Ein Spiegel-special über "Deutschland bei Nacht"

Die schon wieder

Gerade sind die Blutflecken auf dem Manuskript von Peter Wensierski getrocknet, da machen sich die Spiegel-Experten auch schon über den nächsten Ort her, der mir nahesteht. So als ob die es irgendwie auf mich abgesehen hätten. Dabei lese ich das Blättchen doch noch nicht einmal! Im Herbst 1997 warnte der Spiegel vor dem "Alltag im Berliner Bezirk Neukölln: (...) Wer kann, geht in Deckung. Einer bleibt am Boden liegen." Kein Wunder, daß damals alle die "Hauptstadt der Sozialhilfeempfänger" verlassen wollten: "Wer irgend kann, flieht aus der Altstadt." Nur ich wollte bleiben und verteidigte meinen Bezirk so gut ich konnte. Mit Erfolg: keine weiteren Attacken auf Neukölln und seine friedliebenden Einwohner.

Inzwischen mußte man in Hamburg aber irgendwie herausgekriegt haben, daß ich gar kein richtiger Neuköllner bin, sondern aus Esens stamme, einem kleinen Ort im ruhigen Ostfriesland. Die Konspiration zog sich also in ein schmutziges Lokal in St. Pauli zurück und schmiedete einen teuflischen Plan. Ein Nightlife-Magazin sollte erscheinen, ein 140-Seiten-Heft allein mit dem Ziel, vor der schrecklichen Langeweile in der nordwestlichsten Ecke der Republik zu warnen: die August-Nummer von Spiegel-special.

Henryk M. Broders Swinger-Reportage mit den vielen tollen Fotos, der Szene-Outfit-Berater für Anfänger, die Enthüllung des Betrugs bei Karibik-Telefonsex-Nummern und die Hitliste der Städte, in denen ausländische Zuhälter deutschen Luden das Geschäft verderben (nur noch Augsburg, Kiel, Würzburg und Leipzig sind clean!) sind da nur tarnendes Beiwerk.

In Ostfriesland ist es langweilig, das steht fest. Zum Beweis wurde ein ambitionierter Kollege von der Emder Zeitung angeheuert, um sich in sein Auto zu setzen und eine Runde durch Ostfriesland zu machen. Über Marcardsmoor, Friedeburg, Wittmund, Harlesiel und Neuharlingersiel nach Esens. Nach Mitternacht.

In amerikanische Nacht getauchte Fotos starren einen aus der Heftmitte an. Lauter vertraute Orte. Die Ampel an der Kreuzung vor der Esenser Peldemühle blinkt. "Kein Mensch weit und breit. Aber sie blinkt." Klar blinkt die, das heißt nämlich: "Vorfahrt beachten". Die beiden Schaukelpferdchen vor dem Teeladen in der Fußgängerzone wackeln nicht: "Einsam, stumm und kinderlachenlos." Kein Wunder, es ist ja auch schon kurz vor drei. Wenn nachts auf den Spielplätzen was los ist und die Leute bei all der Aufregung ihre Spritzen dort liegenlassen, hat der Spiegel auch wieder was dagegen. Niemandem kann man's rechtmachen. Auch Peter Intelmann nicht, der mit Höchstgeschwindigkeit durch die ostfriesische Nacht braust. 20 Minuten von Wittmund nach Harlesiel, kaum Zeit, sich auch nur kurz Notizen zu machen. Eine Dreiviertel Stunde von dort über Neuharlingersiel nach Esens. Da muß man ordentlich Gas geben. Keine 25 Minuten später ist er schon auf dem Auricher Marktplatz, "wo Puppen in den Schaufenstern klaglos ihren Dienst tun". Dann endlich wieder in Emden, es wird hell. Seine Rundenzeiten hat Peter Intelmann präzise protokolliert.

Gut durchgekommen ist er in dieser Nacht, ist ja auch nichts los, nachts auf den Straßen in Ostfriesland: "Es sind kaum Autos unterwegs in dieser Zeit. Wo sollen sie auch herkommen, hier, jenseits der Autobahnen? Wo sollen sie hin? Die Kneipen haben schon lange zu." In Esens kann man auch zu Fuß zur Kneipe gehen. So don't drink and drive.