FloJo rennt nicht mehr

Der ehemalige Sprintstar Florence Griffith Joyner starb im Alter von 38 Jahren

"Sie half, die Wahrnehmung von Sportlerinnen auf dem ganzen Planeten - mit Ausnahme des Irans - zu verändern", schrieb Tom Wheatley von der New York Post in einem Nachruf auf die am Montag vergangener Woche überraschend im Alter von 38 Jahren gestorbene US-amerikanische Sprint-Weltrekordlerin Florence Griffith Joyner, "sie machte Sport zum Spaß. Sie machte ihn modisch. Sie machte Wettkampf und Fitneß in für Mädchen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres Glauben oder der Länge ihrer Fingernägel".

Dabei hatte in den Jahrzehnten vor Griffith Joyner nicht nur für Sportlerinnen, sondern auch für Sportler gegolten, daß der gesunde Körper in zweckmäßige Kleidung zu hüllen sei und weder geschmückt noch angemalt werden dürfe - erst mit Carl Lewis, dessen Santa Monica Track Club in bunten Trikots, die an den Seiten mit roten Kordeln zusammengehalten wurden, antrat, und Florence Griffith Joyner änderte sich das allmählich.

Dabei wurden die beiden völlig unterschiedlich beurteilt: Lewis' extravagantes Auftreten wurde selbst von konservativen Sportjournalisten einfach hingenommen, Griffith Joyner hingegen wurde immer wieder kritisiert und belächelt, vor allem von den deutschen Reportern. Zu den vor ihren Starts regelmäßig eingeblendeten Nahaufnahmen ihrer Hände erklärten sie mit Vorliebe die zentimeterlangen, auffällig lackierten Fingernägel zu einem Trick, mit dem sie der Konkurrenz wohl Angst machen wolle, ihre Kleidung, so kommentierte man bei den Vorläufen zu den Finals der Olympischen Spiele 1984, wo sie später Silber über 200 Meter gewinnen sollte, solle ihr die Aufmerksamkeit sichern, die ihre sportlichen Leistungen nicht bringen könnten.

Selbst als sie dann bei der Olympiade 1988 (u.a. in einem hautengen violetten Rennanzug, über dem sie ein türkisfarbens Bikinihöschen trug) drei Goldmedaillen holte, brauchten die Sportfachmänner lange, um sich an ihre Outfits zu gewöhnen. Denn bis Griffith Joyner kam, waren Spitzenathletinnen meistens eher unauffällig: In ebenso unattraktive wie zweckerfüllende Trikots gekleidet, erledigten sie schwitzend ihren Job. Allenfalls für Fernsehinterviews wurde mal ein bißchen Lippenstift in irgendeiner dieser das "Ich bin eigentlich eine graue Maus"-Image ihrer Trägerin unterstreichenden Farben aufgetragen und das normalerweise mit einem Gummiband zum zweckmäßigen Pferdeschwanz frisierte mittellange Haar offen getragen. Sport war Arbeit und mußte auch danach aussehen.

Mit Florence Griffith Joyner änderte sich dann alles. Zuvor hatten Athletinnen die Leichtathletik bestimmt, die hart arbeiteten und denen man die erforderlichen Anstrengungen deutlich ansah. Griffith Joyner, die weniger Talent hatte als z.B. die derzeitige Spitzensprinterin Marion Jones, mußte mindestens genausoviel trainieren, was man ihrem Laufstil jedoch nicht anmerkte. Die US-Sportlerin Dwight Stones sagte dazu: "Sie zeigte, daß eine schöne Frau eine überragende Athletin sein kann; wir werden wohl nie erfahren, wieviele Sportlerinnen sie inspiriert hat, dadurch, daß sie einfach sie selbst war."

Denn die so selbstsicher ihren Körper präsentierende Griffith Joyner wußte, daß sie ein Vorbild für viele Frauen war, die Sport treiben wollten, ohne dem Bild der typischen Sportlerin entsprechen zu müssen. Mit der Amtsübernahme von William Clinton wurde Joyner zur Nachfolgerin von Arnold Schwarzenegger im President's Council on Physical Fitness and Sports. Darauf war sie stolz: "Während der Präsident sich um das nationale Defizit kümmert, werde ich den Amerikanern helfen, das Fett aus ihrer Nahrung zu verbannen", erklärte sie, "Krankheiten zu verhüten ist der beste, erste und wichtigste Schritt auf die Gesundheitsreform zu."

