Berlin-Shanghai und zurück

Die nationale und die "Gastarbeiterfrage" in der Tradition einer deutschen Kulturrevolution

18. März 1999 in Berlin: Die 68er gehen wieder auf die Straße. Nicht vor der Deutschen Oper, nicht auf dem Kurfürstendamm, nicht vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, sondern vor einem Bauwerk mit wahrhaft revolutionärer Ausstrahlung und Geschichte: dem Brandenburger Tor.

Von außerparlamentarischer Opposition kann allerdings keine Rede mehr sein. Denn die Kundgebung ist eine ganz offizielle. Das Bezirksamt von Tiergarten stellt den Lautsprecherwagen, entsprechend banal sind auch die Durchsagen: "Heute ist ein schöner Tag, die Sonne lacht." Aber schließlich geht es ja auch nur um eine simple symbolische Aktion: Für etwas mehr als eine Stunde wird der "Platz vor dem Brandenburger Tor" in "Platz des 18. März 1848" umbenannt. Und die CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien erklärt den Kundgebungsteilnehmern und zahlreichen Radio- und Fernsehteams, warum das so wichtig ist: "Daß dies der Platz vor dem Brandenburger Tor ist, das sehen wir, dann brauchen wir ihn nicht so nennen." Die zuständige Senatsverwaltung sieht das aber gar nicht so und hat deswegen die vom Bezirksparlament Mitte bereits im August 1997 beschlossene Umbenennung für ungültig erklärt, daher ist der symbolische Akt sogar ein bißchen illegal.

Der Touch des Subversiven und das Gedenken an die Barrikadenkämpfer-Revolution vor 151 Jahren - etwa dreihundert Meter weiter verteidigten sich damals die Revolutionäre gegen preußische Truppen - lockt auch einen Haufen traditionsbewußter Patrioten an. Mit Mao-Anstecker, Palästinensertuch, einer roten und einer Deutschlandfahne sind sie angerückt, um in nationalen Erinnerungen zu schwelgen: eine "sozialistisch-patriotische Bewegung im Geiste der 1848er Revolution" fordern etwa die Vertreter des "Shanghaier Kreises", der früher mal "Maoistische Gruppe" hieß (Jungle World, Nr. 12/99). Aus Hamburg sind sie angereist und beteiligen sich an der kleinen Kundgebung - so erklärte ihr inoffizieller Chef Dieter Schütt der Jungle World - "wie an jeder anderen antiimperialistischen Demonstration".

Mit Wollmütze und rotem Stern an der Brust sucht der ehemaliger DKP-Funktionär und "Alt-Maoist", der nach eigenen Angaben im Radikal Sozialistischen Bund aktiv war, später Die Grünen mitbegründete und bis heute in Hamburg-Altona Mitglied der GAL ist, nach den nationalen Ideen von 1848 und 1968. Seinem Vorbild und Freund Rudi Dutschke nacheifernd, hat er "die schleichende Globalisierung und Amerikanisierung" als Hauptfeind erkannt und will alle nationalen Kräfte dagegen mobil machen.

Deswegen verstehen sich Schütt und sein "Shanghaier Kreis" auch ganz gut mit dem Rechtsanwalt Horst Mahler, der sich früher im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und dem "Waffen-SDS (Rote Armee Fraktion)" engagierte. Als Mitinitiator der Bürgerinitiative "Unser Land" darf der mit schwarzer Lederjacke, schwarzer Jeans, schwarzen Schuhen, weißen Haaren und getönter Brille ausgestattete Mahler nicht fehlen. Mit Schütt und dessen Leuten, erklärt er, "stimme ich überein, daß die nationale Frage immer auch eine Frage der Linken gewesen ist". In SDS und RAF habe man die "Gastarbeiterfrage" zwar schon als "Streikbrecherstrategie des Kapitals" erkannt, aber noch viel zu wenig beachtet und deswegen hat der einstige RAF-Kämpfer nun den "Aufbau einer Bewegung gegen die Überfremdung" zu seinem politischen Hauptanliegen erklärt. Parteienübergreifend natürlich - und so sprach er am vergangenen Sonnabend in Karlsruhe auf einer Veranstaltung aus dem nationalsozialistischen Kameradschaftsspektrum zu seinem Lieblingsthema "Überfremdung".

