So what? Wenn bewaffnete Albaner die Grenze zum Kosovo überqueren, ist es ja wohl rechtens, daß Polizei und Armee das verhindern.

In dem Punkt stimmen Sie also mit Milosevic überein?

Es ist nun einmal so, daß es im Kosovo an der Grenze zu Albanien Regionen gibt, die weder die serbische Polizei noch die Armee betreten können, weil sie sich unter albanischer Kontrolle befinden. In der Schweiz werden Tausende von Dollar gesammelt, damit sich die Albaner im Kosovo bewaffnen können. Deshalb befürchte ich, daß es in erster Linie die Albaner sind, die einen neuen Krieg wollen. Ehrlich gesagt glaube ich, daß die Serben viel zu schwach und zu kriegsmüde sind, um im Kosovo zu kämpfen. Die Albaner glauben verstanden zu haben, daß sich nur mit einem Krieg etwas erreichen läßt. Wenn neue Sanktionen gegen Milosevic verhängt werden, muß auch gesagt werden, warum. Denn wenn er die Grenzen verteidigt, damit keine bewaffneten Kräfte ins Land eindringen, wüßte ich nicht, was daran falsch wäre.

Bonn drängt besonders auf die Rückkehr der 140 000 Kosovo-Albaner, die schon jetzt in Deutschland leben, und Außenminister Kinkel warnt vor neuen Flüchtlingsströmen ...

Ich verstehe, daß es in Deutschland viele Ängste vor neuen Flüchtlingen gibt. Schließlich war es das großzügigste Land, was die Aufnahme von Flüchtlingen hier betrifft. Als Herr Kinkel letzten Sommer in Belgrad war, versprach Milosevic ihm, alle Kosovo-Albaner, denen die deutsche Regierung kein Asyl gewährt habe, wieder aufzunehmen. Nun ist ein Jahr vergangen, aber wo sind all die Flüchtlinge, die zurückkehren sollten in den Kosovo? Ich sehe sie nicht. Ich verstehe auch das deutsche Interesse an einer Rückkehr der Flüchtlinge in naher Zukunft. In beiderseitigem Interesse also wäre eine rasche Lösung der Flüchtlingsproblematik wünschenswert.

Bietet sich da nicht der von der Tito-Verfassung bis 1989 garantierte Autonomie-Status als politisches Modell für die Provinz an?

Dem Kosovo müßte schon eine breitere Autonomie zugesprochen werden. Aber das wird sehr schwierig zu verhandeln sein, weil die Albaner knallhart am Ziel der Unabhängigkeit festhalten. Auf der anderen Seite will auch die serbische Seite nicht viel am Status quo ändern. Die Positionen liegen also sehr weit auseinander. Deshalb muß es einen Kompromiß geben, wonach keine Seite die andere dominieren oder unterdrücken darf. Die Geschichte zeigt, daß sowohl die Albaner, wenn sie an der Macht waren, Gewalt gegen Serben ausgeübt haben wie auch umgekehrt. Das muß sich ändern.

Nicht erst seit Beginn des Konflikts bemühen sich Europa wie auch die Vereinigten Staaten darum, den Präsidenten Montenegros, Milo Djukanovic, politisch gegen Milosevic in Stellung zu bringen.

Ja, deshalb unterstützen wir ihn auch mit aller Macht. Er verfolgt eine andere Politik als Milosevic. Er will eine Öffnung des Landes und Teilhabe an monetären Fonds, so wie wir uns das für Serbien auch wünschen. Das Gleiche gilt für seine Forderung nach demokratischen Institutionen.

Aber birgt diese Verhandlungsstrategie nicht die Gefahr eines neuen, eines montenegrinischen Separatismus in sich?

Das denke ich nicht. Auch Djukanovic will die Einheit von Jugoslawien durch eine Abspaltung nicht zerstören und sieht die Notwendigkeit, daß beide Republiken zusammenbleiben müssen. Was Montenegro vom Kosovo oder auch Slowenien unterscheidet, ist, daß seine Identität nicht so sehr auf einem ethnischen Hintergrund beruht, sondern auf der Tatsache, daß es schon einmal einen montenegrinischen Staat gab. Ohne Zweifel gibt es separatistische Strömungen in Montenegro. Doch wenn die Angriffe aus Belgrad zunehmen, könnten sie an Bedeutung gewinnen.