Kabel auf der Lauer

Warum das Fernsehprogramm schlechter wird, wenn die Telekom ihre Kabel verkauft

"Streit um die Kabel-Zukunft eskaliert", hatte der Mediendienst Kabel und Satellit aufgeregt getitelt, als sich der Telekom-Vorstand zu seiner turnusmäßigen Sitzung Anfang November in Bonn traf. Doch zum befürchteten Eklat zwischen der Telekom einerseits und den privaten Kabelfirmen andererseits kam es nicht, als sich die Sitzungstüren wieder öffneten.

Im Gegenteil. Gerd Tenzer, bei der Telekom für die Kommunikationsnetze verantwortlicher Vorstand, hatte den privaten Kabelunternehmern Erfreuliches mitzuteilen: "Die Telekom wird sich Anfang nächsten Jahres von ihren TV-Kabeln trennen, eine Übergangsgesellschaft gründen und diese später von eigenständigen Regionalgesellschaften betreuen lassen", lautete die Telekom-Botschaft. Im Klartext heißt das: Die bislang vom Telekomkonzern bewirtschafteten TV-Kabel werden an privat finanzierte Gesellschaften abgegeben. Aus Sicht des Telekommunikationsriesen eine verständliche Entscheidung. Denn 1,3 Milliarden DM Verlust mußte der Ex-Monopolist 1997 für die Wartung und Instandsetzung der TV-Kabel abschreiben.

Auch die kürzlich erfolgte Erhöhung der Kabelgebühren brachte nicht wesentlich mehr Geld in die Kasse. Doch wann und zu welchem Preis die Telekom verkaufen will, hat Tenzer nicht mitgeteilt. Die Übergangsgesellschaften sollen 1999 gegründet werden, heißt es in Bonn.

Vage Informationen, weshalb sich auch die Freude bei der privaten Konkurrenz in Grenzen hält. Die ist durchaus an einem Ankauf der Kabel interessiert. "Wenn die Bedingungen stimmen", macht Klaus Müller, Pressesprecher beim Verband Privater Kabelnetzbetreiber (ANGA) deutlich: "Wir brauchen von der Politik verläßliche Rahmenbedingungen." Die sind mit einer Änderung des noch zu verabschiedenden Rundfunkstaatsvertrages gerade geschaffen worden. Denn wenn die Kabel privatisiert werden, hat das grundlegende Auswirkungen auf das deutsche Rundfunksystem.

Um mehr Kunden weg von der Satellitenschüssel hin zum Kabel bewegen zu können, dürfen Kabelbesitzer künftig selber bestimmen, welcher Sender über ihr Kabel zu empfangen ist. Natürlich hat diese Selbstbestimmung Grenzen - Sender, die auch über Antenne zu empfangen sind, müssen zwangsweise ins Kabelnetz übernommen werden, auch eine gewisse Programmvielfalt müsse gewährleistet werden, schreibt der neue Rundfunkstaatsvertrag den Kabelanbietern vor.

Demnächst dürfen nicht nur die in Deutschland lizenzierten Sender ins Kabel, sondern alle in der EU zugelassenen. Ob der Kunde also Pro Sieben oder das Österreichische ORF, den Kinderkanal oder BBC zu sehen bekommt, entscheidet allein die Nachfrage.

Gut für Massensender wie Sat.1 oder RTL, schlecht für Arte und 3sat. Die sind einerseits in kaum einem Bundesland ohne Antenne zu empfangen und anderseits, wegen des zumindest teilweise anspruchsvollen Programms, beim Publikum recht unbeliebt. Auch die Vorgabe der Programmvielfalt schützt Sender, die nicht auf die Quote setzen, keineswegs vor dem Aus. Denn bislang existiert keine konkrete Definition darüber, was Programmvielfalt eigentlich bedeutet.

Das letzte Wort darüber - die Lizenzvergabe - hatten bislang die Landesmedienanstalten. Auch damit ist nun Schluß. Entscheiden die Kabelunternehmen demnächst selber, sind die Medienanstalten faktisch arbeitslos. Deren Tätigkeit erschöpft sich nun darin, zu beobachten, das die schwammig formulierten Vorschriften eingehalten werden. Proteste seitens der Medienanstalten gibt es erstaunlicherweise nicht. "Wir halten die neue Regelung für realistisch", heißt es in einer Stellungnahme aller 16 Länderanstalten. "Was sollen die denn sonst machen?" fragen SPD-Insider eher rhetorisch. "Die sind doch froh, daß sie nicht ganz abgeschafft werden."

