Frankreichs Justizpolizei zeigt Korpsgeist

Rallye Paris-Marseille

Die Streifenwagen der Polizei, mindestens 150, defilierten mit heulenden Sirenen und Blaulicht am Marseiller Rathaus vorbei. Drinnen weilte der französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement zusammen mit Bürgermeister Jean-Claude Gaudin. Die Störaktion vom Montag vergangener Woche war das Werk von Offizieren der Justizpolizei (PJ). Sie wollten so gegen die "überaus harte" Verurteilung von fünf PJ-Kollegen vier Tage zuvor durch ein Gericht in Versailles protestieren.

Die Strafsache ist um so spektakulärer, als sie zugleich Gegenstand eines Verfahrens gegen den französischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg ist. Halten die Strasbourger Richter, die am 18. März über die Strafsache Selmouni gegen République fran ç aise verhandelten, die Klage für begründet, wird Frankreich nach der Türkei der erste wegen Folter verurteilte europäische Staat sein.

Das Urteil wird nicht vor Juni erwartet. Doch die - durch den Gang Ahmed Selmounis vor den Europäischen Gerichtshof im Jahr 1996 ausgelöste - Ermittlung der Strasbourger Richter hat die Arbeit der französischen Justiz enorm beschleunigt. Und damit fast acht Jahre nach der Tat zu dem Versailler Urteil geführt.

Am 25. November 1991 waren Ahmed Selmouni und Abdelmajid Madi, maghrebinische Immigranten mit niederländischer Staatsbürgerschaft, auf der Polizeiwache der Pariser Trabantenstadt Bobigny übel zugerichtet worden. Ein Arzt, der Selmouni danach untersuchte, konstatierte, "selten so viele Verletzungen auf einmal festgestellt" zu haben. Faust- und Schlagstockhiebe, Ausreißen von Kopfhaaren, Urinieren auf den Gefangenen, sexuelle Gewalt: Das ganze Programm kam während des Verhörs der beiden zur Anwendung. Der Kommandant der Polizistengruppe, Bernard Hervé, wurde dafür nun zu vier Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt, drei seiner Untergebenen zu je drei Jahren, einer zu zwei Jahren.

Selmouni und Madi sind keine Engel: Als mittelgroße Fische in der Drogen-Parallelökonomie, selbst drogenabhängig, verbüßen sie derzeit Haftstrafen von 13 bzw. zehn Jahren. So weit, so normal. Weniger normal ist das Verhalten von Teilen der Presse, die davon auszugehen scheinen, daß keine Rechte mehr hat, wer seine gesetzliche Strafe wegen Drogendelikten verbüßt. "Das Wort eines Polizisten gegen die Erzählung von Drogenhändlern", lautete etwa die Schlagzeile über dem Prozeßbericht im konservativen Figaro, der so die Aussagen von Selmouni und Madi entwertete.

Ähnlich sehen es die drei wichtigsten Gewerkschaften von Offizieren der PJ - Snop, die den Linksparteien nahesteht, die konservative Synergie und die sich selbst als unpolitisch bezeichnende Snuip -, die "wie ein Mann" (Libération) sofort nach dem Urteil die Proteste zu organisieren begannen. Schon während der Urteilsverkündung hagelte es aus dem überwiegend aus Polizisten bestehenden Publikum Zwischenrufe und Beleidigungen.

Danach demonstrierten 300 Offiziere der PJ vor dem Justizministerium. Am Montag organisierten sie die Streifenwagen-Rallye in Marseille, während im Großraum Paris eine größere Anzahl von PJ-Offizieren ihre Dienstwaffen als Zeichen des Protests abgaben oder auf ihren Dienstrang verzichteten. Le Monde kommentierte, die Polizeigewerkschaften führten "einen falschen Kampf": "In dem einstimmigen Protestkonzert fiel kein Wort, das auch nur halblaut die Frage nach den Umständen eines besonders schmerzhaften Verhörs stellte."