Philip Agee

»Die USA stärken den Islamismus«

Philip Agee war von 1957 bis 1968 Einsatzbeamter der Central Intelligence Agency (CIA) in Mexiko, Südamerika und Washington D.C. 1970 brach er mit dem US-Geheimdienst. In seinem erstmals 1975 erschienenen CIA-Tagebuch "Inside the Company" berichtete der Aussteiger über Interventionen und dirty tricks der Agency in verschiedenen Staaten Lateinamerikas. Nach seinen Enthüllungen rückte er Ende der siebziger Jahre ins Fadenkreuz westlicher Geheimdienste, Pläne zu einem Attentat auf ihn wurden bekannt. Auf Druck der US-Behörden mußte Agee fünf Nato-Mitgliedsstaaten verlassen, seine US-Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt. Heute lebt der 63jährige als Schriftsteller und freier Journalist in Hamburg.

Nach den Anschlägen auf US-Botschaften in Afrika und der anschließenden Vergeltungsaktion mehrt sich zur Zeit die Kritik an den US-Sicherheitsbehörden. Der CIA soll der saudische Tycoon und Afghanistan-Veteran Ussama bin Laden bereits seit den achtziger Jahren bekannt gewesen sein. Bereits vor zwei Jahren feierte er Anschläge auf Einrichtungen der US-Armee in Saudi-Arabien als Auftakt eines neuen Jihad. Hat man in Washington die Drohungen nicht ernst genommen oder hat die CIA geschlafen?

Während des zehnjährigen Krieges gegen die Sowjetunion in Afghanistan war bin Laden ein Verbündeter der CIA. Er kam in den achtziger Jahren nach Afghanistan und gehörte zu einer der sieben rivalisierenden Mudschaheddin-Gruppierungen, die vom US-Geheimdienst unterstützt wurden. Solange der Krieg andauerte, hielt die Allianz. Erst durch den zweiten Golfkrieg und die Stationierung von US-Streitkräften auf der arabischen Halbinsel zerbrach das Bündnis. Bin Laden erließ eine Fatwa gegen die US-Truppen am Golf.

In Afghanistan gab es zu Beginn der neunziger Jahre Zehntausende Freiwillige aus den arabischen Staaten, die sogenannten Afghanis, die das militärische Trainingsprogramm fortsetzten und das Land zur zentralen Operationsbasis für islamistische Organisationen von Marokko bis Pakistan machten. Bin Laden übernahm die Finanzierung von Afghani-Militärcamps. Nach dem Rückzug der Sowjets stellt er eine Schlüsselfigur in der Kontinuität der islamistischen Bewegung dar. Daß die USA ihren Einfluß auf die afghanischen Islamisten nicht ewig beibehalten würden, deutete sich schon unter der Reagan-Administration an: als einer ihrer Chefs, Hekmatyar, sich in den achtziger Jahren weigerte, den damaligen US-Präsidenten zu treffen.

Wie der Umgang mit den Taliban zeigt, scheinen die USA die Hoffnung nicht aufgegeben zu haben, mit den afghanischen Islamisten an bestimmten Punkten zusammenzuarbeiten. Außenministerin Madeleine Albright hat jüngst erklärt, die Vereinigten Staaten würden die Machthaber in Kabul diplomatisch anerkennen, wenn diese bin Laden nicht länger protegierten.

Das spricht für die Doppelmoral der US-Regierung. Einerseits verurteilen sie Menschenrechtsverstöße der Taliban und die religiös-politischen Institutionen des Gottesstaates. Andererseits spielt dies eine untergeordnete Rolle, wenn es um ökonomische Interessen geht. Ein Beispiel ist die geplante Erdgas-Pipline von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan. An diesem Milliardengeschäft ist auch das US-Unternehmen UNOCAL beteiligt. Aber besonders interessiert sind die USA, den Opium-Anbau in der Region zu stoppen. Afghanistan ist ja der weltweit größte Opium-Produzent.

Aber es ist doch ein offenes Geheimnis, daß die Taliban in den afghanischen Drogenhandel verstrickt sind.

Ich glaube nicht, daß die Vereinigten Staaten gute Beziehungen zu den Taliban haben. Schon früh wurden mit ihnen Verhandlungen zu Terrorismusbekämpfung, Menschenrechten und Drogenschmuggel ohne nennenswerten Erfolg geführt. Auch die Versuche der Clinton-Administration, über den pakistanischen Geheimdienst ISI auf die Taliban einzuwirken, stießen bei den religiösen Eiferern um Mullah Mohammad Omar auf wenig Gegenliebe .

Läßt das gespannte Verhältnis beider Staaten und das Anwachsen islamistischer Aktivitäten in der Region Rückschlüsse auf die jahrzehntelangen Geheim-Interventionen der CIA in Afghanistan zu?

