An der nuklearen Option wird festgehalten

Hot Spot

Die Weigerung der Angestellten der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF, sich beim Umladen von Castor-Behältern eine Jahresdosis Radioaktivität einzufangen, hat eine politische Kettenreaktion ausgelöst.

Auch wer sich unter dem vorgeschriebenen Maximum von vier Becquerel für die Strahlenverseuchung der Castor-Oberfläche nicht viel vorzustellen vermag - der Unterschied zum bislang höchsten bekanntgewordenen Meßwert von 13 200 Becquerel spricht für sich. Problematisch ist das für die Bundesregierung und die Kraftwerksbetreiber nicht so sehr wegen des weiteren Legitimationsverlustes gegenüber der Anti-AKW-Bewegung. Nein, besonders sauer reagieren die "eigenen" Leute, die man so offensichtlich hinters Licht geführt hat: die EisenbahnerInnen und die Bullen, die am nächsten dran waren an den "Hot Spots" auf den Castoren und die regierungsnahen JournalistInnen, die die Mär von den gefahrlosen Transporten brav weitererzählt haben und die nun als Naivlinge oder LügnerInnen dastehen.

Der übliche Ausweg aus dem Dilemma, wenn prognostizierte Grenzwerte in korrekten technischen Abläufen kraß überschritten werden, ist diesmal versperrt. Die Bundesregierung wird nicht mal eben aus Opportunitätserwägungen die zugelassenen Becquerelwerten auf Castor-Behälter heraufsetzen können. Das mag sich vielleicht die rosagrüne Landesregierung in Hessen beim PVC leisten können. Aber vier Monate vor der Bundestagswahl beim umkämpften Thema Atommüll offen zu schummeln, würde im Fiasko für Angela Merkel enden. Dazu sind die "objektiven" Meßwerte inzwischen nicht mehr durch die positivistische Naturwissenschaft, sondern politisch determiniert durch die Aktionen im Wendland, in Ahaus und permanent entlang vieler Atomtransportstrecken.

Und der Höhepunkt der politischen Krise ist noch nicht erreicht: Inzwischen ist nicht mehr zu leugnen, daß die Verstrahlungsursache seit mehr als zehn Jahren verheimlicht wurde. Und an immer mehr politisch brisanten und umstrittenen Standorten werden Grenzwertüberschreitungen festgestellt. Zuletzt mußte die GWK den ersten frisch eingelieferten Castor im Ahauser Brennelementezwischenlager, an dem überhöhe Strahlung gemessen wurde, zugeben.

Am offensivsten um Schadensbegrenzung im eigenen Lager bemüht ist die FDP und Guido Westerwelle, der im Stil eines frühen Fischer auftritt und verlangt, daß "die Verantwortlichen in der Betreiberfirma den Hut nehmen müssen, wenn sich die Vorwürfe als wahr erweisen". Ansonsten die übliche parlamentarische Geschäftigkeit; aktuelle Stunde im Bundestag, Sondersitzungen des Umweltausschusses und Zahlenspielereien: So sei nur an sechs von 312 bundesdeutschen Behältern eine leicht erhöhte Strahlung festgestellt worden. In der SPD-Bundestagsfraktion gibt die Diskussion um die technischen Risiken von Atomtransporten quer durch Europa gar Auftrieb für die Schröder-Position, eine kraftwerksnahe und regional gefächerte Endlagerung des Atommülls durchzuführen (u.a. durch den Neubau eines Endlagers in Süddeutschland). Die simple Rechnung der Genossen: kürzere Wege, weniger Gefahr!

Ein schwerer Fehler der Anti-AKW-Bewegung wäre es, sich nun ohne Not auf Vorschläge für "besseres" Handling der Castoren einzulassen, in der Hoffnung, damit die Kosten für "sichere" Transporte weiter hochzutreiben. Dabei würde nicht nur die Gefahr der radioaktiven Niedrigstrahlung ignoriert - auch vier Becquerel können an der "richtigen" Stelle Krebs auslösen. Sondern auch der Irrglaube von Teilen der Anti-Castor-Bewegung verlängert, daß sich die Atomenergie über die Geldfrage kippen ließe. Wer die gemäßigte und verständnisvolle Reaktion der BRD auf die indischen Atombombentests zur Kenntnis genommen hat, braucht keinen weiteren Beweis für das Festhalten der Herrschenden im Lande an einer nuklearen Option - koste sie, was sie wolle.