Alternative Lebensformen

Stalins Geist

Von

Wie jedes Jahr vor dem 1. Mai ordnet sich die linke Szene Berlins neu. Wie bei einem Hochzeitsmarkt werden neue Beziehungen eingegangen, Scheidungen ausgesprochen. Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) hätte auch heuer am liebsten eine Massenhochzeit mit allen gefeiert. Auch mit den Stalinisten von der RIM. Allerdings will die traditionelle autonome Szene mit diesen Prügelbrüdern, die sich dereinst mitsamt Lautsprecherwagen in die 1. Mai-Demo reindroschen, nichts mehr zu tun haben.

Für die spätgeborene AAB kein Scheidungsgrund. An einer Demo-Liaison mit der RIM hinderte sie bislang nur die im Raum stehende Option, daß die undogmatische Autonomenszene ebenfalls eine Demo macht und die AAB dann plötzlich allein zwischen Mao-Fahnen marschiert. So konnte die AAB denn auch noch nie politisch begründen, warum sie schließlich eine Demo vom Rosa-Luxemburg-Platz initiierte, während die RIM traditionell am Oranienplatz losging.

Offenkundig wird das bei der "Begründung", mit der die AAB dieses Jahr erstmals wieder zum Oranienplatz mobilisiert, zu einer gemeinsamen Demo: "Grundlage der Einheit ist die Erkenntnis, daß tatsächliche Veränderungen des reaktionären Status quo nur zusammen erkämpft werden können." Das ist alles. Ist der AAB diese Erkenntnis gerade gekommen? Warum kann plötzlich auf Stalins Geist nicht mehr verzichtet werden? Die Erklärung für den vermeintlichen Bewußtseinswandel ist ganz einfach: Die traditionelle autonome Szene hat sich inzwischen von der 1. Mai-Demo verabschiedet. Dieses Jahr war erstmals von vornherein klar, daß aus diesem Spektrum keine Aktivitäten zu erwarten sind. Bahn frei also für die Pop-Antifa!

Doch auch wenn die letzten Skrupel fallengelassen sind und man sogar bereit ist, auf dem Leuchtenden Pfad der Guzmänner und -frauen mitzumarschieren, steckt die AAB in einer Zwickmühle: Ist sie nicht eigentlich irgendwie auch eine Antifa? Müßte sie nicht, statt unter dem weitgehend sinnfreien Motto "Es gibt keine Alternative zur Revolution" durch Berlin zu rennen, an jenem Tag in Bremen die Nazis auseinandertreiben?! Den Job übernehmen nun die Autonomen, die ja jetzt am 1. Mai plötzlich Zeit haben. Kein gutes Bild für die AAB. Also entschied die sich für den Kundgebungsbeginn 18 Uhr. Vorher Nazis jagen, dann im Tiefflug über die Autobahn und bei der Abschlußkundgebung noch einmal rasch "Hoch die internationale Solidarität" gerufen!

Dafür war die RIM jedoch nicht zu haben. Sie bleibt bei ihrem Mittagstermin. Pech. Also doch nicht mit der RIM. Die geht jetzt um 13 Uhr vom O-Platz los, die AAB um 18 Uhr vom selben Ort. Als letzte kommt dann die BSR dorthin und räumt den Dreck weg. Nicht wirklich eine Alternative zur Revolution, sicher, aber das muß auch gemacht werden.