Im Schatten der Nato

Mission mit doppeltem Boden: Wie die OSZE-Beobachter im Kosovo zur Destabilisierungstruppe der Nato wurden

Tiziana Boari, renommierte italienische Journalistin und ehemalige OSZE-Beobachterin im Kosovo, klingt genervt: "Ich möchte wieder einmal was Schönes erleben und den Balkan vergessen. Aber das kann ich nicht." Die psychische Anspannung der jungen Frau ist verständlich: Im November 1998 kam sie als OSZE-Beobachterin nach Pristina und mußte schon bald feststellen, daß vom Traum der Befriedung einer ganzen Provinz wohl wenig übrig bleiben würde. "Die OSZE-Mission scheiterte daran, daß sie eigentlich bloß eine Schattenoperation der Nato war", erklärt sie. In der römischen Zeitschrift Limes beschrieb sie, wie "die Amerikaner die OSZE-Mission sabotiert haben". Gegenüber Jungle World drückt sie es so aus: "Die britisch-amerikanische Sektion hat die UCK protegiert. Wenn die Freischärler den Waffenstillstand gebrochen haben, den wir überwachen sollten, wurde das vom Head of Mission William Walker gedeckt."

Auch mit der OSZE-Zentrale in Wien spielte der schlaue Walker ein falsches Spiel: "Die Berichte in die Zentrale in Wien waren gesäubert. Dagegen wurden das Nato-Hauptquartier in Brüssel und das State Department in Washington in gesonderten Berichten über die tatsächlichen Vorgänge im Kosovo informiert."

Auf seinen direkten Draht nach Washington war Missionschef William Walker besonders stolz. Das wußte er auch durch kleine Gesten der transatlantischen Freundschaft zu belegen: Während nationale Flaggen an sämtlichen OSZE-Autos verboten waren, kurvte William Walker in seinem gepanzerten Off-Road-Gefährt mit wehenden Stars & Stripes herum.

Das aber kann man dem Mann nicht wirklich vorwerfen: Schließlich hat er den USA viel zu verdanken. Schon 1961 trat er in den diplomatischen Dienst ein und begann seine Karriere für die Vereinigten Staaten in Peru. Mitte der achtziger Jahre hatte er in den politischen Verwerfungen Mittelamerikas seinen ganz großen Auftritt: Als stellvertretender US-Botschafter in Honduras war er zumindest am Rande damit beschäftigt, die Contras im Bürgerkriegsland Nicaragua mit Waffen und ähnlichen Hilfsgütern zu versorgen. Im Bericht von Untersuchungsrichter Lawrence Walsh zur Contra-Affäre taucht der Name Walker häufiger auf. Auch in El Salvador tat sich Walker als Vollstrecker US-amerikanischer Interessen hervor: "Als US-Botschafter in El Salvador deckte er die wohl brutalsten politischen Morde in der westlichen Hemisphäre", schreibt das US-Magazin Covert Action Quarterly.

Politische Morde zu verhindern, gelang Walker und seiner Chaostruppe auch während des Kosovo-Einsatzes nicht. So erzählt Boari beispielsweise von einer eigenartigen Begegnung mit einem hohen serbischen Militär, der vor einem Blutbad warnen wollte: "Mitte Dezember 1998 wurden 36 UCK-Kämpfer an der albanischen Grenze von serbischem Militär hingemetzelt, weil man sie beim großangelegten Waffenschmuggel erwischte." Nach den Aussagen von Boari wäre dieses Blutbad zu verhindern gewesen: "Schon zwei Tage vorher kam ein hoher serbischer Militär zu mir und warnte mich, daß man von dem geplanten Schmuggel wisse und die OSZE-Beobachter eingreifen sollten, bevor es ein Massaker gebe." Boari leitete die Information an Walkers Büro weiter. Und nichts passierte. Nur der Tod von 36 Kosovo-Albanern war zu beklagen.

Das alles hat nichts mit einer Antipathie Walkers gegenüber der UCK zu tun. Vielmehr wollte Walker nach Vermutungen einiger ehemaliger OSZE-Beobachter die Situation eskalieren lassen, um dem Westen einen Vorwand zum Schlag gegen Jugoslawien zu geben. Die Nato scheine "ja gerade darauf zu warten", eine militärische Intervention umsetzen zu können, meinte schon im Januar der Vize-Präsident der OSZE-Versammlung, Willy Wimmer. Zudem hätten vor allem die USA und Großbritannien die UCK "ostentativ nach vorne geschoben" und damit die "europäischen Ansätze zur Streitbeilegung an die Wand geschmissen".

Als im kosovarischen Dorf Racak Mitte Januar mehr als 40 tote Kosovo-Albaner gefunden wurden, beschuldigte Walker vor Ort zwar recht flott serbische Einheiten, hier Zivilisten ermordet zu haben. Was immer dort auch geschehen ist, seine Untergebenen hätten die Sache verhindern können: Zwei OSZE-Teams waren am Tag des Massakers in unmittelbarer Nähe Racaks auf Streife. Eingegriffen haben sie nicht.

