Die Unterhose als Mantel

Marx-Imitatoren auf dem Weg nach Westen: junge Welt kauft für eine Mark das alternative Kölner Volksblatt

Mutig schrieb die Zeitung gegen Fürsten und Könige und agitierte für die Demokratie. Knapp ein Jahr lang hatte die Redaktion durchgehalten, dann blieb Chefredakteur Karl Marx und seinen Kollegen nichts weiter als die Flucht aus Köln. Am 19. Mai 1848 erschien die letzte Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung.

Über 150 Jahre später hat sich ausgerechnet die dahindümpelnde orthodox-marxistische Ostberliner Tageszeitung junge Welt (jW) vorgenommen, die Neue Rheinische Zeitung wieder auferstehen zu lassen. Vorerst als Kölner Woche. "Hinter der Unterzeile Neue Rheinische Zeitung steckt die Option, einmal Tageszeitung zu werden", verriet jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder, der seine Leser quartalsweise um Wiederbelebungsmaßnahmen bittet, bei der Blattpräsentation am vergangenen Mittwoch in Köln.

Am 24. April soll das Projekt mit einer Anfangsauflage von 10 000 Exemplaren an den Start gehen. Die neue Zeitung soll samstags erscheinen, zunächst 8 Seiten umfassen und später auf 16 Seiten erweitert werden. Dazu kommt die Wochenendausgabe der jungen Welt als Beilage der Kölner Woche. Den eher hilflosen Einfall, den Regionalteil zur Mantelzeitung zu machen, erklärte Koschmieder kurzerhand zu einem "neuen Medienprinzip".

Die junge Welt erhofft sich von ihrem Kölner Engagement die Erschließung neuer Leserkreise im Westen. Denn dort gilt die einstige FDJ-Zeitung, deren Aboauflage laut Eigenangaben heute bei

14 000 (einer Auflagenzahl, die das Blatt 1997 auch schon hatte und die damals als existenzgefährdend bezeichnet wurde), nach anderen Angaben allerdings unter 8 000 liegt, als weitgehend unverkäuflich: Wen interessieren schon ostdeutsche Larmoyanz, die letzten Neuigkeiten vom Reichstagsbrand und die Mitteilungen aller kommunistischen Plattformen inner- und außerhalb der PDS ?

Das Projekt wurde durch die Übernahme des monatlich erscheinenden Kölner Volksblatts möglich. Für eine Mark hat die junge Welt es eine Woche nach Aschermittwoch gekauft. "Damit hat zum ersten Mal eine in Ostdeutschland gegründete Zeitung ein westdeutsches Printmedium erworben", jubelt der jW-Geschäftsführer, der bereits im vergangenen Jahr den Versuch unternommen hatte, mit einer Wuppertaler Alternativ-Postille den westdeutschen Zeitungsmarkt aufzurollen.

Dabei ist alles weit weniger spektakulär, als es der Öffentlichkeit verkauft werden soll. Das vor 25 Jahren als "Selbsthilfeprojekt der sozialen Bewegungen" (Volksblatt-Mitbegründer Ivo Bode) gegründete Volksblatt führte schon lange nur noch ein Schattendasein und stand unmittelbar vor der Einstellung.

Zuletzt betrug die verkaufte Auflage der von diversen Kölner Gruppen - von der "Arbeiterfotografie Köln", über die "RosaRote Knasthilfe" bis zum "WohnRat Köln" - getragenen Initiativenzeitung nur noch 1 500 Exemplare. Zum Kauf des Volksblatts, dessen Inhalt aus einer Mischung von Flugblatt-Texten diverser Initiativen, Bekenntnisschriften und einigen journalistischen Arbeiten bestand, animierte in den letzten Jahren nur Nostalgie. Nun sollen die verbliebenen 1 200 Abonnements den Grundstock für die Kölner Woche - Neue Rheinische Zeitung bilden.

Die Zeitung wird zunächst mit zwei Redaktions- und eineinhalb Bürostellen ausgestattet sein. Daß sich die Honorierung dabei nicht an irgendwelchen Tarifen orientiere, sei eine Selbstverständlichkeit, so Koschmieder, der seinen Berliner Betrieb immer schon mit prekären Beschäftigungsverhältnissen organisiert hat, um die Sozialabgaben zu sparen: "Das wäre auch wirtschaftlich gar nicht verkraftbar."

Wie seinerzeit in den Tagen der gescheiterten deutschen Revolution haben sich die Initiatoren der Kölner Woche den verwegenen Kampf gegen die absolutistische Herrschaft auf die Fahne geschrieben. Der König von Preußen hat zwar schon lange abgedankt, aber der Pressezar von Köln ist geblieben: Alfred Neven DuMont.

Der Verleger hat sich ein Medienmonopol aufgebaut, an dem in der Domstadt niemand vorbeikommt. Ihm gehören der Kölner StadtAnzeiger (Auflage wochentags: 281 000, am Wochenende: 336 000 Exemplare), das Boulevardblatt Express (Auflage im Köln/Bonner Raum: 264 000) und seit dem 1. Januar diesen Jahres auch noch die StadtAnzeiger-Konkurrenz Kölnische Rundschau (160 000 Exemplare).

