La Boum-Boum I

Love-Parade in Paris - Techno taugt nicht mehr als Feindbild

Draußen, auf der Place de la Nation, jagt DJ Carl Cox Bässe durch die Luft und wird dafür von Zehntausenden bejubelt; drinnen, im Café Le Dalou, steht Frankreichs Ex-Kulturminister Jack Lang, lächelt erschöpft und sagt in die Mikrofone der Journalisten: "Wir stehen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Warum träumen wir nicht einen neuen, einen globalen Traum? Daß eines Tages gleichzeitig ein Rave in Berlin, Paris, London, New York, Tokio stattfindet, ein lebendiges Manifest für die Kultur und die Freiheit?"

Vierzehn Monate ist es her, daß Jack Lang bei der Berliner Love Parade laut von einer Techno Parade in Paris geträumt hat. Der Traum wurde Wirklichkeit. Mitte September zogen rund 130 000 Leute - zumeist weiß, jung und heterosexuell - durch Paris und tanzten am Ende sechs Stunden lang auf der Place de la Nation. Und Medienprofi Lang träumte sofort seinen nächsten Traum von einer weltweiten Parade. Techno - die Kultur der Globalisierung, der Rhythmus, der weltweit Menschen auf die Straße treibt - hat mit Frankreich ein weiteres Land erobert.

Mit dem Erfolg der von ihm protegierten Parade ist Lang endgültig zum Popstar avanciert. Vor der Parade trat er als "DJ Jack" bei einem Jugendradio auf und unterstützte die Organisatoren nach Kräften. Wiederholt ließ er seine Kontakte in der Parti Socialiste spielen, kümmerte sich gar um die Getränkestände an der Place de la Nation. Und als er dann freundlich lächelnd durch die Techno Parade zog, da lächelten die französischen Jugendlichen begeistert zurück, nahmen ihn in ihre Mitte und ließen sich in einem fort mit ihm fotografieren.

Ohne Lang und seinen lauten Beat ("Techno ist eine wichtige kulturelle Bewegung") hätte es die Parade wohl nicht gegeben. Zehn Jahre lang kämpfte die französische Szene um Anerkennung und gegen die Verbote von Partys. Bis heute ist das Wort "Rave" in Frankreich extrem negativ konnotiert und wird gleichgesetzt mit Drogen und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. 1995, als französische Techno-Künstler bereits internationale Erfolge feierten, brachte das Innenministerium eine Verordnung heraus mit dem Titel: "Raves - Risikosituationen". Damit konnten Techno-Parties im letzten Augenblick verboten werden.

Diese Verordnung soll jetzt fallen. Neben Jack Lang nahm Catherine Trautmann, amtierende Kulturministerin, an der Parade teil und kündigte an, daß Techno-Partys künftig "wie normale Konzerte" behandelt werden sollen. Darüber hinaus will sie Elektronik-Künstler ab Oktober in die staatliche Musikförderung aufnehmen. Ein Vorhaben, das schon jetzt umstritten ist. "Ich freue mich ja auch über die Anerkennung der Techno-Kultur", sagte kürzlich Thomas Bangalter vom House-Duo Daft Punk, "aber die Subventionen des Kulturministeriums haben in den achtziger Jahren schon die Rockmusik abgetötet." Elektronische Tanz-Musik schreibe sich ein in eine Logik des Marktes, und dort solle sie auch gelassen werden.

Auch die 1,8 Millionen Francs (540 000 Mark) teure Parade wurde mit 300 000 Francs vom Kulturministerium gefördert. Die Organisatoren vom Verein Technopol legen aber Wert auf ihre Unabhängigkeit. Techno-Aktivisten gründeten Technopol 1996 nach dem Verbot des Raves "Polaris" bei Lyon, um für die Anerkennung ihrer Musik zu kämpfen, bis heute repräsentiert Technopol den weitaus größten Teil der französischen Szene. Erfolgreich bemühten sich die Organisatoren, von außen kommende kommerzielle Interessen aus der Parade herauszuhalten. Weswegen zwischen Technopol und planetcom, den kommerzorientierten Veranstaltern der Love Parade, anhaltende Mißstimmung herrscht.

Kritik an Technopol ist in Frankreich kaum zu hören, lediglich Teile der Untergrund-Szene entzogen ihre Unterstützung und veranstalteten parallel zur Parade ein "Teknival" im Norden des Landes, das wie üblich am Ende von der Polizei aufgelöst wurde. Ansonsten war die erste Pariser Parade Love und Hate Parade in einem: Auf einem weißen Plüsch-Sattelschlepper tanzten halbnackte Leder-Gogo-Girls, auf einem von Spinnennetzen verhangenen Hardcore-Wagen schüttelten sich Männer in schwarzen T-Shirts.

