Peter Grafe

»Der Politiker ist immer eine Kunstfigur«

Die SPD und ihr Kandidat wollen modern erscheinen. Glaubt man ihrer Selbstdarstellung, dann bedienen sich die Wahlkampfmanager dazu auch besonders moderner Methoden - abgeschaut aus den USA. Was ist wirklich neu an diesem Wahlkampf? Peter Grafe, Journalist und Autor des Buches "Wahlkampf - Olympiade der Demokratie" (Frankfurt am Main 1994), beschäftigt sich seit Jahren mit Wahlkampftechnik. Daneben erstellt das SPD-Mitglied Grafe auch Medienkonzepte für seine Partei.

Was ist ein Spin-Doctor?

Der Spin-Doctor ist eigentlich jemand, der von außen in den Wahlkampf kommt. Kein Wunderheiler, sondern einfach ein Kampagnen-Profi, der zumeist eine eigene Agentur im Hintergrund hat und mithilft, für die Kampagne ein Konzept und eine Dramaturgie zu entwickeln. In den USA liegen das Management und die einzelnen Elemente einer Wahlkampagne fast ausschließlich in der Hand von solchen externen Experten. Wenn einer viele Erfolge verzeichnen kann, deshalb auch international um Rat gefragt wird und der Auftraggeber mit ihm angeben will, nennt man so einen dann Spin-Doctor. Damit die Gegner sich fürchten.

Sie haben auch schon Öffentlichkeitsarbeit für SPD-Politiker gemacht. Sind Sie ein Spin-Doctor?

Nein, vielleicht ein ambulanter Krankenpfleger. Wenn mich Projekte interessieren, dann helfe ich gelegentlich mit, daß da etwas daraus wird.

Es heißt, die US-Methoden würden immer mehr zum Vorbild für den deutschen Wahlkampf.

Es gibt relativ viel Gerede um den amerikanischen Wahlkampf. Wir haben ein anderes Wahlsystem. In den USA sind das ja keine Parteikampagnen, sondern von externen Experten geleitete Personalkampagnen. Bei uns leiten hauptamtliche Parteifunktionäre die Kampagnen.

Aber es wird zunehmend personalisiert.

Personalisierung ist nichts Neues. Auch die Kampagnen um Adenauer und um Willy Brandt waren stark personalisiert. Willy Brandt stand als Symbol für eine neue Epoche.

Sie selbst schreiben, früher hätten Spitzenkandidaten zumindest für Programme gestanden. Heute dagegen sei der Spitzenkandidat selbst die Botschaft.

Ja, da hat sich was geändert. Früher war die Person ein Symbol für eine bestimmte politische Aktivität. Willy Brandt stand unter anderem für eine neue Ostpolitik. Die Frage, wofür heute Politiker stehen, ist ein bißchen schwieriger zu beantworten, weil es nicht mehr um grundsätzliche Programmalternativen geht. Schröder steht zum Beispiel für den Wechsel. Er läuft als der jüngere Kohl. Wie manche gesagt haben, als Rotkohl. Das ist eine ähnliche Entwicklung wie in den USA, wo man sich mehr überlegt: Mit welchem Projekt hat man eine Mehrheit auf seiner Seite. Und solche Projekte werden dann in den Vordergrund der Wahlkampagne gestellt. Was danach kommt, ist eine ganz andere Geschichte - auch hier in deutschen Landen. Bei uns ist es noch so, daß ein Teil der Wählerschaft sich nach traditionellen Parteibindungen strukturiert. Aber für die Jüngeren und die Wähler im Osten gilt das schon nicht mehr. Auch bei uns stehen personelle Alternativen und einige symbolische Projekte zunehmend im Vordergrund.

Wenn sich die Parteien kaum unterscheiden, gibt es auch keinen Grund für Parteienbindung.

