Der Krieg der Petitionen

Frankreichs Öffentlichkeit ist über die Nato-Einsätze uneins

Que faire? Die französische Öffentlichkeit steht der Nato-Intervention in Jugoslawien gespalten gegenüber. Zwei verschiedene Befragungen, an denen am 26. und 27. März jeweils rund 1 000 Personen teilnahmen, zeigten auf den ersten Blick gegensätzliche Resultate.

Nach der IPSOS-Befragung des Journal du Dimanche (JDD) befürworteten 57 Prozent das "militärische Eingreifen der Nato" (gegen 30 Prozent ablehnende Äußerungen) - und etwas mehr noch: 59 Prozent forderten die Teilnahme Frankreichs. Folgt man hingegen der CSA-Umfrage, die am folgenden Tag in der Boulevardzeitung Le Parisien zu finden war, so waren die Gegner der Luftangriffe mit 46 Prozent gegenüber den Befürworter (40 Prozent) in der Mehrheit. Das Geheimnis dieser so unterschiedlichen Ergebnisse scheint freilich in der Formulierung der Fragestellung - "Intervention" hier, "Bombardierungen" dort - zu liegen. Und die JDD-Veröffentlichung war von dem relativierenden Zusatz begleitet: "Nach mehreren bisher unveröffentlichten Umfragen sprechen einige Kommentare bereits von einem Abbröckeln der Zustimmung."

Die Zustimmung der Franzosen zu den aktuellen Nato-Bombardierungen fällt also deutlich geringer aus als jene zu den Kriegshandlungen der Anti-Irak-Allianz zu Beginn des Golfkriegs 1991. Damals stimmten, je nach Umfrage, 71 bis 79 Prozent der "Operation Wüstensturm" zu. Die US-Luftangriffe auf den Irak 1998 stießen nur noch bei einer Minderheit der Franzosen (23 Prozent) auf Beifall.

Die kommunistische Wählerschaft auf der einen Seite (die beiden linksradikalen Parteien LO und LCR, die mit zu den Trägern der Anti-Kriegs-Demonstrationen der letzten Tage zählen, waren nicht mit aufgeführt) und die Wählerschaft des neofaschistischen Lagers andererseits zeigten sich in ausnahmslos allen Befragungen als mehrheitlich kritisch gegenüber der Nato-Intervention eingestellt. Die jeweiligen Parteien mo-bilisieren tatsächlich mit einem jeweils eigenen Diskurs gegen die Nato-Angriffe, wenngleich anzunehmen ist, daß beide Seiten sich in ihrem Anti-Amerikanismus treffen könnten: Die KP benennt soziale und humanitäre Motive (im Hinblick auf die Zivilbevölkerung) sowie politisch-antiimperialistische Motive der Gegnerschaft zur Nato-Großmachtpolitik.

Die Neofaschisten des FN hingegen prangern an, die USA würden ein "christliches Volk" zum Schutz einer muslimischen Bevölkerung - der Albaner im Kosovo - bombardieren und wollten mit Bosnien und Albanien in Europa muslimische Staaten errichten, um das christliche Abendland zu zerstören.

Gründlich gespalten hingegen zeigte sich die grüne Wählerschaft; steht sie bei der IPSOS mehrheitlich im Lager der Befürworter des Nato-Einsatzes, sticht sie bei CSA gar durch den höchsten Anteil an Interventionsgegnern (66 Prozent) in allen politischen Lagern hervor. Die Anhängerschaft der Ökopartei ist offenkundig hin- und hergerissen zwischen ihrem klassischen Pazifismus, der an ihrer Basis noch immer stark verankert ist, und dem Diskurs von der Intervention zur Durchsetzung von Minderheiten- und Menschenrechten, den die führenden Köpfe der Ökopartei und an erster Stelle ihr Spitzenkandidat Daniel Cohn-Bendit propagieren.

Cohn-Bendit, der in Le Monde die Demonstrationen gegen die Nato-Angriffe als "Manifestations munichoises", also als Kundgebungen im Geist des Münchener Abkommens von 1938, denunziert, und die grüne Umweltministerin Dominique Voynet zählten in Frankreich zu den ersten, die den Einsatz von Bodentruppen gegen Serbien forderten.

