Der Dämon heißt USA

In Griechenland protestieren nicht nur Linke gegen den Nato-Krieg. Auch für bürgerliche Kreise sitzt der Hauptfeind auf der anderen Seite des Atlantiks

Die alten Feindbilder haben wieder Konjunktur: Seit Beginn des Nato-Krieges erlebt der traditionelle griechische Anti-Amerikanismus eine neue Hochphase. Mit der Nato-Bombardierung von Rest-Jugoslawien rollt eine Welle von Anti-Nato- und - mit Abstrichen - Anti-EU-Demonstrationen durch Griechenland.

In jeder Stadt, in jedem Dorf findet zumindest einmal in der Woche eine Versammlung gegen den Krieg statt, die vor allem in den kleinen Gemeinden fast immer von Griechenlands ältester Partei, der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands), organisiert wird. Und die hat nunmal einen Feind: die USA. Andere Widersprüche treten da leicht in den Hintergrund. Schulter an Schulter mit der orthodoxen Kirche sammeln die Kommunisten Spenden für die "serbischen Brüder". Auf Demonstrationen schwenken die Nationalisten beider Länder einträchtig griechische und serbische Fahnen, zusammen mit dem gelben, doppelköpfigen Adler der Kirche und den roten Fahnen der Partei.

Zwischen 95 und 98 Prozent der Griechen sind nach Meinungsumfragen gegen den Krieg. Oppositions-Politiker von der rechten Nea Dimokratia, der linksnationalistischen Dikki, einer Abspaltung der Regierungspartei Pasok sowie der Linksallianz bis hin zur KKE geben sich bei Besuchen in Belgrad die Klinke in die Hand. Gewerkschafter und Studenten reisen in jugoslawische Städte und reihen sich dort in Menschenketten ein, um die letzten Brücken und Betriebe vor den Nato-Bomben zu schützen. In Thessaloniki blockierten vergangene Woche mehrere Hundert Demonstranten das Hafengelände und verhinderten damit den Transport einer britischen Militäreinheit.

Mit unverhohlener Sympathie kommentierte selbst die Tagespresse Brandsatz-Angriffe anarchistischer Gruppen auf die US-Botschaft in Athen und eine Filiale von General Motors. Und die Anschläge gegen US-amerikanische und Nato-Einrichtungen häufen sich. Bei einer Bombenexplosion im Intercontinental in Athen, wo eine Konferenz multinationaler Konzerne stattfinden sollte, starb vergangene Woche eine Frau. Der Anschlag habe sich gegen die "Verantwortlichen für die neue Weltordnung und den Krieg in Jugoslawien" gerichtet, hieß es dazu in einem Bekennerschreiben der Revolutionären Zellen. Kurz zuvor scheiterte in Thessaloniki ein Anschlag auf die US-Stiftung Fullbright.

Aber auch in bürgerlichen Kreisen wird der Protest gegen den Krieg schärfer. In einem Beschluß des Landrates von Chania auf Kreta wurde der US-Botschafter Nicolas Burns zur "unerwünschten Person" erklärt. In dem Beschluß wurde auch darauf hingewiesen, daß die "körperliche Unversehrtheit" der US-Soldaten nicht mehr garantiert werden könne. Die US-Regierung hat mittlerweile offizielle Beschwerde in Athen eingelegt und erwägt nun, Griechenland in die Länderliste mit negativen Reiseempfehlungen für US-Bürger aufzunehmen.

Die Stimmung ist eindeutig, und Ministerpräsident Kostas Simitis gerät immer mehr unter Druck. "Raus aus der Nato", fordern KKE und Dikki; als "Dämon", "Satan" und "transatlantischer Faschist" geißelte der Erzbischof von Athen und Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Christodoulos, den US-amerikanischen Präsidenten Anfang April.

Seinen Schäfchen dürfte der für seine chauvinistischen und nationalistischen Überzeugungen bekannte Oberhirte damit aus der Seele gesprochen haben. Die alten Feindbilder haben auch in der Kirche Konjunktur: Die "imperialistische USA" mit dem "Faschisten Clinton" an der Spitze, wetterte Christodoulos, benutzten die Nato als Werkzeug für ihre "mörderischen Pläne". Offensichtlich seien die Europäer nichts weiter als "Lakaien der USA". Daß die vermeintlichen "Lakaien" dabei auch noch eigene Ziele verfolgen, ignorierte er geflissentlich.

