Teen-Story

Venus und Serena Williams wollen die Nummern eins und zwei des Damentennis werden

Die Nation war enttäuscht, denn Stefanie Graf hatte wieder einmal verloren. Im Halbfinale von Indiana Wells hatte ihr der US-Teenie Serena Williams beigebracht, daß ihre hartnäckig "Spiel" genannte Tennisplackerei nun doch vielleicht langsam vorbei ist - in einem hochklassigen Match konnte Williams die ehemalige Weltranglistenerste klar besiegen.

Die Spielerinnen Williams und Graf unterscheidet jedoch nicht nur der Erfolg, auch die Lebenseinstellungen sind alles andere als kompatibel. Während Graf deutsche Unannehmlichkeiten wie Fleiß, Ehrgeiz und Disziplin verkörpert, stehen Serena und ihre ebenfalls recht erfolgreich Tennis spielende Schwester Venus eher für eine lockere Herangehensweise an die Profession.

Das zeigt sich schon im Alltag: Was beim Williams-Clan Training heißt, käme für die ehrgeizige Graf wohl nur als Aufwärmprogramm in Frage. "Die beiden Mädchen trainieren in einem Vakuum. Eigentlich trainieren sie gar nicht, sie spielen nur herum", wunderte sich der US-amerikanische Journalist Pat Jordan, nachdem er 1997 das Williams-Camp besucht hatte.

Statt mühseliger Vorhandübungen schlug Serena lediglich einige lockere Bälle übers Netz, schwätzte zwischendurch ein bißchen mit dem Trainer, ihrem Vater Richard, und freute sich über gelungene Schläge ihrer Schwester Venus.

Ähnliches wußte ein Reporter der Zeitung USA-Today zu berichten, der sich vor kurzem mit den Schwestern auf dem im Süden der USA gelegenen Williams-Grundstück verabredet hatte. Venus Williams empfing ihn, bei strömendem Regen, extrem unfreundlich. Doch seine Vermutung, sie ärgere sich über das wetterbedingt ausgefallene Training, war falsch: Venus hatte noch mit ihrer letzten Niederlage zu kämpfen, denn sie lag zu diesem Zeitpunkt mit 40 000 Punkten im Rückstand. Gegen ihren Vater, beim Nintendo-Spiel.

Richard Williams hält nämlich von klassischen Trainingsmethoden eher wenig - Motivation steht für ihn im Vordergrund, sturer Drill ist nicht sein Ding. Auf andere Tennisväter ist Williams überhaupt nicht gut zu sprechen. Ständig warnt er Eltern vor den Belastungen, die der Tennissport mit sich bringt. Besonders das Beispiel Jennifer Capriati ist für ihn Abschreckung. Das Wunderkind hatte schon mit 13 Jahren fast alles gewonnen, was im Tennis gut und teuer ist. Zwei Jahre später wurden Gerüchte über Drogenprobleme der Weltklassespielerin in den Medien verbreitet, schließlich verschwand sie - von halbherzigen Comeback-Versuchen abgesehen - ganz aus der Tennisszene.

"Mit vierzehn war sie ein Prachtkerl", charakterisiert Richard die junge Capriati. "Mit fünfzehn hatte sie das Lachen verlernt. Mit sechzehn waren die Probleme da." Die Williams-Töchter wurden von ihm nicht gedrillt, wie es der Emporkömmling Graf mit Stefanie vormachte - obwohl das Grafsche Konzept in der Tenniswelt als nachahmenswertes Beispiel galt.

Venus und Serena werde daher so etwas nicht passieren, davon ist der Trainervater überzeugt. Darum weigerte er sich auch, Venus und Serena irgendwelchen ebenso stressigen wie in der Weltrangliste folgenlosen Jugendkonkurrenzen auszusetzen, er meldete sie gleich für die Seniorenturniere an. Als der Tennisverband diese Meldungen wegen des jugendlichen Alters der beiden ablehnen wollte, setzte er die Teilnahme seiner Kinder juristisch durch. Genutzt hat dies beiden jedoch zunächst nichts: Drei Jahre brauchte Venus, um ihr erstes Profiturnier zu gewinnen. Serenas Bilanz liest sich kaum besser: Zwischen ihrem zehnten und ihrem 16. Lebensjahr konnte sie kein einziges Turnier gewinnen - ihr erstes Profimatch ging glatt mit 1:6, 1:6 verloren.

Dennoch war nicht nur der Vater, sondern auch die Ausrüsterfirma Reebok stets vom Talent der beiden überzeugt. Venus wurde mit einem millionenschweren Ausrüstervertrag bedacht, Serena mußte sich mit zwar mit deutlich weniger zufriedengeben, könnte jedoch trotzdem mit den Einkünften einen eigenen Haushalt finanzieren. Was sie natürlich nicht braucht, denn beide Schwestern wohnen noch zu Hause in Kalifornien.

