Christian Kracht und Eckhart Nickel

»Ich hasse Busfahrer!« - »Ich auch!«

"Ferien für immer" ist der Titel eines Buches von Christian Kracht und Eckhart Nickel, das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. In 67 Kurzgeschichten stellen Kracht (früher Tempo und Spiegel; Autor von "Faserland", 1994) und der promovierte Kellner und freie Journalist Nickel "die angenehmsten Orte der Welt" vor - oder die, die sie dafür halten: abgerockte Strandbuchten, die indonesische Todesfluglinie Merpati Nusantara oder den Pool mit den trinkfesten Fantasy- Schwermetallern von Mötley Crüe. "Ein nahegehendes, sensibles Beobachten von Personen und Dingen, wunderschön und assoziativ", fanden unsere Interviewer, hatten dann aber doch noch ein paar Fragen.

Ihr seid Reiseprofis. Deshalb die Frage für unsere bessergestellten Leser: Der Flieger geht in zehn Minuten - was mitnehmen?

Nickel: Zigaretten und Alkohol.

Kracht: Ja. Und Früchte.

Nickel: Und eine Schlafbrille.

Kracht: Schlafbrille?

Nickel: Und Valium!

Kracht: Valium 10. Ganz wichtig, ganz wichtig.

Nickel: Als ich Christian in Indien besucht habe, war auf dem Rückflug zwei Stunden lang Gewitter über dem Himalaya, da hätte ich mein Leben um eine Valium gegeben.

Kracht: Deshalb muß man immer Valium dabei haben. Gary Numan hat ja auch immer Valium genommen.

Nickel: "Are Friends Electric"!

Kracht: Es gibt ja Lexotanil, das sind die länglichen grünen, da kann man sich dann immer ein Viertel abbrechen, aber das ist eher ein Antidepressivum, das macht auch Ö

Nickel: ... abhängig ...

Kracht: ... ruhig. Lexotanil ist eher schlecht, ganz schlimm. Dann gibt es natürlich noch Tavor.

Nickel: Gut drauf.

Kracht: Stimmt. Und natürlich Prozac.

Nickel: Prozac heißt in Deutschland ja Fluctin.

Kracht: Aber Prozac klingt irgendwie schöner. Prozac, das hat was.

In Indien gibt es Valium bekanntlich rezeptfrei. Dort habt Ihr Euch - den Eindruck erweckt zumindest Euer Buch - die längste Zeit aufgehalten ...

Kracht: Ich habe dort sieben Monate als Spiegel-Korrespondent gelebt. Das ist dann aber abgebrochen worden vom Spiegel.

Aus welchen Gründen?

Kracht: Aus Unfähigkeit.

Korrespondent für den Spiegel - wie bist Du denn zu dem Job gekommen?

Kracht: Also ich war beim Spiegel in Hamburg, und dann wollte ich gerne nach Indien, und dann war da eine Stelle frei, und dann habe ich mich beworben, und dann habe ich da gewohnt. Aber man kann da eigentlich schlecht wohnen.

Nickel: Das Beste war Christians indischer Presseausweis. Da stand nämlich drauf: Christian Kracht, Der Speigel.

Kracht: Das war toll.

Ihr laßt Indien nicht gut wegkommen in Eurem Buch. Entweder ist es total verdreckt, oder die Hippies riechen schlecht.

Kracht: Ihr meint, ich hacke auf den Hippies rum, aber das stimmt gar nicht. Die Hippies hacken ja auf mir rum.

Nickel: Aber so schlimm ist Indien gar nicht. Es gibt dort Apfelsaft zum Beispiel. Apfelsaft ist auch Indien.

Kracht: Es gibt Bergdörfer wie in der Schweiz, und die Hippies kann man ja meiden. Obwohl man sie nicht immer ausblenden kann. Denn überall hören sie "I Shot the Sheriff" und wie heißt das andere?

Nickel: "Rastaman Vibration".

Kracht: Genau. Außerdem tragen sie auch überall die gleichen Anziehsachen, ob in Thailand, Ägypten oder Mexiko - so Elefantenlederhosen und so Westchen mit Spiegeln drauf. Es gibt bestimmt irgendwo unterirdische Fabriken, wo das ganze Zeug von kleinen Kindern hergestellt wird.

