Alles wird gut

Die Verheißungen einer rot-grünen Regierung: Doppelte Staatsbürgerschaft, liberale Drogenpolitik und billige Kindermädchen

Der Mann für das künftige Ministeramt für Zoff und Stunk in der rot-grünen Regierung ist schon gefunden. Die Wunderkerze von Bundeskanzler Gerhard Schröder heißt Jost Stollmann. Der neue Wirtschaftsminister ist einfach prädestiniert für Ärger: Schließlich steht er wie kein anderer in Schröders Kabinett stellvertretend für die "Neue Mitte".

Der softe Macher, der auf Liberalismus pur und den Unternehmer in uns allen setzt, repräsentiert bestens die Angestellten und Führungskräfte, die, wie einst Stollmann selbst, in der neuen Dienstleistungsgesellschaft zu Hause sind - in der Softwarebranche und der Werbung, den Medien und der Unterhaltungsindustrie. Diese Wirtschaftszweige gelten als innovativ, zukunftsträchtig und rentabel. Und sie können vor allem auf die Fundamente der alten Industriegesellschaft verzichten: auf Gewerkschaften und energieintensive Produktionsabläufe.

Kein Wunder, daß auch die Grünen an dieser Politik Gefallen finden. Als Nachfolger der FDP setzen sie auf die innovativen Branchen, ihr Konzept der Energiesteuer nützt den Gewinnern aus dem neuen Mittelstand. Und Stollmann als Gewerkschaftsschreck findet dabei ihre Unterstützung.

Die Verlierer dieser Wirtschaftspolitik werden die alten Industrien sein, wie Stahl, Kohle oder Chemie. Hier konzentriert sich auch die traditionelle Basis der Sozialdemokratie, Gewerkschaftsmitglieder, Arbeiter, die um Jobs fürchten, die es ohne Subventionen kaum noch geben wird. Die künftigen Konflikte werden sich daher zwischen dem traditionellen Flügel der SPD und dem neuen rosa-grünen Mittelstand ergeben.

Billiglöhne für die Loser

Diese widersprüchliche Klientel wird auch den neuen Arbeitsminister Riester von der IG Metall beschäftigen. Mit einer Neuauflage des Bündnis für Arbeit möchte er die Arbeitsverhältnisse erneuern: Der Druck der Weltmarktverhältnisse und die Interessen der Industrie sollen dabei ebenso Berücksichtigung finden wie das Sicherheitsbedürfnis der Arbeiter und eine Grundsicherung auf niedrigem Niveau; ein Programm, das zu einer langsamen Demontage des rheinischen Kapitalismus führen wird. Nicht ganz so brutal, wie es die sozialdemokratischen Kollegen in Großbritannien oder den USA vorexerzieren, etwas ruppiger als bei den Niederländern. Insgesamt sicher deutsch und effizient.

Für die Loser der "Neuen Mitte" sind bei den Konzepten von Grünen und SPD hingegen erstaunlich ähnliche Perspektiven vorgesehen. Wer keinen qualifizierten Abschluß hat, dem steht vermutlich eine Karriere in den "personenbezogenen Dienstleistungen" als Kindermädchen oder Butler für die neue Elite bevor.

Einfache Tätigkeiten werden in den Industrien und im Büro durch staatlich subventionierte Jobs einen neuen Boom erleben. Und die Grünen wünschen sich einen "Dritten Sektor", in dem sich dann ehemalige Sozialhilfeempfänger um Kinder, Wälder und saubere Fußgängerzonen kümmern dürfen. In allen Fällen werden die Einkommen nur knapp über dem Existenzminimum liegen - und die Aufforderung anzupacken wird dabei mal mit weniger, meistens mit mehr fürsorglichem Zwang erfolgen.

Und damit kennt man sich aus: Auch in der sogenannten Kriminalitätsbekämpfung setzt die Öko-Partei auf den diskreten Charme der freiwilligen Selbstkontrolle: "Kommunale Kriminalprävention", "Entkriminalisierung von Bagatelldelikten" und eine "bürgernahe und demokratische Polizei" lauten die Schlagworte, mit denen die Grünen ihre traditionell bürgerrechtlich orientierte Seite nach oben kehren.

Sanfte Kontrolle für alle

Mit den Sozialdemokraten dürften sie hier nur bedingt Probleme bekommen. Die Bekämpfung der Delinquenz mit Hilfe von Präventionsräten, in denen Bürger, Polizei und Sozialarbeiter für kollektive Kontrolle im Stadtteil sorgen sollen, ist aber zweifellos auch mit der SPD zu machen. Schließlich soll, so heißt es im Positionspapier der Grünen zur Inneren Sicherheit, "die Vernetzung zwischen Institutionen (z.B. Jugendamt, Sozialamt, Ordnungsamt, Justiz, karitative Einrichtungen), Handel und Gewerbe und Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil oder der Gemeinde, die sich gemeinsam für mehr Sicherheit im unmittelbaren Umfeld einsetzen", gefördert werden. Die Orientierung aufs Gemeinwohl - das freilich viele Nichtdeutsche, Obdachlose und andere gesellschaftlich Marginalisierten ausschließt - entspricht hier genau dem Modell, wie es im ökonomischen Bereich vorgegeben wird.

In Sachen Drogenpolitik sind die beiden Koalitionspartner in spe durchaus kompatibel. Die auf Entkriminalisierung ausgerichteten Ansätze der Grünen werden die fortschrittliche Mehrheit der Sozialdemokraten eher stärken - eine Verbesserung für Junkies ist also wahrscheinlich in Sicht.

