Der WDR rettet revolutionäre Subjekte in die Zukunft

Bei Fußschweiß unterm Sofa

Warum es in den siebziger Jahren plötzlich als hip galt, Arbeiter abzufilmen oder zum Dichten zu zwingen, ist unklar - das Ergebnis war jedenfalls nicht nur todlangweilig, sondern immer auch ein bißchen peinlich. Trotzdem wurden unermüdlich Sendeplätze und Buchseiten mit dem gefüllt, was arbeitende Menschen absonderten, und schließlich entstand so, im Fernsehbereich, das Sozialdemokraten-TV.

Übriggeblieben ist davon nur die Dokumentarserie "Die Fußbroichs", deren neue Folgen zu Ostern im WDR ausgestrahlt wurden. Die Kölner Familie hatte 1979 ihren ersten Fernsehauftritt. Die Pädagogin Ute Diehl hatte damals für einen Dokumentarfilm über ein typisches Kinderzimmer einer typischen Arbeiterfamilie eine ebensolche gesucht und war auf die Fußbroichs gestoßen.

Der Arbeiter Fred, seine Frau, die Büro-Angestellte Annemie, und deren einziges Kind, der damals zehnjährige Frank, stimmten den Dreharbeiten in der eigenen Wohnung zu. Unter dem schlichten Titel "Das Kinderzimmer" entstand eine 45minütige Dokumentation über das Leben der Familie, die ohne Pause anzusehen 20 Jahre später fast unmöglich ist. In quälend langen Einstellungen verbreiten sich die Eltern über eigentlich gar nichts, während das verwöhnte fette Kind quengelt, Aufmerksamkeit fordert und die Gespräche seiner Eltern en miniature nachplappert.

Der Erfolg war damals groß. Zehn Jahre später nahm Ute Diehl wieder Kontakt zu den Fußbroichs auf und drehte den 90minütigen Dokumentarfilm "Die Fußbroichs - Porträt einer Kölner Arbeiterfamilie". Wegen der großen Resonanz wurde daraus rasch die gleichnamige Serie "Die Fußbroichs", für die Diehl 1992 den Grimme-Preis in Bronze erhielt.

Seitdem werden in jedem Jahr neue Folgen gezeigt - fünf Diplomarbeiten hatten sie bisher zum Thema, Fanclubs gibt es mittlerweile sogar in Bordeaux und Warszawa. Dabei muß man hart im Nehmen sein, um sich auf neue Folgen wirklich freuen zu können, denn die Familie tut eigentlich nichts anderes als einzukaufen, zu verreisen (um dann, im Ausland angekommen, Sätze zu sagen wie: "Naja jott, simmer hier, isset jott, fahren mer wieder weg, isset auch jott!") und hin und wieder am nunmehr erwachsenen Frank zu verzweifeln, der mittlerweile wegen Kreditkartenbetrug und Anabolika-Handel vorbestraft ist.

Wie authentisch "die einzige wahre Familienserie" (WDR) wirklich ist, bleibt dabei unklar. Im Dezember 1993 drohten die Fußbroichs mit dem Ausstieg aus der Serie, wenn ihre Gagen nicht erhöht würden. Ihr Lebensstandard ist daher wohl eher Arbeiter-untypisch. Und Ute Diehl hilft dem Fußbroichschen Leben durchaus nach: Mal verbot man Fred und Annemie, bei einem mitgefilmten Ausflug Straßenkarten zu verwenden und nach dem Weg zu fragen - die Episode handelte dann schließlich davon, wie die beiden sich ausgiebig verfuhren; mal durften sie ihren Weihnachtsbaum, entgegen den eigenen Wünschen, erst am 24. Dezember kaufen.

Daß die Fußbroichs auch ästhetisch was mitgekriegt haben, zeigte ein Auftritt in der WDR-Mediensendung "Parlazzo". Darauf angesprochen, daß sich Fred und Annemie bei einem Mallorca-Urlaub eben nicht wie typische Deutsche verhalten hatten, wünschte sich Fred doch ein bißchchen mehr Realität: "Ich hätt' auch gern Sangria aus Eimern gesoffen, aber wir durften das ja nicht!"