In Eurem Nairobi-Kapitel unterstellt Ihr einem bekannten bulgarischen Verleger ähnliche Produktionsweisen. Jetzt hat er Euch verklagt, und in der nächsten Auflage Eures Buches wird dieses Kapitel deshalb fehlen.

Nickel: Wir dachten ja eigentlich, daß Robert Leicht uns verklagen würde, weil wir gesagt haben, daß er einen Busfahrerbart trägt. Aber niemand kann das Gegenteil beweisen.

Kracht: Es gibt keinen schlimmeren Berufsstand als den der Busfahrer.

Nickel: Obwohl, für Robert Leicht wäre Busfahren vielleicht noch ganz gut gewesen. Busfahrer tragen immer diese getönten Sonnenbrillen und zitronenfarbene Pullunder und stellen sich auf Klassenfahrten immer unglaublich an. Machen nie die Kassetten rein, die die Kinder dabei haben.

Kracht: Oder spielen die nur ganz leise.

Nickel: Und beschweren sich immer, wenn die Kinder in den Bus kotzen. Ganz schlimm. Busfahrer hasse ich.

Kracht: Ich hasse Busfahrer auch.

Nickel: Ich hasse auch Busfahren. Busfahren ist eine der schlimmsten Fortbewegungsarten überhaupt.

Kracht: Das stimmt nicht.

Nickel: Doch. Im Bus krieg' ich Panik.

Kracht: In Hamburg ist Busfahren zum Beispiel wahnsinnig angenehm.

Nickel: Reisebusse sind aber auch nochmal was ganz anderes als öffentliche Busse. Wie diese Busfirmen schon heißen. Kässbohrer zum Beispiel.

Kracht: Oder Ruy Prahl, das ist die Busgesellschaft, die das Monopol auf Sylt hat bis ins Jahr 2900. Den letzten Bus aufs Festland, bevor Sylt im Meer versinkt, wird Ruy Prahl wahrscheinlich auch noch lenken, da, wo jetzt der Hindenburgdamm steht. Eckhart hat seinen Zivildienst auf Sylt bei einem Pastor geleistet. Der Pastor hat heute eine tägliche Kolumne in der Hamburger Morgenpost.

Nickel: Für den habe ich immer seine Predigten verschickt.

Kracht: Er hat nicht nur die Predigten verschickt, er hat auch die Yacht schrubben müssen.

Nickel: Nein, das war bei Pastor Mohn in Wenningstedt. Pastor Mohn war eigentlich Maurer und hat dann aber gemerkt, daß so ein Maurerberuf zwar eine ehrenwerte Geschichte ist, aber daß er als Pastor eine, wie nennt man das, noch viel reichsherrlichere Position haben würde. Und dann hat er von Zivildienstleistenden den zugefrorenen Wenningstedter Dorfsee fegen lassen dafür, damit seine Familie Schlittschuh laufen kann. Und er hatte eine Yacht, mit der er im Winter in Griechenland gewesen ist, und im Sommer haben seine Zivildienstleistenden diese Yacht dann abspackeln und seinen griechischen Dreck weggeschwemmen müssen. Und wenn er bestimmte Zivildienstleistende nicht leiden konnte, hat er sie die Kirchglocke der Dorfkirche entrosten lassen.

Von Wenningstedt zurück in die große weite Welt. Deren angenehmste Orte behauptet Ihr ja mit Eurem Buch vorzustellen. Die USA, China, die ehemalige Sowjetunion, Australien tauchen in Eurem Buch allerdings nicht auf. Und der Osten Deutschlands erscheint nur in einer Liste mit der Überschrift "Unbedingt vermeiden".

Kracht: Ja, aber Ostdeutschland ist ja auch furchtbar. Der Osten ist böse. Omas pinkeln einem gegen die Reifen und so, wenn man an den Bodden fährt.

Nickel: Die machen ja auch die ganze Zeit nur Partnertausch und Swingen und machen Früchteabende.

Kracht: Freunde von mir waren mal am Bodden und haben 600 Mark bezahlt für ein Zimmer, und dann sind sie gezwungen worden zum Früchteabend, denn es war ein Swinger-Hotel.

Zum Früchteabend?

Kracht: Beim Früchteabend muß man sich Früchte auf die Geschlechtsteile legen.

Gibt's das nicht überall?