Um einen Interessenausgleich zu schaffen, hat NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement, einer der einflußreichsten Medienexperten der Sozialdemokraten, die Idee einer bundesweiten Regulierungsbehörde in die Diskussion geworfen. Auch das würde eine grundsätzlich neue Medienordnung bedeuten. Denn bislang war Medienpolitik stets Ländersache. Jedes Bundesland hatte sein eigenes Mediengesetz, das sich von dem des Nachbarlandes teilweise erheblich unterschied. Einzig die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages waren für alle verbindlich. Den auszuarbeiten, war allerdings auch Ländersache. Kommt die von Clement favorisierte zentrale Medienbehörde, hätte die Bundespolitik direkten Zugriff auf grundlegende Fragen der Kommunikation.

Wolfgang Clement und seine nordrhein-westfälische SPD sind für ihre extrem wirtschaftsliberale Medienpolitik in NRW bekannt. Für den NRW-Chef Clement sollen Medienunternehmen Geld verdienen dürfen, und der Staat soll die Bedingungen dafür schaffen. Vorschriften oder Sendeauflagen behinderten nur und trieben Medienanstalten wie Bertelsmann oder RTL außer Landes. Um das zu verhindern, wird in keinem anderen Bundesland mehr Geld zur Subventionierung von Medienunternehmen ausgegeben wird als zwischen Rhein und Ruhr.

Gegen die Privatisierung der Kabel hat ANGA-Sprecher Müller naturgemäß recht wenig einzuwenden. Gegen die konkrete Umsetzung hingegen eine ganze Menge. Denn die Telekom will zur Bewirtschaftung der Kabel 16 Regionalgesellschaften gründen. Für jedes Bundesland eine. "Viel zu wenig", glaubt Müller, der weiß, daß die Telekom mit Banken, Softwarehäusern und ausländischen Investoren über einen Verkauf spricht.

Die ANGA hingegen vertritt vor allem mittelständische Firmen wie Wohnungs gesellschaften, die sich einen Einkauf bei den Regionalgesellschaften nicht leisten können und - wenn in 16 Gesellschaften gesplittet wird - "den großen Firmen hoffnungslos unterlegen sind", befürchtet Müller. Wünschenswert wären, so die Forderung auch anderer Kabelnetzbetreiberverbände, mindestens 150 Regionalgesellschaften, in denen auch weniger kapitalkräftige Anbieter zum Zuge kommen könnten.

Die ANGA-Forderung, kleineren Firmen lediglich den Kauf des blanken Kabels zu überlassen und sie nicht zum Einstieg in eine Regionalgesellschaft zu zwingen, lehnt die Telekom ab und verweist auf den enormen Finanzbedarf, der für eine lohnende Kabelbewirtschaftung nötig ist.

Ein Argument mit Tiefgang. Denn noch hat sich der ehemalige Monopolist nicht zum Kaufpreis fürs Kabel geäußert. "Es werden international übliche Konditionen sein", sagt Tenzer nur und hat dabei die USA im Sinn. Dort werden die einfachen Kupferkabel derzeit multimediafähig gemacht und somit richtig lukrativ, wie das Beispiel der deutschen Firma Telekabel Service Süd (TSS) zeigt. Die Berliner Firma ermöglicht etwa 1 000 Berliner Haushalten, ihre TV-Kabelleitungen als günstige Telefonleitungen zu nutzen. Zum Vorteil der Kunden, die unabhängig von der Tageszeit 18 Pfennig pro Minute für ein Ferngespräch zahlen müssen.

Weitaus weniger als bei Telekom. "Was", glaubt TSS-Geschäftsführer Peter Stritzl, "auch viele Bürger veranlassen wird, sich Internet anzuschaffen, und somit auch Homeshopping, Telearbeit und Telelearning." "Ein Kabel für alles", lautet deswegen die Parole, mit der die privaten Unternehmer den Rentabilitätssprung schaffen wollen. Fünf Milliarden Mark sollen bis zum Jahr 2000 in die Modernisierung der Leitungen investiert werden. Was die Telekom natürlich auch weiß und deshalb so teuer wie möglich verkaufen wird.