Das Paradies wartet schon

Radio Campanile sendet nicht mehr, Radio Paradiso sendet noch, dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt droht das Aus - Christliche Publizistik, quo vadis?

Die Abschiedsmessen waren bereits gesungen, der Möbelwagen bestellt. Dann kam die Wende, mit der wohl selbst die größten Optimisten nicht mehr gerechnet hatten. Radio Paradiso, Berlins christlicher Radiosender, wird nicht abgestellt, verliert seine Lizenz nicht und darf weitersenden. Möglich machten das diverse freikirchliche Gemeinden, die ihre Mitglieder anpumpten und damit das vorläufige Überleben des Senders sicherten.

Was einem Wunder gleicht. Denn knapp ein Jahr nach Sendestart - die erste Pressekonferenz fand konsequenterweise in der Gedächtniskirche statt - war der mit großem Tam-Tam gestartete Christenfunk pleite. Die Hörerquoten waren nicht meßbar, kaum jemand wollte den Mix aus guten Nachrichten und schlechter Musik hören, Sponsoren blieben aus, die Finanzen kollabierten, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg kassierte kurzerhand die Sendeerlaubnis.

Sehr zur Freude der evangelischen Amtskirche. Die stand dem Projekt, ein christliches Radio in kommerziellem Gewand zu veranstalten, immer skeptisch gegenüber und versagte den aus Schleswig-Holstein kommenden Initiatoren ihre Unterstützung. Auch während der kürzlich in Münster abgehaltenen Synode quittierten die Kirchenaktivisten Paradisos Probleme mehr mit Häme denn mit Trauer. "Unser Projekt war das nie", machte Kirchenmedienreferent Robert Mehlhose die Haltung der offiziellen Kirche zum Rundfunkversuch deutlich. "Das mußte scheitern, das haben wir immer gesagt."

Doch auch nach der vorläufigen Rettung ist das Schicksal der Berliner Senders keineswegs besiegelt. Denn nun wird an allen Ecken und Enden gespart. Statt 20 fester Mitarbeiter verdienen nun nur noch sechs ihr Brot bei Kirchens. Die restliche Arbeit müssen nun freie Mitarbeiter erledigen. Kostengünstig zwar, aber alles andere als arbeitnehmerfreundlich.

Vergleichsweise glücklich wären mit dieser Lösung die Mitarbeiter von Radio Campanile aus Rheinland-Pfalz. Für sie ist tatsächlich Schluß. Der erste private katholische Radiosender, Anfang 1996 auf Sendung gegangen, hat Konkurs angemeldet, freiwillig die Sendelizenz zurückgegeben und alle Aktivitäten eingestellt. Das Abenteuer Campanile mußte schiefgehen. Denn der Christenfunk war in Rheinland-Pfalz ausschließlich über Satellit zu hören. Dort hat noch nie ein Radiosender Geld verdient. Campanile schon gar nicht.

Zumal kurz vor der Abschaltung auch noch erzkonservative Kirchenkreise aus Bayern und Italien den Sender enterten, liberale Redakteure entließen und verläßlicheres Personal aus München nach Mainz holten. Vergeblich - Gebete, Bibelsprüche und Orgelmusik aus dem All wollte niemand hören.

Weil auch die katholische Amtskirche Campanile nie mochte - für sie hat katholische Publizistik auf dem freien Radiomarkt nichts zu suchen - fehlt nun Gottes Wort aus dem Satelliten völlig. Campanile hat nur sechs Monate länger durchgehalten als Paradiso: Außerhalb der Kirchenmauern wird die christliche Publizistik schlicht nicht gebraucht. Weshalb Kritiker gar vorschlagen, dem Spuk ein Ende zu bereiten und das Christentum nur noch in den eigenen Reihen zu bewerben.

Das nächste und prominenteste Opfer könnte das traditionsreiche Allgemeine Sonntagsblatt (DS) sein. 50 Jahre nach Gründung droht der evangelisch-liberalen Zeitung das Aus. Spätestens zur Jahrhundertwende, also in zwei Jahren, will die evangelische Kirche Deutschland (EKD) ihren jährlichen Neun-Millionen-Zuschuß einstellen und das Blatt aufgeben. Endgültig entschieden wird darüber im nächsten Jahr. Um das Unheil noch einmal abzuwenden, entwickelt Chefredakteur Arnd Brummer nun ein neues unternehmerisches Konzept für die Wochenzeitung.

Für Brummer, im Nebenjob FDP-Vorsitzender in Hamburg, hat die EKD-Entscheidung allerdings auch etwas Gutes. "Sie ermöglicht, mit potentiellen Partnern und Verlagen das Konzept auf eine neue Grundlage zu stellen." Spätestens Anfang nächsten Jahres will der DS-Chef die Umstrukturierung des Blattes beendet haben. "Wenn die Kirche nicht mehr zahlt, müssen allerdings viele marktwidrige Beiträge entfallen", umschreibt Brummer die künftige Entwicklung.

