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»Holoporn«

Die Goldhagen-Kritik wird obszön: Der Fall Finkelstein.

"Holocaust der Wale" und andere mißbräuchliche Anwendungen und Entstellungen des Begriffs Holocaust kannte ich schon. Doch den Ausdruck "Holoporn" kannte ich noch nicht. Gemeint ist eine Verbindung aus Holocaust und Pornographie. Dabei soll es sich um ein neues "Genre" handeln, das Goldhagen "erfunden" habe. Goldhagen habe keine "wissenschaftliche Untersuchung" vorgelegt, sondern eine "Wahnsinnsthese" vertreten, mit der er von der "Holocaustindustrie" profitiere. Er sei ein "Holocaust-Ideologe" und sein Buch ein weiteres Produkt der "Holocaust-Literatur", die sich grundlegend von der "Holocaust-Wissenschaft" unterscheidet. Weitere Vertreter dieser unwissenschaftlichen "Holocaust-Literatur" seien Yehuda Bauer, Lucy Dawidowicz, Israel Gutman und andere jüdische und israelische Holocaustforscher. Sie und andere nicht genannte "jüdische Intellektuelle" hätten nach dem Sieg Israels im Sechs-Tage-Krieg den Holocaust "entdeckt", um den "jüdischen Staat" als eine "Bastion der westlichen Zivilisation gegen die arabischen Horden" zu feiern und ihn "immun" zu machen "gegen legitime Mißbilligung seiner Politik".

Der Holocaust als Propaganda-Instrument der bösen Zionisten. Dies kommt mir alles bekannt vor. Derartiges kann man an deutschen Stammtischen hören und in den Schriften von rechten und linken Antisemiten und Revisionisten lesen. Ich habe jedoch nicht aus einer revisionistischen Postille, sondern aus einem wissenschaftlichen Buch zitiert, das Beiträge der Chefhistorikerin der Abteilung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit des kanadischen Justizministeriums, Ruth Bettina Birn, und des Professors für Zeitgeschichte an der Universität Bochum, Hans Mommsen, enthält. Haben Birn und Mommsen nicht gelesen, was ihr Koautor da alles von sich gegeben hat?

Es handelt sich um den Professor für Politikwissenschaft an der New York University, Norman G. Finkelstein. Er wird im Klappentext des Buches als "Spezialist für Israelfragen" bezeichnet. Was sind "Israelfragen"? Sollten wir uns nach der "Endlösung der Judenfrage" nicht langsam abgewöhnen, Israel in Frage zu stellen? Tatsächlich ist Finkelstein kein Israel-Experte, sondern ein vehementer Anwalt der Sache der Palästinenser, über die er 1995 ein ziemlich apologetisches Buch ("Image and Reality of the Israel-Palestine Conflict") geschrieben hat. Dagegen wäre noch nicht viel einzuwenden, wenn Finkelstein nicht gleichzeitig Israel und den Zionismus in überaus scharfer und, wie ich finde, auch ungehöriger Weise kritisieren würde. Mommsen zählt Finkelstein zu den "pointiertesten Kritikern des Zionismus".

Kritiker des Zionismus bezeichnet man allgemein als Antizionisten. Viele, aber nicht alle Antizionisten werden leider leicht zu Antisemiten. Finkelstein ist in Gefahr, einer zu werden. Davor schützen ihn seine jüdische Herkunft und linke Gesinnung nicht. Es ist gerade sein Selbstverständnis als linker amerikanischer Jude, das ihn anfällig macht. Deutlich wird dies an seinen Angriffen gegen Goldhagen und andere amerikanische Juden. Sie hätten den Holocaust entdeckt, um davon abzulenken, daß sie mit der "Bürgerrechtsbewegung" der Schwarzen "gebrochen" hätten, "als sie (sich) nicht mehr nur gegen die Kastenunterschiede (...), sondern eher gegen ökonomische Privilegien" richtete. "Jüdische Neokonservative" hätten "auf die Holocaust-Karte" gesetzt, weil "sie sich an prominenter Stelle an den Angriffen gegen die Armen" beteiligt hätten.

Nun ist Finkelstein alles andere als ein etwas naiver Linker oder weltfremder Professor. Er weiß sehr wohl, daß sein Antizionismus als Antisemitismus ausgelegt werden kann. Daher attackiert er mit Bedacht Elie Wiesel, der in der Tat linke Kritik an Israel als antisemitisch denunziert hat, womit er jedoch, wie ich finde, in der Regel recht hatte. Der Nobelpreisträger Elie Wiesel sei für das "Gedenken des Holocaust" das, was "Goldhagen für die Holocaust-Literatur" ist, nämlich ein "Vertreter einer ahistorischen monokausalen Lesart der Vergangenheit". Nicht genug damit, stellt Finkelstein auch noch die Glaubwürdigkeit Wiesels, der bekanntlich Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, als "Zeuge" in Frage.