Afghanistan stellte finanziell wohl die größte Operation des US-Geheimdienstes dar: Die CIA gab rund 3,5 Milliarden Dollar aus, und die Saudis zahlten eine ähnlich hohe Summe an die Mudschaheddin. Vom US-Standpunkt aus war die Operation erfolgreich, da sich die Sowjets zurückziehen mußten. Dies hat auch den Zerfall der UdSSR gefördert.

Auf der anderen Seite haben die Interventionen dazu geführt, daß die afghanische Tragödie bis heute anhält. Ein weitere Folge war, daß die Afghanistan-Veteranen aus den arabischen Ländern, die von der CIA ausgebildet wurden, in den neunziger Jahren nach Ägypten, Algerien und in den Sudan zurückkehrten, um dort islamistischen Terror zu verbreiten.

Um wieviele Gotteskrieger handelt es sich?

Ich glaube, daß etwa zwanzig- bis dreißigtausend Freiwillige das Trainingsprogramm der CIA durchlaufen haben. Nach dem Abzug der Sowjets benutzten die Mudschaheddin die Camps dazu, Terroristen auszubilden, um weltweit amerikanische Ziele anzugreifen. Die Hälfte der Leute, die 1993 wegen des Bombenanschlags auf das World Trade Center festgenommen wurden, hatten zuvor die CIA-Schule in Afghanistan besucht. Man hatte nicht damit gerechnet, daß sie eines Tages den USA den Heiligen Krieg erklären würden.

Die CIA-Operation hatte noch einen negativen Effekt: Der Geheimdienst hatte die Mudschaheddin mit modernsten Waffen ausgerüstet. Die Gotteskrieger verfügten über rund tausend Stinger-Luftabwehrraketen, von denen sie aber nur einen geringen Teil benutzt hatten. Die CIA versuchten, die Mudschaheddin nach dem Abzug der Roten Armee zur Rückgabe der Waffen zu bewegen. Doch das war zwecklos. 650 Raketen tauchten Anfang der neunziger Jahre auf internationalen Waffenmärkten auf. Die CIA schickte ihre Käufer, um wieder in den Besitz der Waffen zu kommen. Der frühere Präsident George Bush mußte einen speziellen Fonds von über zehn Millionen Dollar für die CIA einrichten, um die Stinger-Raketen zurückkaufen zu können. Clinton geht es nicht anders: Immerhin besteht das Risiko, daß die Raketen gegen die zivile Luftfahrt der Vereinigten Staaten eingesetzt werden können.

Der Besitzer der zerstörten pharmazeutischen Fabrik im Sudan hat eine Schadensersatzklage gegen die US-Regierung erhoben. Er bestreitet, daß auf dem Firmengelände Giftgas produziert wurde. Glauben Sie, daß die Klage vor dem Internationalen Gerichtshof Erfolg haben könnte?

Ich denke schon. Es gibt offensichtlich keine Beweise, daß bin Laden die Fabrik mitfinanziert hat. Und nach der Entnahme von Bodenproben hatte die CIA behauptet, die Fabrik würde Erzeugnisse zur Produktion chemischer Waffen herstellen. Nun wurde aber bekannt, daß die CIA den UN-Sicherheitsrat daran gehindert hat, eigene Ermittlungen durchzuführen und neue Proben zu entnehmen. Es ist zwar möglich, daß dort chemische Bestandteile zur Produktion des VX-Nervengases lagerten, sich in der Nähe befanden oder durch die Fabrik geschleust wurden. Das bedeutet jedoch nicht, daß das Giftgas dort auch produziert wurde. Außerdem hatte die CIA weder das Verteidigungsministerium noch den Präsidenten informiert, daß die Fabrik Arzneimittel herstellte.

Wie bereits bei der Bombardierung der libyschen Städte Benghazi und Tripolis 1986 hat sich die US-Regierung mit dem Vergeltungsschlag erneut über das Völkerrecht gestellt. Welche Auswirkungen hat das Manöver Clintons auf die islamische Öffentlichkeit?

Die Raketenangriffe werden die antiamerikanische Stimmung in der arabischen Welt anheizen und dazu beitragen, daß der islamische Fundamentalismus nicht gerade schwächer wird. Auch deshalb, weil sich der Nahost-Friedensprozeß in einer Sackgasse befindet. Die zunehmende Gewalt provoziert ein weltweites Krisenszenario. Die völkerrechtlich illegalen Militärschläge machen deutlich, daß die USA global an ihren militärischen Machtpositionen festhalten. Sie spiegeln auch den vorherrschenden Unilateralismus der US-Außenpolitik wider.