Das gleiche Skandaldrehbuch wie vor zehn Jahren

Transnuklear II

Wer schreibt der Ministerin Merkel eigentlich die Reden? Wer rät ihr, was sie sagen soll im Bundestag oder im Fernsehen? In diesem Fall war das Ghostwriting nicht schwierig. Es reichte völlig aus, mal in den alten Unterlagen des BMU zu kramen und rauszusuchen, was der Amtsvorgänger Klaus Töpfer beim letzten großen Wirbel um Atomtransporte zum besten gegeben hat, um die Lage im Griff zu behalten. Denn gerade zehn Jahre ist es her, daß durch den "Transnuklear-Skandal" das Vertrauen der Politik in die Fähigkeit der Atomindustrie, den Laden einigermaßen beschwerdefrei zu halten, tief erschüttert wurde.

Die Berichte vom Dezember 1987 liefern für die aktuelle Situation eine wunderschöne Vorlage. Statement 1: Die Betreiberfirmen waren es, die die Behörden nicht ausreichend informiert haben, wie tief enttäuschend, menschlich gesehen! Die haben doch tatsächlich gelogen und betrogen. Oder jedenfalls der Atomaufsicht nicht direkt und gleich auf die Nase gebunden, was bei den eigenen Kontrollen an Problemen zutage trat, wer hätte das gedacht? (Empörung)

Statement 2: Die Behörde wird sich unverzüglich sachkundig machen. (rückhaltlose Aufklärung)

Statement 3: Der Minister seinerzeit, heute die Ministerin, wird persönlich und entschlossen handeln: Alle Castorräder stehen still, weil ihr / sein starker Arm es will.

Statement 4: Mit Hilfe der besten Experten wird auch für dieses schwierige Problem eine sachgerechte Lösung gefunden werden.

Ebenso wie im Januar 1988 hat die SPD jetzt verlangt, daß der Kanzler die Angelegenheit zur Chefsache macht; die Aktuelle Stunde im Bundestag und der parlamentarische Untersuchungsausschuß sind von der Opposition beantragt. Klaus Töpfer - um auf ihn zurückzukommen - setzte in der damaligen Situation noch einen drauf aufs übliche Repertoire der politischen Schadensbegrenzung: "Es muß tief geschnitten werden, wenn Vertrauen wiedergewonnen werden soll" waren seine Worte vor dem Bundestag, und er kündigte eine grundlegende Neuordnung im Geflecht von Betreibern, Entsorgern und genehmigender und beaufsichtigender Behörde an. Transparenz sollte geschaffen werden, der demokratische Grundsatz der Gewaltenteilung auch im Bereich der Atomindustrie Einzug halten. Der Vertrauensvorschuß gegen die EVU war aufgebraucht; die staatliche Aufsicht über die Geschäfte der Atomstromer sollte wirkungsvolle Instrumente zur Kontrolle an die Hand bekommen.

So Vollmundiges steht bei Angela Merkel bisher noch aus. Aber diesmal geht es auch nicht wie im Dezember 1987 um Entsorgungsverträge, die im Bordell ausgehandelt wurden. Es ist noch nichts bekannt über Bestechungssummen in Millionenhöhe. Keine plutoniumhaltigen Stoffe wurden in Putzlappenbehältern entsorgt, keine waffenfähigen Stoffe entgegen dem Atomwaffensperrvertrag an andere Staaten geliefert, soweit wir wissen. Es geht im vorliegenden Fall nur um diese wirklich winzigkleinen Kobalt-Partikelchen, die sich auf wundersame Weise konzentrieren, wo sie nicht sein sollen. Dürfen wir trotzdem mit der Weiterführung des besagten Drehbuchs rechnen? Ja, wir dürfen.

Im Vergleich zu dem, was vor zehn Jahren bei Transnuklear aufgedeckt wurde, nimmt sich die Oberflächenkontamination an Transportbehälterfahrzeugen als Lappalie aus. Und doch hat diese Verunreinigung in der Größenordnung von Wischlappen eine ziemliche Brisanz: Gerade ist in Ahaus zum vierten Mal Tausenden von Atomkraftgegnerinnen und -gegnern eingebleut worden, daß es sich um irrationale Ängste und gewissenlose Panikmache handelt, wenn jemand behauptet, ein Atomtransport würde mehr strahlen als amtlich bescheinigt. Es wurde geschubst, gespritzt, geprügelt, gejagt, geknastet, weil Leute Zweifel an der Sorgfalt und der Zuverlässigkeit der Betreiber hatten. "Ein Polizeiknüppel auf den Kopf fördert die politische Bewußtwerdung", ob diese Devise aus vergangenen Jahren zutrifft, soll hier nicht erörtert werden. Auf jeden Fall machen Schläge stinkig, und in vielen Fällen auch nachtragend. Und diejenigen, die solche Argumente so schlagend vorgetragen haben, hatten das Kobalt im Kreuz. Auf beiden Seiten wischt das niemand so leicht weg.

"Da muß tief geschnitten werden, um das Vertrauen wiederzugewinnen" - etwas in dieser Tonart werden wir auch von Frau Merkel zu hören kriegen. Dann fließt das Wasser die Elbe runter, und irgendwann ist die Atomindustrie auf Weisung aus Bonn plötzlich so transparent und neugeordnet und demokratisch kontrolliert wie nur irgendwas. Nein, im Ernst: die Pause bei den Transporten zu den WAAs in Frankreich und Großbritannien wird irgendwann zu Ende sein. Und dann wird die Anti-Atom-Bewegung nicht darum herumkommen, Ärger zu machen. Dann gibt es Camps und Streckenkonzepte, Auftaktkundgebungen, Schienenspaziergänge und all das. Tag X eben. Nur mit dem Unterschied, daß dieser Transport, der dann wieder erste Castortransport in eine WAA im Ausland, nicht durchkommt. Whow!

Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift anti atom aktuell