Bewegte FototapetenIndividuelle Wellness

Andy Brehme und Jürgen Kohler sichten ihren Werdegang

"Vom Feeling her ein gutes Gefühl" heißt ein just erschienenes Bändchen absurder Prosa aus dem Universum deutschsprachigen Fußballpalavers. Titelschutz für die geniale Zeile beansprucht Verleger Klaus Bittermann, Andreas Möller aber tat den Spruch, fand die Worte, die genügen, um das Abbild der modernen Fußballerseele in einen bleischweren Satz zu gießen: "Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl." Jedes Buch der Neunziger, in dem der Bundesligaprofi und sein Treiben wie auch immer zum Gegenstand der Betrachtung erkoren werden, könnte passender nicht überschrieben sein.

Wem angesichts Möllers anglophiler Tautologie allerdings nur ein "So sind sie halt, dumm wie Bohnenstroh" einfällt, übersieht, was heutzutage in den Augen der Spieler einzig Relevanz besitzt: das Gefühl für's richtige Feeling. Wenn der Knoten endlich platzt und die Pille nach 736 beklemmenden Minuten auf einmal in die Maschen fährt, die Pässe, aus dem Fußgelenk geschlagen, schlagartig wieder millimetergenau ankommen, das Spiel blind gelesen wird und die Raumaufteilung plötzlich paßt, schweigen Trainer und Reporter. Dann kräht kein Hahn mehr nach Viererkette und ballorientierter Gegnerdeckung. Dann stimmt das Feeling, basta.

Auch jüngste autobiographische Äußerungen deutscher Weltfußballer belegen dies eindrücklich, Jürgen Kohlers "An mir kommt keiner vorbei" genauso wie Andreas Brehmes "Das war's, Freunde". Eingedenk aller Unterschiede zwischen den beiden, hier der von Beckenbauer einst zum rundum perfekten Spieler ernannte "Mister Zuverlässig", da der begnadetste Holzer, den Elektromeister Schlappner je über den Truppenübungsplatz am Waldhof hetzen durfte, Brehme und Kohler wollen uns auf summa summarum 386 Seiten nur eines sagen: Wenn du das entsprechende "Gefühl im Rükken" (Kohler) spürst, das "super Feeling" (Kohler) da ist, "die Stimmung in der Mannschaft" (Brehme) wie "damals in Erba" (Kohler) so "locker" (Brehme), dann erlebst du, was man "nur in Italien erleben kann" (Brehme) und machst "nach jedem Spiel die Nacht zum Tag" (Kohler).

Ja, die WM 1990 in Italien, als Brehme den Elfmeter verwandelte, der ihn nicht nur für Rudi Völler "unsterblich gemacht hat", und Kohler laut Lothar Matthäus "Ein ganz Großer!" wurde, brachte eine Zäsur im deutschen Fußball. Nach dem siegreich absolvierten unverlierbaren Finale folgte der Ritterschlag für King Feelgoods Untergebene und die feierliche Aufnahme in den Orden. Beckenbauer bot allen Spielern das Du an und besiegelte mit diesem auf Schloß Erba angebahnten Akt den Triumph der Bruderschaft zum bauchmäßig guten Vorgefühl.

Als er sich darüber hinaus in einem von persönlichem Sehergrößenwahn befeuerten chauvinistischen Anfall zu der Prophezeiung verstieg, die deutsche Elf sei von nun an über Jahre hinaus unschlagbar, wollte keiner der Getreuen widersprechen. "Wiedervereinigung" und WM-Sieg verklebten die Hirnlappen, germanozentrische Geschichtsphilosophie herrschte ganzheitlich.

Hinterher ist selbst ein Jürgen Kohler klüger. Angesichts der Ergebnisse unter Vogts räumt der große Blutgrätscher knapp ein Jahrzehnt nach Beckenbauers deutschnationalem Geraune ein, das mit dem "auf Jahre hinaus unschlagbar" sei nicht ganz glücklich gewesen. "Spontan aus dem Bauch" heraus habe der "wichtigste Mann im deutschen Fußball" halt agiert, er habe eine, um im Bilde zu bleiben, Fußballgefühlsäußerung fahren lassen, derentwegen er jedoch nicht zu verdammen sei. Was kann Beckenbauer schließlich dafür, wenn er die "Wirkung seiner Worte unterschätzt"?

Daß 1992 dennoch Dänemark Europameister wurde, lag nur an Vogts - und an den Dänen. Die hatten sich, so Kohler, "bei McDonald's auf die WM vorbereitet", während Vogts um das Quartier der Seinen den "berühmten Zaun" ziehen ließ. "Das war überhaupt kein Vergleich zu Erba", und auch "die Chemie stimmte nicht", so Kohlers Begründung für die Pleite.

Eins schien endgültig klar, unter Vogts fehlte trotz individuell vorhandener südländischer Wellness das kaderübergreifende Wohlfühlgefühl. Mit dem "auf Jahre hinaus unschlagbar" war es Essig. Das begriffen Kohler und Brehme spätestens jetzt. Ihnen war es unmöglich, die Mannschaft am störenden Einfluß Vogts' vorbei mit dem Geist des guten Gefühls zu erfüllen; eine Erkenntnis, die sich gnadenlos in ihren Lebensbeschreibungen niederschlug.