Dies ist nun wirklich zu viel. Wie konnte dieser bekennende Antizionist, der sich selber niemals mit dem Holocaust beschäftigt hat, zum Kritiker des Holocaustforschers Goldhagen aufgewertet werden? Warum hat der Spiegel im August 1997 Auszüge aus seinem Machwerk gebracht? Warum muß es jetzt dem deutschen Publikum präsentiert werden? Warum hat sich Birn nicht von Finkelstein distanziert? Warum hielt es Mommsen für notwendig, ein Vorwort zu schreiben, in dem er Finkelstein zwar vorwirft, seine Argumentation gegen Goldhagen etwas "überzogen" zu haben, um Finkelstein aber gleichzeitig zu bescheinigen, "eine ebenso scharfe wie umfassende kritische Auseinandersetzung" mit Goldhagens Buch vorgelegt zu haben?

Davon kann doch überhaupt nicht die Rede sein. Finkelstein tischt lauter Halbwahrheiten auf und ist mehr als einmal in Gefahr, den Holocaust durch den Vergleich mit den Verbrechen anderer zu relativieren und "die Deutschen" von ihren Verbrechen frei zu sprechen. Für diese furchtbare vergleichende Aufrechnerei nur einige Beispiele:

Die deutsche Judenverfolgung wird mehr als einmal mit der Behandlung der Schwarzen in den amerikanischen Südstaaten verglichen. Dies kommt einer Relativierung des Holocaust gleich. Ähnliches gilt für die Parallelen, die zwischen dem Holocaust und der Bombardierung japanischer Städte durch "konventionelle" und atomare Bomben gezogen werden. Ein ultralinker und hierzulande Gott sei Dank überwundener Vergleich ist der zwischen der Ermordung der europäischen Juden und dem Krieg in Vietnam. Völlig unerträglich wird es, wenn Finkelstein das sadistische Verhalten der deutschen KZ-Wärter mit dem der - meist ausländischen - Kapos aufrechnet, wobei er sich bezeichnenderweise auf den Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, stützt. Deutsche Revisionisten wie Alfred Schickel wird es entzücken, daß Finkelstein schließlich noch Hitler mit Roosevelt vergleicht: "Hitlers durch und durch rassistisches Argument ist nur eine schwächliche Version des Rooseveltschen."

Dagegen werden die lieben Deutschen geradezu systematisch weiß gewaschen. Es habe in Deutschland "vor Hitler nur episodische Gewaltausbrüche gegen Juden" und keine "bösartigen antisemitischen Ausschreitungen" gegeben. Nach 1933 hätten "die Deutschen den antisemitischen Terror" "in ihrer überwältigenden Mehrheit" verurteilt. Es sei "der wissenschaftliche Konsens (...), daß die meisten ganz gewöhnlichen Deutschen Hitler nicht wegen seines Antisemitismus gewählt und unterstützt haben, daß sie sich vielmehr der Gewalt der Nationalsozialisten widersetzt und den Völkermord mißbilligt haben". Muß man einen derartigen Schwachsinn noch kommentieren und richtig stellen?

Ruth Bettina Birns Kritik an Goldhagen ist sachlicher. Neben quellenkritischen Details, auf die hier nicht näher einzugehen ist, wirft sie Goldhagen vor allem vor, das Du-sollst-vergleichen!-Gebot der modernen Sozialgeschichte mißachtet zu haben. Wenn sie den Vergleich zwischen dem Schicksal der Juden und dem der "anderen Opfer" einfordert, stimme ich ihr zu. Problematischer ist schon die Forderung, die Verbrechen der deutschen Täter mit denen der "Nichtdeutschen" zu vergleichen, die freiwillig und gezwungen in den Einheiten der Polizei und der Wehrmacht dienten. Nicht sehr hilfreich ist ihr Aufforderung, den Antisemitismus der Deutschen mit dem anderer Völker zu vergleichen. Darauf hat Goldhagen bekanntlich die lapidare Antwort bereit: "No Germans - No Holocaust", worüber wiederum Birn ihren wissenschaftlichen, aber zugleich unzweifelhaft deutschen Kopf schüttelt, aber auch nicht bestreiten kann, daß es Deutsche und keine Marsmenschen waren.

Zum Schluß ein Wort in eigener Sache. Hans Mommsen hat in seiner Einleitung behauptet, daß sich die Auseinandersetzung mit Goldhagens Buch "nicht in den Universitäten" abgespielt habe. Zu den wenigen Ausnahmen zähle ein von mir geleitetes Seminar an der Freien Universität. Doch ich zähle für ihn nicht so recht, weil ich - so Mommsen im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt - ohnehin der "einzige deutsche Fachhistoriker" sei, der "sich auf Goldhagens Seite geschlagen" hat. Ich fasse diese als Verdikt gemeinte Bemerkung als Kompliment auf und werde Goldhagen auch weiterhin gegen derartige Angriffe verteidigen, die ein sehr schlechtes Licht nicht auf Goldhagen, sondern auf die "deutschen Fachhistoriker" werfen. Sie mögen über Goldhagen triumphieren und sich ihres Sieges rühmen, doch dies ist ein Pyrrhus-Sieg, weil er durch eine Rechtsschwenkung des ohnehin kleinen liberalen Flügels der deutschen Historikerschaft erkauft wurde.

Norman G. Finkelstein / Ruth Bettina Birn: Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit. Mit einer Einleitung von Hans Mommsen. Claassen, Hildesheim 1998, DM 32

Wolfgang Wippermann ist Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin.