Keine Probleme mit Kissen

Nach dem Tod einer Nigerianerin ist Belgiens Innenminister Tobback zurückgetreten

Das Rücktrittsgesuch eingereicht, wieder zurückgezogen und erneut eingereicht - Belgiens Innenminister Louis Tobback hat die Konsequenzen aus dem Tod von Sémira Adamu gezogen. Bei einem Versuch der belgischen Ausländerbehörden, die Nigerianerin abzuschieben, war sie Mitte vergangener Woche zunächst ins Koma gefallen und wenige Stunden später an Gehirnblutungen gestorben.

Im Flugzeug, das nach Togo fliegen sollte, hatten zwei Polizisten der Frau, die gegen ihre Abschiebung Widerstand leistete, mehrere Minuten lang ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Dazu hatten sie den Vorgang gefilmt, weil sie, so ein Polizeisprecher, von der Frau weiteren Widerstand erwarteten - Adamu sollte schon fünfmal ausgewiesen werden und hatte sich jedes Mal heftig gewehrt. Mitpassagiere beobachteten, daß Adamu "eine Weile lang kämpfte", schließlich aber bewußtlos wurde.

Die Polizeibeamten wurden wegen des Verdachts auf Totschlag angezeigt, kamen nach einem Verhör jedoch wieder frei. Obwohl einer von ihnen bereits im vorigen Jahr, nachdem er in einer Zelle einen an Händen und Füßen gefesselten Asylbewerber geschlagen und getreten hatte, einen Monat lang vom Dienst suspendiert worden war. Ein Justizsprecher erklärte, es sei "unglücklich" gewesen, diesen Mann bei einer Abschiebung einzusetzen. Das Video wurde den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt - mit ihm soll, so die niederländische Tageszeitung De Telegraaf, gepüft werden, ob die Beamten "ungesetzliche Gewalt" angewendet haben.

Sémira Adamu war im März dieses Jahres nach Belgien geflohen, weil ihre Familie sie mit einem 45 Jahre älteren Mann verheiraten wollte, ihr Antrag auf Asyl wurde von den Behörden jedoch abgelehnt. Zu Recht, wie Tobback noch kurz nach dem Tod der 20jährigen erklärte. Auch die Mißhandlung durch die beiden Polizisten versuchte er zu rechtfertigen: Es gebe keine gute Alternative zum Gebrauch von Kissen. Diese seien im letzten Jahr zweimal und in diesem Jahr schon zwölfmal "ohne Probleme" angewendet worden.

Dennoch habe es ein "Fehlverhalten der Polizei" gegeben, für das er die Verantwortung trage. Tobback bot seinen Rücktritt an, zog das Angebot wieder zurück und erneuerte am Samstag seinen Wunsch, aus der regierenden Mitte-Links-Koalition von Premierminister Jean-Luc Dehaene ausscheiden zu wollen - auch als Vizepremier. Vorsitzender der Flämischen Sozialistischen Partei hingegen will er bleiben. Als neuer Innenminister ist seit Sonntag Luc Van Den Bossche, ebenfalls von den Flämischen Sozialisten, nominiert. Noch nicht im Amt, sieht er sich bereits Angriffen von allen Seiten ausgesetzt.

Die belgische Polizei zeigte sich am Wochenende verärgert und sieht sich als Opfer. Sie vermißt Rückhalt von der Regierung und beklagt, von den Medien für den Tod Amarus verantwortlich gemacht zu werden - dabei würden sie doch nur ihre Arbeit tun, nach den von der Regierung vorgegebenen Richtlinien. Die sich nun vielleicht ändern könnten: Nach dem Tod von Amaru verlangen nicht nur Oppositionspolitiker, daß die Asylpolitik in Belgien wieder humaner werden müsse, auch die Mitte-Links-Koalition erklärte, die Asylpolitik überdenken zu wollen.

Vorausgegangen war öffentlicher Druck aus dem In- und Ausland: Die Organisation für afrikanische Einheit (OAU) sprach von "Polizei-Brutalitäten". Joelle No'l, Sprecherin der belgischen Sektion von amnesty international sieht im Tod der Nigerianerin "das Resultat der neuen Asylgesetze in Belgien". Die Asylgesetze, gegen die es, so No'l, schon "eine Serie von Beschwerden" gegeben habe, sind in den letzten Jahren immer weiter verschärft worden.

Schon am Mittwochabend kam es vor dem Krankenhaus, in das Adamu eingeliefert worden war, zu Demonstrationen. Ebenso in der Nähe des Wohnhauses von Minister Tobback - in Belgien werden die Adressen von Politikern in Parlamentsveröffentlichungen angegeben. Ein Sprecher des belgischen "Komitees gegen Ausweisung" forderte eine Änderung der Asylpraxis und die sofortige Amtsniederlegung von Tobback.

Die Proteste weiteten sich am Wochenende aus: Im größten Abschiebegefängniss des Landes in Merkspaals bei Brüssel, in dem auch Amadu inhaftiert war, traten Flüchtlinge in einen unbefristeten Hungerstreik. 5 000 Menschen, darunter viele Flüchtlinge, demonstrierten gegen die Asylgesetze und den Innenminister in Brüssel: "Wir sind nicht gefährlich, wir sind in Gefahr."