So wurde zwar noch zu Beginn des Kriegs in den Medien heftig gegen Deutschland polemisiert; zum Jahrestag der Bombardierung Belgrads von 1941 durch die deutsche Luftwafffe sendeten beispielsweise alle Fernsehkanäle entsprechende Archivbilder. Doch spätestens seit der "Friedensinitiative" des deutschen Außenministers Joseph Fischer steht man wieder fest zum "starken Partner Deutschland" und kämpft gegen den "Völkermörder USA".

Denn seit dem Ende der griechischen Militärdiktatur 1974, die sich der aktiven Unterstützung durch die CIA erfreuen konnte, kommt (fast) alles Übel aus Übersee. Diese Verschwörungstheorie, verbunden mit der Angst vor dem "Erbfeind" Türkei, dominiert jede Analyse der Kriegsursachen. Der Nationalismus ist dabei kein Thema. Nur das Schlagwort der "neuen Weltordnung" taucht öfter in den Flugblättern auf. Auch dabei geht es nicht um die militärische Hegemonie der hoch entwickelten kapitalistischen Staaten, sondern um den personifizierten Weltpolizisten William Clinton: Allein dieser würde über das Schicksal Griechenlands und Jugoslawiens entscheiden.

Im Gegensatz dazu erfreut sich das leidgeprüfte "serbische Volk" breiter Unterstützung. Und das nicht nur aus sentimentalen Gründen. In Griechenland sind 98,2 Prozent aller Griechen christlich-orthodoxen Glaubens, Kirche und Staat bis heute nicht vollständig getrennt - und so leidet man eben mit den Glaubensbrüdern. Mitte April etwa weigerten sich ein Matrose und ein Offizier "aus religiösen Gründen", mit dem Kriegschiff "Theistoklis" in die Adria auszulaufen, um sich dort der Nato-Flotte anzuschließen.

Zum anderen richten sich die Nato-Bomben auch gegen einen traditionellen Verbündeten Griechenlands. In beiden Ländern entstanden zwischen 1941 und 1945 starke Partisanenverbände, die einen verlustreichen Befreiungskampf gegen die deutsche Nazi-Wehrmacht führten. Da nach Meinung viele Hellenen nur "feindlich" gesinnte Länder an Griechenland grenzen, wird die Solidarisierung mit dem einzig befreundeten Staat auf dem Balkan immer größer. Von überall her droht die "islamische Gefahr": Von Albanien über Mazedonien bis hin zur Türkei spannt sich der feindliche Bogen.

Und so demonstrieren die bürgerlichen Parteien, die Kirche und die KKE gemeinsam gegen den Krieg. Nur die Pasok-Regierung bleibt auf Nato-Kurs, weil auf diese Weise am besten die "nationalen Interessen" verteidigt werden könnten, wie Minsterpräsident Simitis nicht müde wird zu betonen. Eine zumindest gewagte Interpretation. Denn Ziel der Regierung ist vor allem die unveränderte Festschreibung der Grenzen auf dem Balkan. Sollte es zu einer Abspaltung des Kosovo kommen, könnte dies eine generelle Diskussion über Grenzveränderungen auf den Balkan nach sich ziehen - von der dann auch Griechenland betroffen sein könnte. Ein "Großalbanien", "Großmazedonien" oder türkische Annexionswünsche für das griechische West-Thrakien wären nicht mehr auszuschließen, fürchtet man in Athen.

Dennoch gehört Simitis bisher zu den Kriegsgewinnlern. Nach dem Debakel um die Aufnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan und harten innenpolitischen Auseinandersetzungen lag die Regierungspartei Pasok zu Beginn des Krieges mit bis zu 15 Prozent hinter der oppositionellen Nea Dimokratia zurück. Nach rund sechs Wochen Krieg hat die Pasok nun wieder aufgeholt und rechnet schon mit einem Wahlsieg bei den Europawahlen im Juni.

Die Strategie von Simitis, sich zwar verbal vorsichtig von der Nato zu distanzieren, im Endeffekt aber doch alle Entscheidungen mitzutragen, scheint erfolgreich zu sein. Zudem kritisiert er die Vertreibungen und Verbrechen der jugoslawischen Armee im Kosovo, die innerhalb der Anti-Kriegs-Bewegung sonst nur von den Anarchisten verurteilt werden. Er vermittelt damit glaubhaft sein Bemühen, im Einklang mit Serbien wie mit der EU nach einer Lösung für das Kosovo zu suchen - ohne sich dadurch in der Nato zu isolieren.