Kracht: Ja, aber die im Osten swingen die ganze Zeit. Das ist ein Swinger-Land.

Nickel: Einer der ganz wenigen angenehmen Orte im Osten ist Markneukirchen. Die Familie meines Vaters kommt daher. Da ist es wirklich schön. Als ich klein war, gab es immer Busse, die hießen "Ikarusbus". Eine der größten Ideen meiner Kindheit war, daß ein Bus hoch im Himmel wie Ikarus verbrennt. Ein eindringlicher Benzingeruch, der mir als Kind nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist! Damals habe ich mich dort wohlgefühlt, aber heute kann ich mit dem Ostteil unserer Verwandtschaft nicht leben. Die erzählen, daß sie nicht mehr mit der MS Astor im Schwarzen Meer ihre Urlaubsreisen machen können, und beschweren sich, daß alles schlechter geworden ist, und holen sich trotzdem jedes Jahr ihren neuen Benz in Sindelfingen ab.

Kracht: In der DDR gibt es wahnsinnige Mengen an Schokolade und Zuckerwerk.

Nickel: Obwohl die Nickels nicht aus Markneukirchen kommen, sondern die Familie der Mutter meines Vaters. Und zwar hießen die Ficker.

Kracht: Nein!

Nickel: Und nicht nur das. Mein Großvater hieß sogar Karl Marx Ficker. Eines der langgehüteten Geheimnisse meiner Familie. Aber jetzt mußte es mal raus.

Im Osten Deutschlands seid Ihr also gar nicht rumgereist.

Kracht: O doch. Sehr gerne, aber als die DDR noch DDR war. Das war sehr schön. Jetzt ist es nur noch eine Mischung aus Pornoläden und Supermärkten mit ganz viel Schokolade und Fett. Es gibt auch kein Gemüse und keinen Salat.

Das klingt wie der Millionärssohn auf Reisen. Von diesem Gestus ist zumindestens ein Teil Eurer Geschichten getragen.

Kracht: Das sagst jetzt Du. Ich würde es nicht so sagen.

Nickel: Ich auch nicht. Ich kenne zwar keine Millionärssöhne auf Reisen, aber wenn ich mir die vorstellen müßte, sind die glaube ich anders als wir in unserem Buch.

Im einem brasilianischen Restaurant wird Euch ein "Doggie-Bag mit zurückgebliebenen Fleischbergen" mitgegeben - "für die Armen vor der Tür".

Kracht: Aber das stimmt ja. Das ist in Indien so. Und die Pointe ist, daß Ihr Wochen später den stinkenden Doggie-Bag im Handschuhfach findet.

Kracht: Und Du willst jetzt kritisieren, daß wir das Fleisch den Armen nicht gegeben haben?

Iwo. Aber, indem man es so erzählt wie Ihr, wird doch eine bestimmte Haltung vertreten.

Kracht: Aber das ist doch keine Haltung, das ist doch die Wahrheit. Wir schreiben alles nur so auf, wie es wirklich ist. Das wird einem in Tüten mitgegeben, weil wenn man es nicht aufißt, schmeißen sie es eh weg.

Nickel: Das hat ja auch noch eine zweite Ebene, diese ganze Geschichte. Daß dann der Wagen anfängt zu stinken, ist ja auch ein Bild.

Kracht: Stimmt! Das ist ein Bild für Brasilien.

Nickel: Ein Bild kommt ja dadurch zustande, daß das Fleisch eben nicht den erklärungsbedürftigen Weg nimmt, sondern daß das Fleisch den Weg aller Dinge geht und dann selbst auch noch das Auto verdirbt.

Kracht: So hab' ich das noch nie gesehen, Karl Marx Ficker.

Nickel: Ja. Der Lektor, der Euch bei Eurer Lesung in Berlin vorgestellt hat, bezeichnete den Stil des Buches als dekadent, arrogant und zynisch.

Nickel: Ich glaube, er hat gesagt: Dekadent, oberflächlich und - selbstreferentiell?

Kracht: Egozentrisch.

Nickel: Aber das ist nicht das, was wir denken.

Kracht: Wir sollten uns das Interview unbedingt vorlegen lassen.

Nickel: Ja, das glaube ich auch.

Kracht: Wir kommen da als ganz, ganz große Arschlöcher weg.