Unruhige Hinterländer

In Griechenland, Rußland, Italien und Frankreich wächst die Kritik an dem Nato-Angriff auf Jugoslawien. Nicht nur in der Bevölkerung, auch von manchen europäischen Regierung wird er abgelehnt

"Schlachtung der Lämmer", "Ostern der Barbaren" oder einfach "Nato und EU - Kriegssyndikat" - so lauten die Schlagzeilen der griechischen Tageszeitungen in diesen Tagen. Die Medien sind sich weitgehend einig in ihrer Meinung zum Krieg in Jugoslawien.

In seltener Einmütigkeit präsentiert sich auch die griechische Regierung. Trotz des starken Drucks der USA, endlich voll auf die Nato-Linie einzuschwenken, beharrt Athen auf einer politischen Lösung des Kosovo-Konflikts. Wegen der Verpflichtungen des Landes gegenüber der Nato und der EU vermeidet Ministerpräsident Kostas Simitis jedoch die direkte Forderung nach Einstellung der Bombardements.

Deutlicher wird hingegen die Opposition. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei KKE, Aleka Papariga, forderte, "jede direkte und indirekte Teilnahme der Regierung an diesem schmutzigen Krieg" zu beenden, und Parteipräsident Nikos Konstantopoulos von der Linksallianz (Synaspismos) sieht in den Luftangriffen gar ein "historisches Verbechen".

Für Verärgerung sorgte auch eine Erklärung von US-Präsident Clinton über einen möglichen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Der Krieg könne eine Reihe von Krisen in verschiedenen Balkanländern auslösen; Kern der Konflikte seien die jeweiligen nationalen Minderheiten, wie etwa die Muslime im griechischen Westthrakien - in der griechischen Öffentlichkeit wurde dies als offene Drohung der USA an die Adresse Athens verstanden, die Vorbehalte gegen die Nato-Angriffe fallenzulassen. US-Botschafter Nicholas Burns verstärkte noch die Empörung, als er erklärte, Clinton sei mißverstanden worden und die USA unterstützen "weiterhin die Unantastbarkeit der griechischen Grenzen"; die bisherige Sprachformel lautete: "garantieren die Grenzen".

Bestärkt wurde die griechische Einschätzung durch Äußerungen des türkischen Außenministers Ismail Cem. Mit Bezug auf Clinton erklärte er, ein Krieg zwischen den beiden Nachbarländern sei nur denkbar, wenn Griechenland die Nato-Linie verlasse und Serbien militärischen Beistand gewähre. Dies wird sich Athen zwar weder erlauben können noch wollen, aber auch so zeichnet sich ein ernster Konflikt innerhalb der Nato ab. Denn im Falle eines Einsatzes von Bodentruppen will die Türkei im Kosovo präsent sein und fordert deshalb eine Transiterlaubnis für ihre Truppen durch Griechenland - ein Anliegen, das für die Griechen völlig unakzeptabel ist.

Die Regierung steht unter Druck. Während die Spannungen mit den Nato-Partnern zunehmen, weitet sich der Protest gegen den Krieg aus. Das griechische Fernsehen berichtet mehrere Stunden täglich auf allen Sendern direkt aus Belgrad, Pristina, aber auch aus dem Kosovo - immer wieder unterbrochen durch die Einblendung von Archivbildern, die die Bombardierung Belgrads 1941 durch die deutsche Luftwaffe zeigen. Keine Stadt, kein Dorf, in dem nicht mit Demonstrationen, Aktionen und Konzerten gegen den "Völkermord" protestiert wird. Am 2. April erfolgte eine mehrstündige landesweite Arbeitsniederlegung, zu der neben dem Gewerkschaftsdachverband GSEE u.a. auch die Arbeitgeberorganisation des Handels aufgerufen hatte. Am Abend desselben Tages verfolgten in Thessaloniki weit über 100 000 Menschen ein Anti-Kriegskonzert, das als Unterstützung für das "heimgesuchte, tapfere serbische Volk" live in ganz Jugoslawien übertragen wurde.

Moskauer Mix

"Schluß, Aus, Punkt, Auf Wiedersehen". So kommentierte die SZ das überaus kurze Treffen des russischen Premiers Jewgeni Primakows mit Gerhard Schröder in der vergangenen Woche. Primakow war aus Belgrad zum Rapport nach Deutschland gekommen. Der Vorschlag, den der russische Premier nach seinem Treffen mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic mitgebracht habe, sei "keine Basis für eine politische Lösung", sagte Schröder als EU-Ratsvorsitzender nach dem Treffen lapidar. Und kurz darauf erklärte die Nato, den Luftkrieg gegen Jugoslawien auszuweiten - auf zivile Ziele in Belgrad.