Doch während sich Vorhaben treffen, gegen "Steuerflüchtlinge", Korruption und Umweltsünder mit der ganzen Härte des Gesetzes vorzugehen, dürfte darüber hinaus die von der SPD betriebene Strategie der autoritären Lösung innerhalb der Grünen für einigen Konfliktstoff sorgen. Denn daß "die beste Kriminalpolitik" eine "gute Sozialpolitik" sei, wie auch die SPD postuliert, tritt angesichts der Praxis der Sozialdemokraten weit in den Hintergrund. Schließlich hat sich die SPD bereits in den siebziger Jahren als jene Partei geoutet, die Verschärfungen im Bereich der sogenannten Inneren Sicherheit am skrupellosesten durchsetzen konnte.

Und auch in den letzten Jahren hat die Partei noch jede Initiative der Unionsparteien in diese Richtung mitgetragen, wenn nicht gar forciert: vom Großen Lauschangriff bis zur Verschärfung der Ausländergesetze. Mit den wenigen Grünen, denen immer noch an einer bürgerrechtsorientierten und vorsichtig antiautoritären Politik gelegen ist, dürfte es hier innerhalb der Ökopartei zu ernsthafteren Auseinandersetzungen kommen.

Bleiberecht für Deutsche

Doch die bisherige Praxis läßt wenig Gutes erwarten. Noch vor der ersten Koalitionsverhandlung hatte sich selbst der Vorzeige-Linke Jürgen Trittin einer ihrer früheren Maximalforderungen entledigt. "Wir müssen anerkennen, daß die von uns gewünschte Wiederherstellung des Artikels 16 Grundgesetz zur Zeit unmöglich ist", brachte Trittin den politischen Positionsverlust der Vertreter einer liberalen Flüchtlingspolitik bereits im Mai auf den Punkt.

Anlaß war der fünfte Jahrestag der faktischen Abschaffung des Asyl-Artikels 16. Durch ihre Zustimmung hatten die Sozialdemokraten 1993 das Recht auf politisches Asyl in der Bundesrepublik zu Fall gebracht. Die Grünen stimmten damals dagegen. Doch während sie sich beim Grundgesetzartikel 16 noch darauf berufen können, daß ohne die Union eine Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommt, machen Grünen-Statetements deutlich, daß Flüchtlingspolitik auch bei den Bündnisgrünen nur noch an vierter oder fünfter Stelle rangiert.

Im Bündnis mit der SPD, die sich seit Beginn der neunziger Jahre den repressiven Zuwanderungskonzepten der CDU immer weiter angenähert hat, dürfte sie kaum mehr eine Rolle spielen. An Flüchtlingsfragen wird eine rot-grüne Koalition nicht scheitern.

Das zeigt auch die rot-grüne Praxis in den Ländern. Ging es in den vergangenen Jahren um die Durchsetzung von Abschiebestopps in Bürgerkriegsstaaten, zog sich ein Muster konsequent durch: Enthaltung. Regelmäßig waren es die grünen Minister in Hessen, Schleswig-Holstein oder Sachsen-Anhalt, die im Bündnis mit der SPD klein beigaben. Was heraus kam, war stets das gleiche: Das flüchtlingspolitischen Engagement wurde dem Zusammenhalt der Koalition geopfert, im Bundesrat kam nie eine Mehrheit zustande, die Abschiebungen auch nur kurzzeitig ausgesetzt hätte.

So gelangte auch das Asylbewerberleistungsetz zu seiner parlamentarischen Absegnung. Das Gesetz "zielt auf eine Stigmatisierung und Ausgrenzung der Asylsuchenden", hatte sich die Grünen-Fraktionssprecherin Kerstin Müller noch im Wahlkampf über die geplante Abschaffung der Sozialhilfe für Flüchtlinge empört - über ein Gesetz, das seit dem Sommer die Sozialleistungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber unter dem Existenzminimum festsetzt: "Es ist daher aufzuheben."

Doch das wird mit der SPD kaum zu machen sein. Die hatte nämlich im Frühjahr maßgeblich dazu beigetragen, daß das verschärfte Gesetz Bundesrat und Bundestag passieren konnte, und damit einmal mehr vorgemacht, wie sie mit Kompromissen im Flüchtlingsbereich umgeht.

Das Asylbewerberleistungsgesetz, so hatten es die Sozis im "Asylkompromiß" mit der CDU 1993 ausgehandelt, sollte ursprünglich nur ein Jahr gelten - und danach wieder auslaufen. Inzwischen jedoch kommen seine stärksten Verfechter - wie der Kanzler selbst - aus Niedersachsen. Ihr - auch vom designierten Innenminister Otto Schily favorisierter - Bundesratsentwurf ging weit über das im Juni verabschiedete Gesetz hinaus.

Doch zumindest eines ließ Vorstandssprecher Trittin nicht aus in der Bonner Elefantenrunde. Zwischen seine Lobhudelei auf "die Verdienste von Herrn Dr. Kohl" packte er eines der drei grünen "Essentials": Das Staatsbürgerschaftsrecht müsse endlich reformiert werden. Und tatsächlich könnten Grüne und SPD in den kommenden vier Jahren gemeinsam das deutsche Abstammungsrecht ersetzen durch ein ius soli. Allerdings wäre das für die SPD auch im Bündnis mit der FDP zu haben. So oder so: Wählen dürfte dann endlich ein Teil der in Deutschland geborenen Migrantinnen und Migranten. Immerhin.