Auf einem kitschigen Goa-Wagen tanzten Bienenmädchen und Fliegenpilze, die "Impakt Technokrates", Veranstalter von illegalen Free-Parties, hatten einen Sattelschlepper voller Autowracks mit Boxen bestückt. Und am Ende der Zuges, gleich vor den grünen Müllwagen der Pariser Stadtreinigung, fuhr ein schwarzes U-Boot vom Techno-Zirkus "Freak's Factory", auf dem sich eine halbnackte Nixe räkelte.

Entlang des sechs Kilometer langen Zuges glückliche Gesichter und Tänzer auf Ampeln und Bushäuschen, der Fernsehsender M6 übertrug diese Embleme der globalen Tanzkultur landesweit in alle Wohnzimmer. "Heute sehen alle, wie viele wir sind. Einmal ist das System nicht gegen uns, sondern läßt uns in Ruhe feiern." Hauptorganisator Arnaud Frisch, 25, ein unscheinbarer Typ in einem verwaschenen weißen T-Shirt, hofft, daß "nach dieser eindrucksvollen und friedlichen Demonstration keine Techno-Parties mehr verboten werden".

Das ist keineswegs sicher. Denn selbst ein als Après-Parade geplanter Rave, "Hovek Olam" im Park von Vincennes, wurde kurzfristig abgesagt, weil die Polizei die Sicherheit des Publikums nicht gewährleistet sah. Paris ist nicht Berlin, das zeigte sich auch am Ende der Parade. Paris ist eine große Stadt, in der viele Jugendliche sehr viel Wut haben, und ihnen ist es zu verdanken, daß der Abschlußtanz auf der Place de la Nation in einer Straßenschlacht endetet.

Um 18 Uhr treffen die ersten Wagen auf dem Platz im Pariser Osten ein, um 19 Uhr träumt Jack Lang seinen globalen Traum. 21 Uhr: Es wird dunkel, DJ Manu le Malin ("Manni, der Schlaue") läßt ein Hardcore-Gewitter über den Platz fegen, ein Mann mit einer blutigen Platzwunde taumelt vorbei. Viertel vor elf, eine Stunde früher als vorgesehen, klappt DJ Laurent Garnier seinen Plattenkoffer zu. Die meisten gehen, einige Banden von Jugendlichen bleiben, beginnen sich zu prügeln, stürmen einen Sattelschlepper und stehlen Material im Wert von 60 000 Mark beim Abbau der Bühne. Polizei marschiert auf, sieben Personen werden festgenommen, zwei Stunden dauert es, bis wieder Ruhe einkehrt ist.

Doch nach zehn Jahren Negativschlagzeilen haben sich Frankreichs Medien zu einer entschieden positiven Techno-Berichterstattung entschlossen und meldeten unisono "keinerlei größere Vorkommnisse". Selbst der Polizeibericht war äußerst maßvoll: Von sieben Verletzten ist die Rede, während ein Sprecher von Technopol die Zahl von 43 Verletzten nannte. Und noch in einem weiteren Punkt hat sich die Berichterstattung verändert: Jahrelang sahen französische Medien nur Drogen, plötzlich sehen sie überhaupt keine Drogen mehr. Berichte über die Einnahme von Ecstasy lägen nicht vor, meldete die Nachrichtenagentur AFP.

Das ist natürlich Unsinn. Man mußte nur zum Stand der Ärzteorganisation Médecins du Monde gehen, wo André, ein langhaariger Großstadt-Indianer mit Stirnband und langen Haaren, die Ecstasy-Pillen testete, die ihm Cyber-Punks mit rosa Resthaar über den Klapptisch reichten. Mit einem kleinen Spachtel bröselte André kleine Stückchen von den Pillen ab, träufelte ein farbloses Lösungsmittel darüber, und wenn sich die Krümel dunkel färbten, sagte André: "O. K., das ist Ecstasy, ich habe keine Bedenken."

Techno steht in Frankreich vor der Normalisierung - zumindest die cleane, kommerzielle Szene. Die traf sich im Anschluß an die Techno Parade im Rockpalast Zenith zu der riesigen Party "Magic Garden", mit etlichen weltweit berühmten DJs, geschätzten 10 000 gut gekleideten Gästen, Lichtgewitter und riesigen Boxen und 50 Mark Eintritt.

Das andere Ende der französischen Techno-Szene traf sich einen Kilometer weiter unter einer Brücke des Boulevard Périphérique, der Ringautobahn rund um Paris. Auch hier mehrere Tausend Gäste, in Wollpullis und Tarnhosen, die zu Hardcore und Drum'n'Bass tanzten. Frankreichs Untergrund-Szene ist größer als in anderen Ländern - die jahrelangen Verbote und die horrenden Preise in den Clubs haben eine "Free-Party"-Kultur gefördert. Deren Veranstalter vermeiden Medienkontakte, lehnen professionelle DJs ab und weigern sich beharrlich, ihre Abende anzumelden - Feiern sei Menschenrecht.