Die Reaktion in Moskau war scharf: Der russische Außenminister Igor Iwanow meinte am folgenden Tag, schließlich hätten die Nato-Mitglieder Primakow zu seiner Reise ermuntert. Und bemerkte süffisant, erst schaffe die Nato eine humanitäre Katastrophe, um sie dann mit einer Bodenoperation zu verhindern.

Am Wochenende zuvor hatte Rußlands Präsident Boris Jelzin seine jährliche Ansprache zur Lage der Nation gehalten. Sie fiel saft- und kraftlos aus und bezog sich in erster Linie auf das wirtschaftliche Desaster in Rußland. Aber ein Signal war deutlich: Rußland werde sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen. Der tragische Fehler der US-Regierung in der Kosovo-Frage, so Jelzin, dürfe keine lange Krise in den russisch-amerikanischen Beziehungen zur Folge haben.

Die kann sich Moskau eh nicht leisten. Denn mit dem Internationalen Währungsfonds wird laufend über die Wiederaufnahme der im vergangenen Sommer gestoppten Kreditauszahlungen verhandelt. Am Montag vergangener Woche kam eine Grundsatzvereinbarung zwischen Primakow und dem IWF-Direktor Michel Camdessus zustande; Höhe des versprochenen Darlehens und Zeitrahmen der Auszahlung sind umstritten. Erwartet wird eine Auszahlung frühestens im Mai. In diesem Monat kommen auf Rußland überdurchschnittlich hohe Zinszahlungen zu.

Eine weitere Vereinbarung deutet auf die Klemme hin, in der sich das russische Establishment befindet. Mitte vergangener Woche kam es zur Einigung auf lange umstrittene Eckdaten des KSE-Vertrags, des Abkommens über konventionelle Abrüstung in Europa - trotz des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen Moskaus zur Nato. Rußland machte deutliche Zugeständnisse: Der von der Nato geforderten Erhöhung der nationalen und territorialen Obergrenzen für Truppenstationierungen wurden umfangreiche Möglichkeiten eingeräumt, im Gegenzug wurde lediglich eine kleine Senkung der Obergrenze für die neuen Nato-Länder Polen, Ungarn und Tschechien vereinbart.

Das weitere Vorgehen Moskaus folgt der Linie: Scharfe Kritik am Nato-Krieg - zugleich Versuche, auf diplomatischer Ebene eine eigenständige Rolle zu verdeutlichen. Am Donnerstag vergangener Woche sprach sich Jelzin im Fernsehen für ein Treffen der Außenminister der G-7 und Rußlands zum Kosovo-Konflikt aus. Am Samstag erklärte das russische Außenministerium, es habe UN-Generalsekretär Kofi Annan schon früher in der Woche kontaktiert, um Rußlands Absicht anzukündigen, auf dem Landweg humanitäre Hilfe nach Jugoslawien zu senden. Zugleich dümpelt das mit Elektronik vollgestopfte russische Kriegsschiff "Liman" in Richtung Adria, um, so die offizielle Auskunft, Informationen über die aktuelle Lage im Kosovo-Konflikt zu sammeln.

Römisches Roulette

Noch hält der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema seine Mitte-Links-Regierungskoalition zusammen. Während der sozialdemokratisierte Postkommunist betont, Italien werde seiner Verantwortung innerhalb der Nato nachkommen, muß er zu Hause jeden Tag um seine Minister bangen. Zunächst hatte Armando Cossutta von der Partei der Kommunisten Italiens (PdCI) für vergangenen Samstag den Rückzug ihrer beiden Minister aus der Regierung angekündigt, um gegen die italienische Beteiligung am Kosovo-Krieg zu protestieren.

Zwar war schon vorgesehen, eine Interimsregelung für diesen Fall zu finden, um den PdCI-Ministern die Rückkehr offenzuhalten. Doch dazu mußte es gar nicht kommen. Mit großer Mehrheit hat sich die Parteispitze der PdCI für den Verbleib in der Regierung ausgesprochen. Begründung: D'Alema habe neue diplomatische und humanitäre Initiativen gestartet. Auch die Grünen haben sich bis auf weiteres - und schweren Herzens, wie sie nicht müde werden zu betonen - entschieden, in der Koalition zu verbleiben. Sollte es jedoch zum Einsatz von Bodentruppen kommen, wollen sie aus der Koalition aussteigen. Bisher jedenfalls.

Sollten die Grünen nicht nur ihre Minister zurückziehen, sondern auch D'Alema die Unterstützung im Parlament versagen, dann bliebe dem Ministerpräsidenten nur eine Koalition mit den Rechten. Aus der Opposition könnte die Polo-Koalition aus der faschistischen Alleanza Nazionale (AN) und der Forza Italia in die Regierung aufgenommen werden. Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi betont bereits eifrig, wie notwendig der Einsatz von Bodentruppen sei. AN-Chef Gianfranco Fini hält sich etwas zurück und erklärt nur seine Bereitschaft, die Regierung zu unterstützen: Er wolle nur jene nationale Einheit, die helfe, die Flüchtlinge zu retten.