Besonders stolz war sie, die erste Frau in dieser Position zu sein. Daß es Gerüchte gab, daß sie ihre Höchstleistungen - ihre Weltrekorde über 100 und 200 Meter sind auch heute noch gültig - nur mit Doping erreichen konnte, wußte sie wohl auch, spätestens seit eine Teamkollegin aus der 1988er Goldstaffel sie der Einnahme von Anabolika bezichtigte und der US-Sprinter Darell Robinson 1989 gegenüber dem stern in einem mit 25 000 Dollar honorierten Interview erklärt hatte, für Griffith Joyner verbotene Wachstumshormone besorgt zu haben. Griffith Joyner konterte den Vorwurf später in einer Talkshow mit einem eleganten "Darell, du bist ein zwanghafter, verrückter, lügender Irrer".

So wird auch ihr plötzlicher Tod mit Doping in Verbindung gebracht. Joyner, die als eines von elf Kindern im armen Los Angeles-Stadtteil Watts aufgewachsen war, galt immer als ehrgeizig. Sie war eine gute Schülerin, die später ein Stipendium für die renommierte UCLA erhielt, wo sie schließlich ihren Abschluß in Psychologie machte und von ihrem späteren Schwager Bob Kersee trainiert wurde. Während dieser Zeit veränderte sie sich körperlich so stark und legte so drastisch an Muskelmasse zu, daß erstmals Dopinggerüchte auftauchten - Florence Griffith Joyner wurde jedoch niemals positiv getestet.

Xavier Sturbois vom Olympischen Komitee Belgiens erklärte zu ihrem Tod: "Es ist ein Schock, der wieder passieren könnte, denn ohne den Obduktionsergebnissen vorgreifen zu wollen, ist vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet klar, daß der Gebrauch von Dopingmitteln zu dieser Art Unfällen führen kann. Wenn so etwas dann passiert, ist jeder geschockt oder tut zumindest so, dabei wird sowas doch schon seit Jahren in der medizinischen Fachliteratur beschrieben."

In der Welt wurde dazu ein Mediziner zitiert, der erklärte, es sei sicher, "daß Anabolika bei Männern und Frauen tiefgreifende Veränderungen an Blut und Organen auslösen können. Sie erhöhen die Konzentration von gefährlichen Fetten im Blut. Diese Fette bilden Ablagerungen in den Gefäßen, so daß diese verstopfen können. Ein Schlaganfall oder Herzinfarkt kann die Folge sein." In Tierversuchen wurde überdies festgestellt, daß der Herzmuskel zwar durch Anabolika wächst, die ihn versorgenden Blutgefäße jedoch nicht.

Auch andere Dopingmittel wie EPO, das blutverdickend wirkt, scheinen sich nachteilig auf das Herz auszuwirken. Der deutsche Olympia-Chefarzt Joseph Keul erklärte dazu, man dürfe nicht jeden Todesfall auf Doping schieben, Fettstoffwechselstörungen seien häufig der Grund für plötzliche Todesfälle unter Spitzensportlern. Allerdings gebe es Forschungen, die auch bei niedrigen Dosierungen von Anabolika dramatische Folgewirkungen nicht ausschlössen.

Die erste Obduktion von Griffith Joyners Leiche ergab keinen Anhaltspunkt für ihre Todesursache. Während Leichtathletik-Präsident Premio Nebiolo erklärte, von "ernsthaften Herzproblemen" Joyners während der vergangenen Monate gewußt zu haben, sagte Weldon Pitts, einer ihrer Brüder, sie habe keine Anzeichen von Krankheit gezeigt. "Es gab keine Herzanfälle, Herzinfarkte oder was auch immer, wir haben schlicht keine Ahnung, woran sie gestorben ist", erklärte Bob Kersee.

Jacques Piasenta, der Trainer der französischen Europameisterin über 100 Meter, Christine Arron, sagte: "Ich habe sie von 1984 bis 1987 trainieren sehen. Für mich war sie damals nur eine gute Sprinterin, mit weniger Potential, als beispielsweise Marion Jones es hat. Ich sah, wie sich ihr Körper in einem unglaublichen Maß mit der Zeit veränderte. Schon damals war ich mißtrauisch, aber ich hatte keine echten Beweise dafür, daß sie sich dopt. Und andererseits - wer kann sagen, daß ihr Tod wirklich mit Doping in Verbindung steht?"

Immer wieder starben in den letzten Jahren Profi-Sportler an plötzlichem Herztod, ohne erkennbare Ursache. Die schwedischen Diskus-Werfer Goran Svensson und Stefan Fernholm starben im Alter von 36 bzw. 37 Jahren - die Sportart gilt als besonders dopingintensiv. Eine Ursache für ihren Tod fand man jedoch nicht, obwohl feststand, so der Sportjournalist Torbjörn Petersson, daß beide Medikamente mißbrauchten: "Weitere unerklärliche Todesfälle sind nicht auszuschließen, und in jedem wird es dann mindestens den Verdacht geben, daß Doping die Ursache war."