Neven DuMont regiert sein Imperium mit harter Hand. Was ihm nicht gefällt, wird nicht gedruckt. Redakteure, die es doch wagen, Unbotmäßiges in eines der Blätter zu bringen, müssen mit ihrem Rausschmiß rechnen. So erging es zuletzt 1996 dem StadtAnzeiger-Redakteur Hartmut Schergel, der einen kritischen Bericht über verlagseigene Reiseführer hatte durchgehen lassen. Das Arbeitsgericht gab Schergel allerdings recht. Die Kündigung mußte zurückgenommen werden.

130 000 Mark will die Linke Presse- und Verlagsbeteiligungsgenossenschaft LPG junge Welt e.G. als Anschubfinanzierung investieren. Dabei hat die junge Welt ihr Risiko auf 40 000 Mark begrenzt, der Rest soll durch neue Genossenschaftsanteile aufgebracht werden. Innerhalb von sechs Monaten soll die Zeitung sich über Anzeigen und Abonnements finanziell selber tragen können, sonst müsse sie wieder eingestellt werden, erklärte Koschmieder am Mittwoch.

Einer der Finanziers ist Peter Kleinert. Auch er ist DuMont-Geschädigter. Der frühere stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Journalisten Union verlor 1976 nach einem kritischen Fernsehbeitrag seinen Redakteursjob beim Kölner StadtAnzeiger. Jetzt rührt der Filmemacher die Werbetrommel für die Kölner Woche. Kleinert, bis vor kurzem noch Gesellschafter von Kanal 4, wünscht sich eine Art "radikaldemokratische FAZ", eine überraschende Standortbestimmung, die in der Redaktion der orthodox-marxistischen jungen Welt für einige Irritationen gesorgt hat. Seinem ehemaligen Arbeitgeber kräftig auf die Füße zu treten, will Kleinert sich einiges kosten lassen. Die genaue Höhe seiner Beteiligung verrät Kleinert allerdings nicht.

Gewerkschafter Kleinert liegt vor allem die "innere Pressefreiheit" am Herzen, die Neven DuMont so schmählich mißachte und die nun in der Kölner Woche realisiert werden solle. Wie das ausgerechnet in Kooperation mit der jungen Welt vonstatten gehen soll, die ihr Geschäftsführer im Sommer 1997 brachial von 20 Redaktionsmitgliedern säuberte, um die Zeitung auf Linie zu bringen? Koschmieder erinnert sich an die damaligen Vorgänge nur ungern. Das sei "eine grauenhafte Schlammschlacht" gewesen, erklärte er nur und verschweigt, daß noch heute ehemalige junge Welt-Redakteure vor dem Arbeitsgericht gegen ihren früheren Arbeitgeber prozessieren müssen, damit ausstehende Gehälter gezahlt werden.

Er glaube nicht, so Koschmieder, daß sich eine solche Auseinandersetzung wiederholen könne, schließlich sei die Redaktion der Kölner Woche "eigenständig". Interveniert werden müsse natürlich, wenn sich die Kölner Blattlinie diametral von der der jungen Welt wegentwickeln würde. Aber damit sei nicht zu rechnen.

Und wenn in der Kölner Woche der latente Antisemitismus der jungen Welt angegriffen würde, der in der Vergangenheit mehrfach zu Protesten jüdischer Organisationen und Einzelpersonen geführt hatte? "Wenn die Redaktion die gemeinsame Plattform verläßt, könnte es Konflikte geben", räumte Geschäftsführer Koschmieder ein. So soll die Kölner Woche "in Form und Inhalt nicht identisch mit, aber kompatibel zur jungen Welt" sein. Kontroversen zwischen Kölner und Berliner Redaktion dürften jedoch nicht über jeweilige "Gegenartikel" ausgetragen werden.

Koschmieder: "So stellen wir uns das nicht vor." Das wird auch nicht unbedingt nötig sein: Wie Koschmieder hat auch der Großteil der Kölner Woche-Macher einst in der DKP gelernt, wie Konflikte zivilisiert gelöst werden können.

Mit der Kölner Woche solle "mehr Farbe in die Medienlandschaft" gebracht werden, begründete Werner Peters, Besitzer des Künstlerhotels Chelsea, sein Eintreten für das Projekt. Welche Farbe die Kölner Woche allerdings haben wird, blieb bei der Blattpräsentation am Mittwoch unklar. Die Zeitung könne zwar "irgendwie links" verortet werden, müsse aber "relativ breit angelegt sein", erklärte Peters.

Der designierte Chefredakteur Wolfgang Jorzik wird deutlicher: "Wir wollen uns nicht auf eine bestimmte Klientel festlegen." Dem 36jährigen bisherigen verantwortlichen Redakteur des Kölner Volksblatts ist es vielmehr "gleich, ob unsere Leser Mitglied der CDU oder Mitglied der Grünen sind".