Patrioten für Deutschland

Schlechte Aussichten für die EU: Kanzler Schröder und Außenminister Fischer versuchten sich auf dem Gipfel in Wien als Buchhalter

Österreichs Medien blicken auf eine anstrengende Woche zurück. Am vergangenen Freitag und Samstag gipfelte die österreichische EU-Präsidentschaft im Gipfel der 15 Staats- und Regierungschefs der Union, und da galt es, sinnstiftend zu wirken: Österreichs EU-Präsidentschaft, so mußten sämtliche Lokalpatrioten in den Redaktionen leider eingestehen, war eigentlich nur die Vorbereitung auf die deutsche Präsidentschaft im kommenden Halbjahr und brachte keinerlei bedeutende Beschlüsse zu den brennenden Themen der EU: Finanzen, Agrarpolitik, Ost-Erweiterung.

Statt dessen mußten die professionellen politischen Beobachter die Zeitungsspalten mit wirklich nahrhaften Informationen über die Menüfolge sowie das erstaunliche Polizeiaufgebot im ansonsten recht beschaulichen Wien füllen. Also erfuhren Österreichs Zeitungsleser, daß die hohen Politiker und ihr Gefolge mit "Sülze vom Styria Tafelspitz mit Kernölvinaigrette und Radieschensalat" und "kleinen Bratäpfeln mit Vanilleeis und gebrannten Mandeln in Punschsauce" verköstigt wurden.

Die rund 2 000 Journalisten verschlangen während der beiden Gipfeltage 28 500 Stück Jourgebäck, 450 Kilo Lachs, 1 800 Backhendln, 8 800 Rostbraten und 5 200 gebratene Garnelen. Und zum Schutz der Politiker, Backhendln, Journalisten und Zwiebelrostbraten setzte die Wiener Polizei 3 000 Mann ein, die einen Großteil der Wiener Innenstadt hermetisch abriegelten und kaum auf Proteste der Wien-Touristen oder Anrainer stießen. Das österreichische Boulevardblatt täglich Alles titelte: "Stell Dir vor, es ist Gipfel und keinen interessiert's".

So ähnlich mag es wohl auch den Gipfelstürmern selbst ergangen sein, die bei ihrem Treffen weniger an historischen Einigungen interessiert waren, als vielmehr ihre Fronten für die deutsche EU-Präsidentschaft absteckten. Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joseph Fischer fungierten als Störenfriede und forderten eine deutliche Entlastung der Nettozahler in der EU, während Spaniens konservativer Ministerpräsident José Maria Aznar die Riege der Empfängerländer anführte und sich nur schlecht mit der Idee anfreunden konnte, das EU-Budget der nächsten Jahre einzufrieren.

Der spanische Europa-Staatssekretär Ram-n de Miguel quittierte die Vorschläge Schröders zum Einfrieren der Mittel sogar mit der Bemerkung, Schröder sei ein "verkehrter Robin Hood, der den Armen das Geld wegnimmt und damit die Reichen kompensiert".

Doch nicht nur Schröder alleine verstand es, die Fronten zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern zu verhärten. Streng nach Koalitionsdisziplin verteilte auch der international noch ein bißchen grüne Außenminister Joseph Fischer in Sachen Finanzen Watschen. Gleich bei seiner Ankunft in Wien am Donnerstag abend meinte Fischer in vertraulicher Runde, er habe keine Lust mehr, daß Deutschland die "Melkkuh der Union" sei.

Doch der Streit um den Mammon trennte nicht nur den wegen seiner Bedürftigkeit so genannten "Club Med" der südlichen EU-Staaten von den reichen Europäern im Norden, sondern droht auch die angepeilte Ost-Erweiterung zu lähmen. Auch hier machte Joseph Fischer einen patriotischen Anfang und lamentierte, die Ost-Erweiterung sei ohne eine Reform der Union nicht zu machen. Dabei aber meinte Fischer weniger eine zweifellos dringend notwendige Reform der EU-Strukturen, die spätestens mit dem Beitritt von Tschechien, Polen, Ungarn, Slowenien, Zypern und Estland vollends zusammenbrechen werden, sondern eine Reform des Finanzsystems. Besonders das üppige Agrarbudget der EU gerät da zum Stolperstein für die Europäisierung Europas.

Unmut herrscht darüber, daß die Landwirtschaft 50 Prozent des EU-Haushaltes verschlingt und doch nur 1,8 Prozent des EU-Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Am Wiener Gipfel sind die Regierungschefs daher übereingekommen, ein anderes Finanzierungssystem für die Landwirtschaft zu finden - undiplomatisch ausgedrückt also die Subventionen für die Bauern zu kürzen. Daraus könnten sich auch Probleme für die Beitrittsbewerber ergeben: Gerade Polen ächzt unter einem riesigen, aber leider unproduktiven Landwirtschaftssektor und erhofft sich vom EU-Beitritt eine Entlastung. Vergebens.

Aus dem am Wiener Gipfel voll entbrannten Kampf ums Geld ergeben sich daher mehrere nicht gerade unionsfördernde Frontlinien: Die Nettozahler möchten nicht mehr zahlen, die Nettoempfänger möchten weiterhin solche sein und alle zusammen sind sie überfordert von der EU-Ost-Erweiterung, die sämtliche budgetäre Eitelkeiten sofort zunichte machen würde.

Dementsprechend sinnentleert war daher auch das Treffen der EU-Beitrittsbewerber mit den Spitzen der Union am zweiten Gipfeltag. Die sechs Bewerber der ersten Runde hatten gehofft, konkrete Zeitpunkte für einen Beitritt zu erfahren, und wurden enttäuscht. Die fünf Kandidaten im Warteraum der zweiten Erweiterungsrunde - allen voran die Slowakei - hatten gehofft, in Wien doch noch den Sprung in den Kreis der ersten Erweiterungsrunde zu schaffen - und wurden ebenfalls enttäuscht. Doch was konnten sie schon hoffen: Die Union kämpft derzeit vor allem gegen die Individualisierungstendenzen ihrer Mitglieder.

Wirklich vom europäischen Geist gestreift war lediglich die Feierstunde für Helmut Kohl: In den Prunksälen der Nationalbibliothek wurde dem Ex-Kanzler die europäische Ehrenbürgerschaft verliehen. In seiner Rede beschwor Kohl wieder einmal den europäischen Geist, der auf dem Wiener Gipfel weitgehend verloren gegangen zu sein schien: "Wichtig ist, daß wir die Vision behalten, über den Tag hinauszudenken". Schön hat er das gesagt.

Am 25. März wird unter deutscher Präsidentschaft bei einem Sondergipfel in Brüssel über die "Agenda 2000" entschieden werden müssen, die das Budget der EU für die nächsten sieben Jahre regelt. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, wäre die EU faktisch im nächsten Jahr handlungsunfähig. Daher wurde in Wien für Ende Februar ein zusätzliches informelles Treffen in Petersberg bei Bonn angekündigt, um den Sondergipfel vorzubereiten. Wenn Schröder dann auch noch nicht die finanziellen Begehrlichkeiten abgelegt hat, könnte die deutsche EU-Präsidentschaft den Anfang vom Ende der europäischen Integration bedeuten.