Denn mit "unnötigen Distanzierungen", so Mahler zur Jungle World, will er sich nicht belasten. Schließlich arbeiteten auch in seiner Bürgerinitiative Leute aus PDS, SPD, den Republikanern, dem Bund Freier Bürger (BFB) und der NPD "auf der Basis eines gemeinsamen Nenners" zusammen. In der "Kanonischen Erklärung" träumt Mahler gemeinsam mit seinen SDS-Genossen Reinhold Oberlercher und Günter Maschke ja auch von einer Vereinigung der Neuen Rechten mit der Neuen Linken - beides "nationalrevolutionäre Flügel", die aus der "Kulturrevolution von 1968" hervorgegangen seien.

Und weil sich das Brandenburger Tor als Symbol deutschnationaler Vereinigungswünsche geradezu hervorragend eignet, kommen zur genauso feierlichen wie kurzlebigen Umbenennung nicht nur Berliner Lokalpolitiker von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie PDS und ein Haufen älterer Männer aus dem Umkreis der "Aktion 18. März": Immerhin sollen aus Sachsen einige Mitglieder der NPD angereist sein, Mahler darf sogar das eine oder andere Interview geben, die etwas mehr als zehn aus Hamburg gekommenen Leutchen des Shanghaier Kreises sorgen durch ihre skurrile Erscheinung für amüsierte Aufmerksamkeit, ein grauhaariger Burschenschaftler doziert Interessierten und weniger Interessierten über die revolutionäre Geschichte der studentischen Geheimbünde, und am Rande werden sogar Optionsscheine verteilt, die einem Biere "zum Crashkurs von DM 2,70" versprechen.

Aber während die Bezirkspolitiker genau wissen, daß die Polizei ihr Schild mit der Aufschrift "Platz des 18. März 1848" wieder abnimmt - auch wenn ein Beamter vorher noch schnell ein Polaroidfoto schießt - hat es sich für die nationalen Alt-68er wenigstens ein weing gelohnt. Schütt und Genossen treffen sich am selben Abend noch mit Vertretern der Mahler-Bewegung: Mit Gert Schneider beispielsweise - einem ehemaligen SPD-Mitglied, das einst mit dem SDS sympathisierte und mittlerweile Berliner Regionalbeauftragter der von dem ehemaligen CSU-Politiker Alfred Mechtersheimer angeführten Deutschland-Bewegung ist. Daß Mechtersheimer als Vorsitzender einer "wissenschaftlichen Stiftung für Deutschland e.V." Mahler den Namen "Unser Land" streitig macht, tangiert Schneider und das Berliner Vorstandsmitglied des rechtsextremen BFB an seiner Seite dabei nicht. Schließlich geht es ja nicht um irgend etwas, sondern um den Aufbau einer nationalen Bewegung.

Und die soll sich jenseits von Rechts und Links formieren. Eine Idee, die zumindest im BFB nicht unumstritten ist. Aber die Partei steht sowieso kurz vor ihrem Zerfall. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr "fehlen der Partei Optimismus und Disziplin", meint der im Februar ausgetretene ehemalige Bundesvorsitzende Markus Roscher. Statt dem von dem langjährigen FDP-Mitglied Roscher favorisierten "nationalliberalen Kurs", bemühten sich Teile der Partei um die Schaffung eines "großen nationalen Blocks".

Diese Tendenzen gibt es sowohl im Berliner Verband, der sich in der Anti-Ausländer-Bewegung Mahlers engagiert wie in Thüringen, wo die Partei eine Listenverbindung mit den Republikanern und der "Pro-D-Mark"-Partei eingegangen ist. Der sächsische Landesvorsitzende Dieter Tanneberger hingegen ist mit etwa 80 weiteren BFB-Mitgliedern Mitte März der FDP beigetreten - mit dabei auch der ehemalige Parteivorsitzende Manfred Brunner, der die FDP 1993 verlassen hatte und nach einem Beschluß des bayerischen Landesverbandes in der Partei "unerwünscht" ist. Andere Liberale erhoffen sich jedoch von den Neuzugängen eine Stärkung des nationalen Profils der Oppositionspartei - auch wenn man das offiziell nicht bestätigt.