Ähnlich Cohn-Bendit gehören die lautesten Unterstützer der Luftangriffe auf Jugoslawien zum Lager der "links-modernen" und "antitotalitären" Intellektuellen, die teilweise bereits seit 1993 eine zivilisatorische Militärintervention in Südosteuropa fordern. An vorderster Front steht dabei der unvermeidliche Bernard-Henry Lévy ("BHL"), der am Tag nach den ersten Bombenflügen bei Radio France Info erklärte: "Die kommunistische Partei sagt, 'man soll dem Krieg nicht Krieg hinzufügen', aber ich halte es mit der noblen Devise der deutschen Linken: 'Krieg dem Kriege'. Man mußte Krieg gegen den Krieg führen", gemeint: gegen Milosevics Vorgehen im Kosovo.

BHL irrt sich dabei freilich in der Referenz, denn die von ihm zitierte Parole diente nicht der Forderung nach einer westlichen Intervention gegen Hitler, sondern ist älter und wurde von der KPD in den zwanziger Jahren im Kampf gegen den preußisch-deutschen Militarismus und die Wiederaufrüstung benutzt. Ziel der Operationen müsse es sein, so BHL, Milosevic dauerhaft von der Macht zu vertreiben, anstatt ihn, wie Saddam Hussein, nach der Intervention im Amt zu lassen, denn "diese drei Völker - Bosnier, Kosovaren und die Völker, die den Irak bilden - haben ein Recht auf die Demokratie".

Die führenden Köpfe der Neuen Rechten um Alain de Benoist haben eine Petition unter dem Titel "Nein zum Krieg" lanciert. Diese Petition, die von Laurent Ozon, dem Kopf der Gruppe Nouvelle ƒcologie ausging, trägt mittlerweile die Unterschrift einer Reihe von Persönlichkeiten außerhalb der extremen Rechten. Der Text beschwört die Gefahr einer Unterordnung der Europäer unter die amerikanische Hegemonie, ist jedoch in einer Weise formuliert, die keine klare ideologische Urheberschaft erkennen läßt.

Neben Alain de Benoist trägt sie die Unterschrift des pro-serbischen und KP-nahen Schriftstellers Patrick Bresson - der bereits 1993 an einem rot-braunen Flirt zwischen Parteikommunisten und Rechtsextremen beteiligt war -, und von zwei Mitarbeitern der Bruno Mégret unterstützenden neofaschistischen Zeitschrift Identité, des Le Pen nahestehenden neurechten Autors Jean Mabire und des alt-gaullistischen Generals a.D. Pierre-Marie Gallois. Zurückgezogen haben ihre Unterschriften hingegen unter anderem der links-nationale Jean-Fran ç ois Kahn, Chefredakteur der patriotischen Zeitschrift Marianne, und Didier Motchane, Vizepräsident der links-nationalistischen Partei von Innenminister Chevènement - der "Bewegung der Citoyens" - , nachdem sie merkten, wem sie auf den Leim gegangen waren.

Auf nationalistischer Basis, nämlich wegen des "Verlusts an außenpolitischer Autonomie Frankreichs gegenüber den USA" - und, nicht so häufig genannt, gegenüber Deutschland -, hat sich eine Reihe weiterer Opponenten gegen die Nato-Intervention zusammengefunden. Unter ihnen der ex-gaullistische frühere Innenminister Charles Pasqua. Er unterschrieb zusammen mit dem Chevènement (und früher Mitterrand) nahestehenden Schriftsteller Max Gallo, einem glühenden Napoleon-Verehrer und Mitglied einer bonapartistischen Vereinigung, einen Gastbeitrag in Le Monde. Darin wird vor allem die strategische Unabhängigkeit gegenüber den USA und die Herausbildung einer autonomen europäischen Militärmacht gefordert.

Um sich von den mal mehr, mal weniger extremen Rechten und Nationalisten abzusetzen, haben 25 Linksintellektuelle - unter ihnen der Soziologe Pierre Bourdieu, der Historiker Pierre Vidal-Naquet, die parteilose KP-Kandidatin Aline Pailler sowie der Philosoph Daniel Bensaid und seine Parteikollegin der linksradikalen LCR, die Ökonomieprofessorin Catherine Samary - eine eigene Petition in Le Monde veröffentlicht. Diese grenzt sich ebenso scharf von der Nato ab, die eine Legitimation außerhalb jeder internationalen Kontrolle suche, wie von der "ultranationalistischen und diktatorischen" Regierung Slobodan Milosevics.

Der Text spricht sich ebenso für das "Recht der Kosovaren auf Selbstregierung" aus wie für den "Schutz der serbischen Minderheit" im Kosovo und fordert eine große Balkankonferenz aller Staaten und Bevölkerungsgruppen der Region, unter Einschluß der Nachbarländer Serbiens und Albaniens.