"Mama, wir müssen jetzt ganz fest auf dem Teppich bleiben", heißt die Forderung etwa bei Kohler, wenn er seinen Aufstieg zum Fußballstar beschreibt. Und vom Gipfel herunter beschwört er sich selbst: "Ich bin immer auf dem Boden geblieben und habe mich nie als etwas Besonderes empfunden." Andreas Brehme scheinen solcherart gebetsmühlenartig abgeleierte Bekenntnisse immer noch zu wenig. Von Uwe Seeler über Rudi Völler, von Ministerpräsident Beck über Hansi Hinterseer bis hin zu den kindlichen Fans Patrick und Mario Utzinger fährt er nahezu alle auf, denen er in seinem Leben irgendwann begegnet ist, auf daß sie wieder und wieder bekunden: "Andy, Du bist immer mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben!"

Freilich, die Verpackung des Brehmeschen und Kohlerschen bescheiden, ohne Sendungsbewußtsein agierenden Fühlleibes unterschied sich und führte zu Verwerfungen, obwohl beide Ausformungsorientierung bei ihrem alten Meister Beckenbauer gesucht hatten. Das private Fotoalbum dokumentiert es: "Andreas serviert an Weihnachten 1996 in Kitzbühel die traditionelle Weihnachtsgans." Beckenbauers Adlerhorst ist Familie Brehme zur "zweiten Heimat" geworden, und auch dessen neuen Sport, von dem, kein Zufall, 1990 des Teamchefs grob kariertes Beinkleid weltweit Kunde tat, pflegt Andreas dort, das Golfen. Es ist - was sonst - gut fürs Wohlgefühl.

"Ich", schreibt Brehme, "fühle mich nach einer vierstündigen Golf-Tour pudelwohl und freue mich dann auf ein frisches Weizenbier mit einer Scheibe Zitrone und den Talk mit meinen Golf-Freunden." Offensichtlich hatte Brehme da irgend etwas falsch verstanden. Kitzbühel und Golf, das hätte ihm Beckenbauer sicher gern verraten, heben das Gefühl des Fußballers erst nach Ende der aktiven Laufbahn.

Nicht zum Kreis von Brehmes Golf-Freunden gehörte während der WM 1994 in den USA Jürgen Kohler. "Wenn Spieler", er nennt keine Namen, "ihr Augenmerk während der WM darauf richten, ihr Handicap im Golf zu verbessern, kann das nicht im Sinne der Sache sein. (...) Dann müssen die Leute eben Golf- oder Tennisspieler werden und nicht Fußballprofi." Dem Stopper hat Beckenbauer schließlich anderes ins Stammbuch geschrieben. Wenn die Deutschen schon nicht allein vom Gefühl her fühlen, daß sie "auf Jahre hinaus ..." - Sie wissen schon -, sollten sie sich wenigstens auf die "deutschen Tugenden" besinnen. "Jürgen Kohler hat sie alle in sich vereinigt: Fleiß, Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit, Kampfgeist, Einsatzwille". Zum obligatorischen Einzug ins Halbfinale reicht das allemal.

Der Hund für das Desaster in den USA liegt folglich anderswo begraben. In Chicago waren falsche Gefühle mit vor der Partie, weibliche, mithin Sex und Fleischeslust, ganz allgemein gesprochen Bad Vibrations. Stefan Effenberg und Bodo Illgner holten sich drüben das Hochgefühl für's Spiel nämlich bei Muttern respektive fast täglich in den Armen ihrer mitreisenden Gattinnen Martina und Bianca. Kohler spürte gleich, was Sache ist: "Es gab auf einmal eine ganze Reihe negativer Strömungen", weil "Effenberg und Illgner (...) zusammen mit ihren Familien so eine Art Allianz der Ausgestoßenen gebildet" hatten. Da half dann wirklich gar nichts mehr, auch nicht die Einwechslung des weizenbierblonden Golfers Brehme kurz vor Schluß des Bulgarien-Spiels. Stoitchkov & Co., die im Whirlpool soffen, waren schlichtweg besser drauf.

"Ich hatte vom Feeling her ein gutes Gefühl." Nein, 1998 in Frankreich ging Andi Möller diese Sentenz mit Sicherheit nicht über die Lippen. Sein letzter verzweifelter Versuch, bei der Gattin über das Handy aufmunternde Worte einzuholen, schlug fehl. "Andi, komm nach Hause", lautete, wie Kohler kolportiert, die Antwort Michaelas. Gleichwohl zeigt Kohler Verständnis für Möllers Hilferuf: "Wir sind doch keine Roboter, bei denen man einen Schlüssel umdreht, und dann läuft die Kiste. Wir sind Menschen mit Gefühlen."

Dem wäre im Grunde nichts mehr hinzuzusetzen. Einzig die formale Aufbereitung von Kohlers wie auch Brehmes Lebensbeschreibung bedarf noch eines Hinweises. Gemessen an Andi Möllers Fußballweisheit wirken beider Bücher anachronistisch wie diejenigen Seelers und Fritz Walters. Warum sie es nicht, gleich Möller, unternahmen, ihr Leben und damit ihre Gefühlswelt digital abzubilden, dem von der Firma Electronic Arts angeleiteten Dortmunder Empfindungsmann nicht nacheiferten und im Motion-Capturing-Verfahren Körper und Geist homekompatibel Gestalt gaben, damit alle Interessierten via Computerspiel hautnah mitkriegen können, wie sich's wirklich anfühlt, wenn ein Weltklassemann voll gut drauf kickt, bleibt am Ende unverständlich.

Wer also unbedingt zum Buch greifen will, um einen Fußballspieler authentisch zu erleben, sei auf Altbewährtes verwiesen. Horst Hrubeschs 1980 erschienenes "Dorschangeln vom Boot und an den Küsten" ist auch heute noch das Maß aller Dinge.

Andreas Brehme: Das war's Freunde. Sportverlag, Berlin 1998, 178 Seiten, DM 39,90

Jürgen Kohler: An mir kommt keiner vorbei. DH. Sports, Mannheim 1998, 208 Seiten, DM 39,90