Ja. Wenn es keine großen politischen Gegenentwürfe mehr gibt, könnte sich die Politik auf qualifiziertes Management begrenzen. Man kann es durchaus auch als einen Fortschritt sehen, wenn es mehr um das Gutgemachte und weniger um das Gutgemeinte geht. Die traditionelle Links-Rechts-Polarität löst sich bei uns auch auf, obwohl wir noch lange nicht so weit sind wie in Amerika. In diesem Wahlkampf betont die SPD: Wir sind die neue Mitte der Gesellschaft und nicht mehr der linke Rand. Das ist mehr als Rhetorik, das bedeutet, die SPD will aus ihrer Rolle als strukturelle Opposition heraus.

Fordert Schröder "Kriminelle Ausländer raus!", weil ihm seine Spin-Doctors gesagt haben, das wolle die Mitte der Gesellschaft hören?

Nein, bisher hatte die CDU in allen Wahlkämpfen immer einige Punkte, mit denen sie die SPD quälen konnte. Das eine war die Nähe zum Kommunismus, das zweite die wirtschaftspolitische Kompetenz und das dritte die Kompetenz in der Inneren Sicherheit. Für diesen Wahlkampf hat die SPD sich vorgenommen, der CDU da keine Angriffsfläche zu bieten, darum geht es.

Schröder trägt dazu bei, daß sich das Klima verschiebt. Es wird selbstverständlich, daß eine harte Linie als die einzig richtige gilt.

Es kann passieren, daß sich klimatisch etwas verschärft. Zwar wird sich an der Gesetzeslage wenig ändern. Aber es ist möglich, daß die einschlägigen Gesetze anders angewandt werden. Diese Rückwirkung will ich nicht ausschließen.

Die politischen Unterschiede der Parteien sind marginal. Ist die plurale Fassung der Einheitspartei verwirklicht?

Auf der Oberfläche sieht das so aus. Es gibt in der Tat linke Christdemokraten, die in einigen Projekten fortschrittlicher sind als rechte Sozialdemokraten. Und es gibt rechte Sozialdemokraten, die ökonomisch mehr im Kopf haben als linke CDU-Leute. Die Positionen sind nicht mehr eindeutig bestimmten Lagern zuzuordnen. Das ist aber nicht das entscheidende Problem. Viel dramatischer finde ich, daß wir in Westeuropa, in den USA und anderen hochentwickelten Industrieländern politische Organisationen haben, die geistig im 18. und 19. Jahrhundert entstanden. Deren Funktionsfähigkeit kommt mit den neuen Technologien, mit den neuen Medien und der aktuellen Wirtschaftsform an ihr Ende. Das heißt, diese Gesellschaft hat zunehmend Regulierungsprobleme, die nicht mehr mit den traditionellen Mustern zu lösen sind.

Zurück zum Wahlkampf: Was ist 1998 anders als früher?

Der wesentliche Unterschied zu früheren Wahlkämpfen ist eine besser Kampagnenführung der SPD. Gerade 1994 hatte die SPD eine sehr schlecht gemachte Kampagne. Jetzt gibt es einen Campaign-Manager, Franz Müntefering, der tatsächlich Campaign-Manager ist. Sein Vorgänger hat die Kampagne nicht wirklich geleitet. Da gab's diesen und jenen, und jeder hat sich eingemischt.

Braucht man einen autoritären Führungsstil, um im Wahlkampf erfolgreich zu sein?

Es ist hilfreich, wenn ein hegemoniales Zentrum da ist, das auch durchgreifen kann.

Auf die Kampagne selbst bezogen: Die Zuspitzung auf einen starken Mann ist auch ein autoritäres Konzept.

Führung ist nicht notwendig autoritär. Die SPD und auch die Grünen würden sich ein autoritäres Konzept nicht gefallen lassen, und wie sich derzeit zeigt, die CDU auch nicht.

Aber die Grünen haben früher zumindest mit dem Argument Personenplakate abgelehnt.

