Mit dem Arsch denken

Die Steigerungsform von Hans Meiser heißt Andreas Türck

Da steht und grinst er, die Haare auf widerborstig gefettet, Modell "Herr Stachelschwein geht schwofen", mager und gebräunt und schon wieder in einem seiner grauenhaften Siebziger-Revival-Pullunder, und nun geht das Sprachloch in seiner Animateursvisage auf, geht auf und auf, und die Busladung hinter ihm johlt, daß die Kulissenpappe wackelt, und jetzt spricht er, und es ist alles zu spät, und nun beginnt die Sache und wird nie und nimmer enden, jedenfalls bis 16 Uhr nicht ...

Andreas Türck resp. "Andreas Türck" ist seit dem 25. Februar in der After-hour nach Arabella auf Pro 7 zu besichtigen. Die offizielle Homepage behauptet: "Ob es um ganz alltägliche Dinge geht, um Partnersuche, Generationskonflikte, um Freud oder Leid: die Talkshow 'Andreas Türck' ist das unterhaltsame TV-Happening für alle." Klingt nach einem rundum revolutionären Konzept, zumal da das Happening nicht etwa von einem anonymen Redakteurskollektiv, sondern "von Andreas Türck inszeniert" wird, "mit Interviews, versteckter Kamera, Kurzreportagen, Performances, Show-Acts".

Der Moderator - sein eigener Regisseur? Kaum zu glauben. Ist ja auch geflunkert. Wenn Herr Stachelschwein beim Hampeln nicht aufpaßt und sein Hinterschädel ins Bild schlüpft, wird das Ohrknopfkabel sichtbar, über das ihm Bewegungssignale induziert werden. Und weil der Etat, wie bei allen Chat-Shows, aufs knappste kalkuliert ist, beschränken sich die "Performances" und "Show-Acts" auf das übliche Gelaber, Gebrüll und Geheul.

Der Fall wäre der Rede also nicht wert - gäbe es nicht ihn, das Achte Wunder der Welt, King "Kong" Türck, die aktuell grauenhafteste und vorlauteste Figur, die das Fernsehen an die Front geschickt hat, um, mit Georg Seeßlen zu reden, den "letzten mythischen Widerspruch im Bürgerleben, den zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen" aufzuheben. Wer je im Fernsehen aus seinem Intimleben geplaudert hat, der wird nie wieder eines haben; und je mehr Sendungen um Exhibitionisten buhlen, desto mehr Exhibitionisten wird es geben. Längst haben die Chat-Shows größere Probleme, die Plätze fürs Studiopublikum als die Verhörmöbel auf der Bühne zu besetzen; von einer der neueren Schnatterschauen wird kolportiert, man engagiere regelmäßig junge Models und plaziere sie

in den Rängen, um nicht immer auf immer die gleichen Rentnerköpfe zwischenschneiden zu müssen.

So gering die formalen Differenzen der mittlerweile neun deutschen Daily-Talks sind, so notwendig ist es für sie, sich durch die jeweilige Maske des Moderators von der Konkurrenz abzuheben. Die Sendung trägt seinen Namen, er heißt wie die Sendung, und diese totale Identifikation von Produkt und Produzent macht nur vor, womit wir uns gefälligst abzufinden haben: Daß Identität allein denen vorbehalten ist, die sich offensiv und ohne neurotische Konsequenz als Ware vermarkten - daß Individualität überhaupt nur mehr im Fernsehen zu haben ist. Wer nicht allabendlich "Mein Name ist Barbara Eligmann" in eine Kamera sagen darf, den gibt es als Einzelanfertigung nicht. Ein unlösbares Problem stellt freilich dar, daß die elektronische Persönlichkeit auch bloß virtuell und somit jederzeit austauschbar ist.

Seit Margarethe Schreinemakers vom Bildschirm verjagt wurde, existiert sie nicht mal mehr auf der Seite für "Vermischtes". Bei den älteren Hasen der Branche, die jeden Tag mit dem Tod durch die Quote rechnen müssen, kann man regelmäßig Anflüge von Panik wittern - "Jeopardy" von Frank Elstner oder die jüngsten Gastauftritte der geflopten Ulla Kock am Brink sind Akte der reinen Verzweiflung.