Die geht eventuell in Richtung Weltbild. Der katholische Verlag hat seit geraumer Zeit mit einem kommerziellem Versandhandel-Angebot großen Erfolg, so daß Weltbild inzwischen unter den zehn größten Verlagen der Republik zu finden ist. Viel dürfte für das Sonntagsblatt davon abhängen, ob sein Not-Relaunch ein publizistisches Echo findet. "Die werden einfach zu wenig wahrgenommen", weiß Robert Mehlhose, Pressereferent der evangelischen Kirche Deutschland (EKD).

Kein ganz neues Problem. Der Wochenzeitungsmarkt ist voll besetzt, auch die eingeführten Blätter großer Verlage wie Zeit und Woche haben Probleme - der kleine Freitag ohnehin. Mit Ausnahme des tiefkonservativen katholischen Rheinischen Merkur sind sie wie das Sonntagsblatt alle mehr oder weniger liberal. So fehlt dem ehrwürdigen Kirchenblatt die exklusive Position am Markt. Um am Kiosk überhaupt bemerkt zu werden, hatte man vor einigen Jahren Layout und Format auf modern getrimmt, seit einigen Monaten erscheint man in Farbe.

Alles half nichts: Manche Leser waren verschreckt, neue kamen nicht, und die Auflage fiel weiter. Viele Exemplare versauern zudem in kirchlichen Institutionen, die nur aus Gewohnheit noch ein Abo halten. Publizistische Wirkung, für die die Kirche die Millionen schließlich zahlt, will so nicht zustande kommen.

Der Funktionärskritik kann DS-Vizechef Jens Schleider sogar zustimmen. "Denn so geht es tatsächlich nicht weiter." Weil der Personalbestand in den letzten Jahren um 25 Prozent ausgedünnt wurde, arbeitet die "Belegschaft an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit", glaubt der zweite Mann beim Sonntagsblatt. Außerdem fehle Geld für Werbung, damit die Leserschaft besser erreicht werden könne. Seine Zielgruppe umschreibt er - wohl im Hinblick auf die Synodenentscheidung - mit "Leute, die sich speziell für Kirche und Religion interessieren".

Gerade konservative Kirchenfunktionäre mahnen immer wieder eine christlichere Ausrichtung an. Und seit Jahren streiten sich die Funktionäre, ob die Kirchenmedien eher gesellschaftspolitisch wirken oder sich mit Religion und Seelsorge bescheiden sollen.

Beim Sonntagsblatt scheint die Botschaft inzwischen angekommen zu sein. Mitte der achtziger Jahre stand die Zeitung mit an der Spitze der Friedens- und Anti-Atombewegung. Daß es sich dabei um ein kirchliches Blatt handelte, merkte nur, wer danach suchte. Heute finden sich zunehmend religiöse Texte oder Reportagen zu Themen wie "100 Jahre Diakonie" im Blatt. "Wir wollen das Fachblatt für Ethik und Moral sein", hat Brummer 1995 angekündigt. Das zumindest ist gelungen.

Überdies ist fraglich, wie es mit der evangelischen Publizistik insgesamt weitergeht. 200 Millionen Mark jährlich kostet das schwer zu überschauende Geflecht von christlichen Pressediensten, Journalistenschulen, Kirchenblättern und Fernsehproduktionsfirmen, das allerdings auch anerkannte Fachblätter wie die epd-Medien und epd-Film beherbergt. Viel zuviel, meint die Synode jedes Jahr aufs neue und kürzt fast schon turnusmäßig die Mittel. 1,4 Millionen waren es in den letzten beiden Jahren, 10 Prozent im nächsten.

"Die Standardkürzung für alle", versucht Mehlhose zu beschwichtigen. Ein Problem ist, daß die klammen Landeskirchen lieber die eigenen Medienreiche päppeln als die zentrale Frankfurter Holding GEP ("Gemeinschaftswerk evangelischer Publizistik"), weil sie auf die regionalen Kirchenblätter und die Landesbüros der Nachrichtenagentur epd leichter Einfluß nehmen können.

Der EKD-Mann kann der Krise natürlich auch gute Seiten abgewinnen: "Die Redaktionen der einzelnen Blätter reden mehr miteinander", freut er sich. Neuerdings sprechen auch die Kirchenpublizisten auffällig oft von "Markt" und "Marketing", und das GEP soll nächstes Jahr wahrscheinlich in eine GmbH umgewandelt werden. Dem von der Firma unabhängigen Sonntagsblatt wird das alles nicht helfen. Dort kann man vorerst nur hoffen.