Das habe ich schon damals für Unsinn gehalten. Einmal ist Programmpapier geduldig, das lehrt die Erfahrung. Und je mehr sich die alte Parteienpolarität auflöst, desto stärker rückt die Glaubwürdigkeit von Personen in den Vordergrund. Das heißt, die Wähler nehmen die Parteien vor allem in Gestalt der agierenden Personen wahr. Dazu paßt das Fernsehen als Hauptmedium, weil es sehr viel über die Persönlichkeit verrät.

Gibt es sonst noch Veränderungen im deutschen Wahlkampf?

In diesem Wahlkampf spielt zum ersten Mal das Internet eine Rolle, und es wird eine immer größere Rolle spielen. In Zukunft wird sich der Medienmix ändern. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die interne Organisationskultur.

Und die Inhalte? Sie selbst haben geschrieben, die "Parteien haben sich von der Fiktion des mündigen Bürgers verabschiedet".

Das ist natürlich eine Zuspitzung, aber es geht in diese Richtung: Mehr auf die Befindlichkeiten des Bürgers achten und sein Recht, sich nicht für Politik zu interessieren, ernster zu nehmen. Gerade die Linke hat sich den Bürger idealisiert als einen vorgestellt, der weiß, um was es geht, der die Programme liest, der die Zeitungen verfolgt und so weiter. Aber man weiß längst, daß das nicht der Fall ist, und nun achten auch SPD und Grüne darauf, daß ihre Botschaften ankommen und wirken.

Der Abschied von der Aufklärung?

Im eigentlichen Wahlkampf, in diesen sechs Wochen, da wurde nie aufgeklärt. Die linke SPD hat das früher in manchen Wahlkämpfen versucht. Herbert Wehner zum Beispiel hoffte lange Zeit, das sei die Hochphase der politischen Aufklärung. Er verstand wohl politische Werbung noch als Agitprop. Im Wahlkampf hat das noch nie funktioniert, und wer das versuchte, hat verloren.

Eine Werbeaktion ist immer eine Reproduktion und Zuspitzung vorhandener Images. Anders funktioniert Werbung nicht. Auch eine Firma, die ein neues Produkt auf den Markt wirft, wirbt mit vorhandenen Images. Und man muß die Themen in die Diskussion bringen, bei denen der eigenen Partei Kompetenz zugetraut wird.

Sie haben Medienkonzepte für die SPD erarbeitet. Wie läuft das konkret ab, wenn ein Thema in die Öffentlichkeit gebracht werden soll?

Ein wichtiges Kriterium ist der sogenannte Nachrichtenwert. Das hat was mit Neuigkeit, mit Konflikt und mit Personen zu tun. Wenn man eine Person in Aktion zeigen kann, gibt es Bilder, wenn man einen Konflikt anzettelt, berichten die Journalisten. Wenn man etwas Neues machen kann, läßt sich das auf Pressekonferenzen, mit einer Aktion oder auf einem Kongreß vorstellen. Da gibt's tausend Möglichkeiten.

Die SPD hat in diesem Wahlkampf zunächst einen neue Wahlkampfzentrale erfunden, da passiert im wesentlichen auch nichts anderes als bisher. Aber es war eine symbolische Geste, die ungeheuer gut funktioniert hat. Die Medien schreiben und schreiben über diese Kampagne.

Themen scheinen überflüssig. Der Wahlkampf macht sich selbst zum Thema. "Wenn man eine Strategie ausplaudert, ist es keine mehr", scheint hier nicht zu gelten.

Hier war das Ausplaudern die Strategie. Das hatte zwei Botschaften. Erstens: Die SPD ist professionell. Und wenn sie professionell ist, dann kann sie auch regieren. Zweitens: Die SPD macht es diesmal anders. Das war die Hauptbotschaft. Das paßte auch zu dem Kandidaten bzw. zu seinem Image, das ist ja alles nicht so ganz real. Der öffentlich sichtbare Politiker ist immer eine Kunstfigur und wirkt nicht als reale Person, sondern als Projektionsfläche - wie manche Schauspieler, Popstars oder eine verstorbene Prinzessin.