Die Halbwertzeit von Moderatoren hat sich seit Einführung des kommerziellen Fernsehens rapide verkürzt. Davon wollen die Nachwuchszombies natürlich nichts wissen; und diese "Unbefangenheit" beutet das Fernsehen nach Kräften aus. Andreas Türck betreute das Remake von "Dalli, Dalli!" und war damit qualifiziert für seine neue Aufgabe. Er kann nicht zuhören, er interessiert sich einen Scheiß für "irgendsoein armes Schwein" ("Heat"), das ihm die Redakteure aufs Podium geschleift haben und das nun vor Angst und Scham vergeht, und er prunkt mit einer Lebensweisheit, die noch auf der Beratungsseite der Funk Uhr muffig röche. Kurz, er ist prädestiniert für den Job: "Anteil nehmen", teilt die Homepage mit, "Stellung beziehen, ausgleichen und schlichten - diese Eigenschaften haben sich bei Andreas Türck schon im Kindesalter gezeigt".

Die Praxis sieht etwas anders aus. "Stopp mich, Andreas, sonst geh ich auf meine Nachbarn los!" heißt die Sendung am 5. Mai, es wird viel gefaselt, nichts geklärt, und zum Abschluß ruft unser Ombudsmann: "Hauptsache, ihr bleibt gesund und glücklich!" Dann klappt's auch mit dem Nachbarn. Tags zuvor ging es um Männer, die Frauen haben, die nicht kochen können, und um Frauen, die sich die Beschwerden ihrer Macker gefallen lassen und sie nicht etwa mit der gußeisernen Pfanne erschlagen, und wieder hat der Natural born Schlichter zum Schluß eine Empfehlung: "Ich habe eine Empfehlung: Wer Hunger hat, soll sich was zu essen machen." Auf der Bühne, im Publikum, vor den Fernsehgeräten: Alles liegt sich in den Armen vor Erleichterung und Glück; Dankestelegramme aus der Sahelzone. Zwei Tage später - "Meine Freundin geht auf den Strich" - und nach 60 Minuten, die wenigstens eine Familie unrettbar ruiniert haben dürfte, findet St. Andreas Worte der Anteilnahme, bei denen dir die Worte fehlen: "Mein Rotlicht mach ich jetzt aus."

Diesen Dampfhans und Blindschwätzer als eine Instanz zu etablieren und zu vermarkten, die Böses gut und Gutes besser macht, als einen Weltweisen, wie mindestens seit Buddha und Salomo keiner war, ist eine Frechheit, über die man bei Pro 7 mindestens eine Woche lang gelacht haben muß. Die appellativen Titel seiner Shows sind, anders als die Inhalte, in der Tat bislang einzigartig im deutschen Fernsehen, einmalig vermessen und singulär substanzlos: "Andreas, steh' mir bitte bei, denn heute sage ich die Wahrheit!" - "Andreas, nimm meinem Freund die Waffen weg!" - "Andreas, ich will endlich wilden Sex!" Ob er sich erhören ließ, weiß ich leider nicht. Aber man sollte ihm lieber nicht zuviel zutrauen - er hat ja schon Schwierigkeiten mit dem kleinen Einmaleins. Ein pitbullähnlicher Mann, der sich im Garten Stücker 14 Huskies hält, wird von Türck aufgefordert, seinen Bestand doch einfach auf die genervte Nachbarschaft zu verteilen: "Sie kriegen zehn und die anderen fünf." Hastiges Umschalten zur Werbung.

Daß der Daily-Talk der Ort ist, an dem die, die nichts zu melden haben, auch mal was sagen dürfen, und der gesunde Menschenverstand, vulgo: das Mit-dem-Arsch-Denken, zum Sendeformat gerinnt, wird von "Andreas Türck" nicht nur brachial bestätigt, sondern durch Andreas Türck selbst nachgerade in eine Apotheose der Dumpfheit und Bedenkenlosigkeit überführt. Wie er so dasteht in seinem scheußlichen Pullunder und grinst und feixt und Faxen macht im Fernsehkasten, bis ihm das Gel aus den Haarstacheln fliegt, bleibt kein Zweifel, daß hier ein Moderatorentypus geboren ist, dem nichts und niemand etwas anhaben kann, keine Kritik und keine Pump-Gun, ein Pixelwesen, unzerstörbar und unüberwindlich, und schon wieder geht das Sprachloch auf, geht auf und auf, und heraus fallen Worte, und wer sie aufhebt, der wird sie nie mehr los: "Leidest du darunter, daß deine Schwester Prostituierte ist, Manuela?"