Neben ihnen und ihrem Vater Richard leben dort noch Mutter Orancene, die anderen Töchter Yetunde, Lyndrea und Isha, sowie zwei Privatlehrer. "Die Schule hat immer Vorrang", setzt Williams Prioritäten. Fortschrittlich geht es bei den Williams dabei nicht zu. Die Schwestern dürfen zwar nur mit Männern trainieren, auszugehen ist ihnen hingegen nur mit Frauen oder der Familie erlaubt. "Unter 21 Jahren fehlt den Mädchen dafür die erforderliche Reife", glaubt Richard Williams.

Die Sportart Tennis gilt immer noch als elitär, daß seine Töchter sie betreiben können, ist für Richard Williams durchaus nicht selbstverständlich. Seine Biographie ist vielmehr die eines klassischen Emporkömmlings, der alles tut, damit es seine Kinder besser haben als er. Geboren wurde Williams in den Elendsvierteln von Louisiana, seinen Vater hat er nie kennengelernt. "Meine Mutter war mir Vater und Psychiater zugleich, und sie war meine Heldin, der wunderbarste Mensch, den es je gab", sagte er in einem Interview. "Sie hat mir Stolz, Anstand und Religion beigebracht und mich gelehrt, daß die Zivilisation untergeht, wenn es mit der Familie bergab geht. Sie hat nur einen einzigen Fehler gemacht: Meinen Vater zu heiraten."

Den Lebensunterhalt mußte sich Richard durch einen Job bei einer Autowaschanlage verdienen. Nach dem Abschluß der High-School zog er nach Chicago und arbeitete auf dem Bau. Mit zwanzig siedelte er nach Los Angeles über, machte sich mit einem Sicherheitsunternehmen selbständig und heiratete seine Frau Orancene. Nun ist Vater Williams neben Trainer auch Betreuer und PR-Manager seiner Töchter, sein Konzept ist dabei ebenso simpel wie erfolgreich.

"Auf dem Platz geht es nicht um Tennis, sondern um Marketing", sagt er, deshalb achtet er nicht nur auf die Vorhand seiner Töchter, sondern auch darauf, daß sie mindestens genauso oft im Fernsehen zu sehen sind wie die anderen bekannten Sportler. Auch die Perlen, die beide im Haar tragen und die mittlerweile zum Markenzeichen der Schwestern geworden sind, sind nichts als ein simpler PR-Gag - Williams wollte damit den ersten Werbeprospekt der beiden aufpeppen.

Daß seine Töchter einmal weltberühmt werden würden, stand für ihn nie in Frage. In einem von ihm vertriebenen speziellen Williams-Mitteilungsblatt schreibt er: "Meine Töchter haben sich schon am ersten Tag auf dem Tennisplatz als Superstars erwiesen." Damals, als Papa ihr den ersten Schläger schenkte, war Venus vier Jahre alt. Inspiriert hatte ihn eine TV-Übertragung, bei der der Sieger 30 000 Dollar bekam.

Um seinen Töchtern das Tennisspielen zu ermöglichen, rupfte Williams auf umliegenden Tennisplätzen Grasbüschel aus und sammelte die ausrangierten Bälle auf. Glaubt man seinen Schilderungen, fanden die ersten Übungsstunden unter den mißtrauischen Blicken rivalisierender Jugendgangs statt, die keine Probleme hatten zuzuschlagen, wenn ihnen irgendwas nicht gefiel. "Venus und Serena wurden beim Tennistraining von Gangs beschossen", schreibt er. Nach sieben Monaten hatte er sich jedoch den nötigen Respekt verschafft und sorgte nach eigenen Angaben dafür, daß "Bandenmitglieder wieder zur Schule gingen, und die Eltern wieder die Bedeutung des Familienlebens erkannten". King Richard wurde er damals genannt. So nennt er sich noch heute.

Selbst wenn Richards Schilderungen dramaturgisch überhöht sind, waren die Trainingsbedingungen der Williamsschen Wunderkinder sicher nicht ideal. Um so höher ist ihr aktueller Erfolg zu bewerten. Über das dahinterstehende Erfolgsrezept streiten sich die Experten jedoch. Die einen bewundern die Schnelligkeit der Schwestern, andere ihr ausgeprägtes Bewegungstalent und ihre Kondition. Hilfreich ist sicherlich auch ihr unerschütterliches Selbstvertrauen. Als Venus kürzlich gefragt wurde, welche ihrer Gegnerinnen sie fürchte, lautete die lapidare Antwort: "Mich selber".

Kolleginnen aus der Tennisszene bezeichnen solche Äußerungen als arrogant. Venus hält dem entgegen, daß sie nicht arrogant, sondern einfach nur gut sei. "Viele Tennisspieler glauben einfach nicht, daß auch wir Schwarze gut sein können", sagt sie und spricht wohl aus Erfahrung. Ihr Vater, der immer wieder nicht nur den unterschwelligen Rassismus der Tenniswelt, sondern auch den der US-amerikanischen Gesellschaft anprangert, will Venus und Serena als Konsequenz nun auf dem asiatischen Markt unterbringen. "Sie sollen nicht in einer Gesellschaft aufwachsen, der nichts an ihnen liegt."