Pierre Bourdieu: "Der Eigene und sein Eigenheim"

Bürgerelend mit Terrasse

Davor eigens aus der Provinz geflohen, findet man sie inzwischen an der Peripherie und im Umland von Berlin wieder: sich endlos hinziehende, eintönig und immer gleich geschnittene Einfamilenhäuser. Wer wohnt denn hier? Das "kleinbürgerliche Elend", wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Buch "Der Einzige und sein Eigenheim" schreibt.

Mit diesem "Elend", das zumeist auch eine Terrasse besitzt, sollte man allerdings, empfiehlt Bourdieu, "nur bedingt Mitleid haben, weil diese Bedrückten mit ihren irregeleiteten, entpreßten und entfremdeten Wünschen" auch immer einen Teil Komplizenschaft mit denen ausstrahlen, von denen sie ausgebeutet werden, weil sie also "an ihrem eigenen Unglück mitwirken".

Zwei- bis dreihunderttausend BerlinerInnen des besser verdienenden Mittelstands haben in den letzten Jahren die Innenstadt von Berlin verlassen, um in einem Eigenheim im Grünen unglücklich zu werden. Sie selbst werden natürlich das Gegenteil behaupten.

Diesen Wanderungsbewegungen der Städter widmet Pierre Bourdieu eine umfassende Untersuchung, die er mit seinen MitarbeiterInnen seit Mitte der achtziger Jahre durchführte. Mit Hilfe von Interviews, Mitschnitten von Verkaufsgesprächen, der Analyse betrieblicher Daten und Werbematerialien interpretiert er das Phänomen der "Vereigenheimung" unter verschiedenen Gesichtspunkten - ökonomischen, sozialen, soziopsychischen, politischen und rechtlichen. Auch wenn sich die Aufsätze mit den Entwicklungen im Großraum Paris beschäftigen, besitzen sie doch exemplarischen Charakter für die Situation in und um die europäischen Metropolen, und nicht zuletzt lassen sich viele Ergebnisse auf die Berliner Verhältnisse anwenden.

Die Aufsätze beschreiben detailliert, wie die im Kapitalismus entstehenden Ängste vor Kündigung, Mieterhöhung und das Gefühl des Ausgeliefertseins an einen Hausbesitzer einen Ausbeutungszirkel in Gang halten, aus dem der Einzelne durch den Erwerb eines Eigenheims auszubrechen versucht. Vergeblich. Bourdieu beschreibt, wie diese Einfamilienhäuschen die Menschen auf die Kleinfamilie reduzieren und warum das Haus nicht nur eine bauliche Architektur, sondern auch eine Architektur des Alltagslebens und der Vereinzelung ist.

In seiner für den deutschen Sprachraum recht ungewohnt radikalen und parteilichen, aber dennoch um wissenschaftliche Genauigkeit bemühten Sprache macht Bourdieu anschaulich, wie "auf mehrfache Weise die Falle des Eigenheims" funktioniert, wenn nämlich das "Häuschen im Grünen" nach und nach "zum Ort aller Fixierungen und Besetzungen wird" und eine "Domestizierung der Wünsche und Vorhaben zur Folge hat". Das Eigenheim besitzt den Eigenheimbesitzer.

Das Buch steht in einer Reihe mit weiteren, in den letzten zwei Jahren erschienenen Titeln von Bourdieu wie "Das Elend der Welt", "Über das Fernsehen" und "Gegenfeuer", in denen er die Gesellschaft des Neoliberalismus beschreibt und in gesellschaftliche Auseinandersetzungen interveniert. Mit der Methode der "anteilnehmenden Objektivierung" versucht er den "Studienobjekten" nahezubringen, was an ihrer Misere schuld ist - vor allem die verinnerlichten Gesellschaftsstrukturen.

Pierre Bourdieu: Der Einzige und sein Eigenheim. Schriften zu Politik & Kultur 3, VSA, Hamburg 1998, 120 S., DM 36,80