Einer allerdings stört die Kriegslust der Rechten: der Papst. Hinter der Friedensbotschaft des Kirchenoberhauptes dürfte jedoch nicht nur der Wunsch nach friedlichen Ostern gestanden haben, sondern auch die Hoffnung auf gut-christliche Zusammenarbeit mit der serbisch-orthodoxen Kirche.

Auch ganz rechts wird der Krieg abgelehnt. Die Splitterparteien Fiamma tricolore und Fare fronte begeistern sich für die Serben; die separatistische Lega Nord sprach von einem "neuen Vietnam im Herzen Europas". Bei der ersten Anti-Kriegs-Demo der Lega Nord wetterte Lega-Chef Umberto Bossi gegen die Nato und den "amerikanischen Feind".

Wenig Kriegslust verspürt auch die Mehrheit der Bevölkerung. Umfragen zufolge sprechen sich 50 Prozent gegen die Nato-Schläge aus. Und die Medien greifen diese Stimmung auf. Verschiedene Radiostationen sendeten vergangene Woche als Zeichen gegen den Krieg einen Luftalarm. Mindestens drei Millionen ItalienerInnen hörten den Lärm der Sirenen, der bei Luftangriffen in Belgrad aufgenommen worden war.

Am vergangenen Samstag demonstrierten Hunderttausend in Rom gegen den Krieg. Ihre Forderungen: "Stopp der Bombardierungen", "Keine kriegerischen Aktionen von italienischem Boden aus", "Milosevic aufhalten und die Menschenrechte der Bevölkerung und der Flüchtlinge verteidigen". Über hundert Organisationen hatten zu der Veranstaltung aufgerufen. Geplant waren auch Aktionen vor dem Nato-Stützpunkt in Aviano.

Pariser Puffer

Auch in Frankreich wird immer wieder gegen den Nato-Krieg in Jugoslawien demonstriert. Am Gründonnerstag versammelten sich zwischen 8 000 und 10 000 Kriegsgegner an der Pariser Place de la République: darunter vor allem die AnhängerInnen aus dem KP-Umfeld, der Gewerkschaft CGT und der beiden trotzkistischen Parteien.

Mit einem Abstand von mehreren hundert Meter folgten die serbischen Demonstranten. Deren politische Haltung war nur schwer einzuordnen: Alte Frauen zeigten Heiligenbilder und Kreuze, andere Demonstranten trugen Fahnen oder Schals in den jugoslawischen Nationalfarben. Junge Männer verteilten Flugblätter mit der Parole "Clinton = Hitler" und "Das serbische Volk wird siegen." Nicht alle im serbischen Block wollten jedoch den Nationalismus hochleben lassen, bei vielen war eher eine ohnmächtige Wut zu spüren - und die Abwesenheit jeglicher politischer Maßstäbe.

Bereits in der Vorwoche hatte die CGT auf der ersten Anti-Kriegs-Demonstration wegen des nationalistischen Auftretens mancher Serben einen räumlichen Puffer zwischen den beiden Demoblöcken verlangt. Auf diese Weise sollte auch die Distanz zur extremen Rechten unterstrichen werden - der Front National des Jean-Marie Le Pen unterhält beste Beziehungen zur serbischen Bruderpartei des Ultranationalisten und Vize-Premiers Vojislav Seselj. Die Rechtsradikalen beklagen vor allem eine US-Politik, die "eine muslimische Bevölkerung durch Bombardieren eines christlichen Volkes" zu schützen trachte und die durch die Errichtung islamischer Staaten (Bosnien, Albanien) die europäische Zivilisation zerstören wolle.

Die Teilnahme an der Demonstration zeigt aber, wie gespalten die KP derzeit ist; sie versucht, an der Regierungskoalition festzuhalten und zugleich auf der Straße gegen die Nato-Operation zu mobilisieren. Ein unhaltbarer Zustand, tobt die konservative Opposition, die den Rücktritt der KP-Minister fordert - während Frankreichs Militärs "ihr Leben riskieren", erklärte der Fraktionschef der Neo-Gaullisten, Jean-Louis Debré, dürfe nicht ein Teil der Regierung gegen ihren Einsatz eintreten.

Die KP und der sozialistische Premier Lionel Jospin sind daher bemüht, die Wogen zu glätten. So erklärte Jospin, die "Diskussion" innerhalb der Koalition sei "legitim", müsse aber von der "Entscheidung" des Kabinetts abgetrennt werden. Der Premier, kommentierte dazu Le Monde, sei im Grunde froh über die Rolle der KP, denn diese verhindere, daß die radikale Linke alleine den Anti-Kriegs-Protest übernehme.