Nur Krise, Krach und Crash

Nach neun Tagen im Amt warf der russische Vizepremier für Finanzen das Handtuch

Noch bevor sich die neue russische Regierung richtig konstituiert hat, ist schon die erste Regierungskrise ausgebrochen. Nach neun Tagen im Amt hat Alexander Schochin, mittlerweile ehemaliger Vize-Premier für Finanzen, am Freitag das Handtuch geworfen und ist zurückgetreten. Stunden zuvor hatte Rußlands neuer Regierungschef ohne vollständige Regierung, Jewgenij Primakow, als Finanzminister den Liberalen Michail Sadornow bestätigt.

Den kritisierte Schochin hart dafür, bei der Rubelabwertung der letzten Regierung am 17. August eine Schlüsselrolle gespielt zu haben; er habe das Land "hintergangen, indem er es auf eine besonders zynische Weise für bankrott erklärte". Zudem habe die Regierung Primakow ihn, Schochin, als Aushängeschild für den Westen benutzen wollen. Schochin ist Mitglied von Viktor Tschernomyrdins Partei "Unser Haus Rußland". Primakow schalt Schochin wegen seines Rücktritts als "kapriziös" und "verantwortungslos".

Dabei hatte Schochin allen Grund zur Klage. Der russische Zentralbankchef Viktor Geraschtschenko meinte am vergangenen Donnerstag mit Blick auf die kurzfristigen Staatsanleihen, ausländische Banken, die sich "störrisch, konservativ und gierig zeigen, könnten überhaupt nichts bekommen". So zitierte ihn zumindest empört die FAZ.

Die Äußerung war taktlos, weilte doch gerade eine Delegation des Internationalen Währungsfonds in Moskau, der Schochin Vertrauen einflößen sollte, um ihnen die nächste, 4,3 Milliarden Dollar schwere Tranche eines 22,5 Milliarden Kreditpakets aus der Tasche zu ziehen.

Es sei schwierig, sagte Schochin bei seinem Rücktritt, "mit Investoren und Kreditgebern zu verhandeln, wenn die Schlüsselpositionen in der Regierung mit Lügnern besetzt sind". Der IWF wird nun nicht, wie im Juli angekündigt, die gut vier Milliarden Dollar in diesem Monat auszahlen, sondern nach Aussage Schochins frühestens Ende Dezember. Ein finanzieller GAU sozusagen. Dabei hatte Schochin zuvor gesagt - möglicherweise in der Hoffnung, daß westliche Anleger Druck auf den IWF ausüben werden -, Rußland benötige den Kredit dringend, um ausländische Schulden zu tilgen.

Es sieht auch nicht so aus, als könne der russische Staat die harten IWF-Bedingungen für die Freigabe der Kredite erfüllen. Die IWF-Vertreter fordern, daß die Geldmenge nicht übermäßig aufgebläht wird und die Inflationsrate in diesem und im kommenden Jahr nicht über 30 Prozent liegen soll. Dabei hat Primakow vergangene Woche die Zahlung von ausstehenden Löhnen und Sold gegen die wachsende Unzufriedenheit bei Arbeitern und Soldaten angekündigt; und das funktioniert nur, wenn Rubel gedruckt werden. Das wiederum heizt die Inflation weiter an. Sogenannte Experten der russischen Zentralbank haben nicht ausgeschlossen, daß in diesem Jahr die Inflationsrate 240 bis 290 Prozent erreichen könne.

Primakow mühte sich derweil ab, Präsident Boris Jelzin von der Verantwortung für die Rubelabwertung reinzuwaschen, die, so Primakow, das Banken- und Finanzsystem Rußlands und das Vertrauen in die russische Politik zerstört haben. Die Abwertung sei ohne Jelzins "Rat oder Zustimmung" erfolgt, sagte er am Donnerstag. Am Freitag hingegen verlautete aus dem Kreml, Jelzin habe von der Entscheidung gewußt, nicht aber von dem "Ausmaß" ihrer Nachwirkungen.

Unterdessen wachsen die sozialen Spannungen. Die russische liberale Tageszeitung Sevodnja titelte vergangene Woche: "Armee bereit für den Krieg - Bürgerkrieg"; zudem zitierte sie einen Bericht aus Sicherheitskreisen, nach dem Offiziere in einer Garnison im Fernen Osten bereit seien, die Transsibirische Eisenbahn wegen Lohnrückstanden und Mangel an Lebensmitteln mit Panzern zu blockieren.

KP-Chef Gennadij Sjuganow traf sich am Wochenende mit dem Chef der Föderation Unabhängiger Gewerkschaften, Michail Schmakow. Sie sprachen über den 7. Oktober, den Tag des Protestes. Das Ziel ist die Erzwingung von Jelzins Rücktritt und vorgezogene Neuwahlen sowie die Auszahlung monatelanger Lohnrückstände. Schmakow sagte, er habe sich mit dem Innenminister getroffen, um zu diskutieren, wie "Provokationen vermieden" werden könnten.

In einem Interview mit dem Neuen Deutschland sagte Sjuganow, er werde zum Generalstreik am 7. Oktober aufrufen. Zwar sei ein Generalstreik gefährlich, viel gefährlicher aber sei es, wenn die Frustrationen elementar ausbrächen. Er und die KP-Anhänger wollten keinen "Aufstand mit Lynchjustiz", sondern einen "geordneten Protest".