Dafür erfreute sich die UCK der freundlichen Kooperation der vermeintlichen Friedensbringer. Briten und US-Amerikaner packten gerne zu, wenn es darum ging, der UCK aus der Patsche zu helfen. Etwa mit High-Tech-Gerät: OSZE-Quellen aus Paris bestätigten gegenüber Jungle World, daß die OSZE bei ihrem Abzug aus dem Kosovo am 20. März Dutzende Satellitentelephone für die UCK im Kosovo zurückließ.

Allerdings waren das Alleingänge der britisch-amerikanischen Sektion. Und die war stark und trug zu einer Nationalisierung der internationalen Mission bei: "Es gab die Briten und US-Amerikaner und auf der anderen Seite die restlichen Staaten. Aber nur die Briten und Amerikaner hatten alle Fäden in der Hand", erzählt Boari. Da hatte die UCK natürlich auch keinen Grund mehr, sich zurückzuhalten. Was auch der kanadische OSZE-Beobachter Rollie Keith in einem Artikel für die kanadische Zeitung The Democrat bemerkte. Keith war Chef der Regionalmission in Kosovo Polje und mußte im Nachbardorf Donje Grobovac entdecken, daß es die UCK auf die industriellen Adern der Provinz abgesehen hatte. "Die UCK kidnappte die Arbeiter der dortigen Kohlenmine", erinnert er sich. All das führte zum Scheitern der OSZE-Mission. Obgleich: Ohne das doppelte Spiel Walkers wäre die Sache zu verhindern gewesen. "Ich glaube, es hätte eine diplomatische Alternative gegeben", sagt Keith.

Aber das Scheitern war einkalkuliert. So kursieren im Wiener OSZE-Hauptquartier Gerüchte, wonach die OSZE-Mission eigentlich auf einen Zeitraum von zwei Monaten ausgelegt war und man danach ohnehin mit einem Nato-Schlag rechnete. Daß Walker so lange brauchte, um die Situation zu destabilisieren, gilt wohl als Betriebsunfall. "Man hat der UCK auch niemals klar gemacht, daß sie die eigentlichen Terroristen sind", erinnert sich Boari.

Die Parteilichkeit der OSZE war offensichtlich. Heinz Loquai etwa, früherer Bundeswehrgeneral und für die OSZE in Wien direkt mit der Entwicklung im Kosovo befaßt, warf der Mission in der Berliner Zeitung eine "pauschale, einseitige Parteinahme" gegen die Serben und für die Kosovo-Albaner vor. Besonders was die Rolle Belgrads betrifft, kommt er zu anderen Schlüssen als die Führer der meisten Nato-Staaten: Die jugoslawischen "Behörden mahnten sogar eine schnellere Stationierung der OSZE-Mitarbeiter an, versprachen sie sich davon doch auch eine Kontrolle der UCK. Belgrad begann, seine militärischen und paramilitärischen Kräfte wie vereinbart abzuziehen." In dieser Situation jedoch sei die "UCK überall dort eingerückt, wo die Jugoslawen abgerückt waren". Dennoch habe es bis zum Beginn der Nato-Angriffe am 24. März "zweifellos Chancen für einen Frieden im Kosovo gegeben".

Doch Walkers Sache war der Frieden nicht - so wenig wie die Unparteilichkeit. Einen Sender "Freies Kosovo" wollte er in Montenegro aufbauen. Illusionen über den von der OSZE gepriesenen Pluralismus, eine ausgewogene Berichterstattung etwa, hätte man sich da gar nicht erst machen brauchen.

Kein Wunder, daß die Europäer ihn loswerden wollten.Als der US-Mann nach den Leichenfunden mit den ersten Vorbereitungen für den Abzug der Mission begann, brachten Deutschland, Italien und Österreich eigene Vertreter ins Gespräch: den ehemaligen deutschen OSZE-Generalsekretär Wilhelm Höynck sowie Chris Patten, den letzten britischen Gouverneur in Hongkong. Daß es nun ein Niederländer geworden ist - Daan Everts, bislang Leiter des OSZE-Büros in Tirana -, mag die Europäer freuen. Stärken freilich wird es die Organisation nicht: Nur noch zwischen 500 und 700 Beobachter sollen in die Provinz entsandt werden, die entscheidende politische Rolle spielen aber ohnehin die Vereinten Nationen.

Eigentlich war der Abzug der zivilen Beobachter schon nach Racak Mitte Januar ausgemachte Sache. Walker und seinem Führungsstab war an einer Verlängerung der OSZE-Mission nicht gelegen. So machten ihm kurz vor dem endgültigen Abzug einige Beobachter den Vorschlag, freiwillig in Pristina zu bleiben, um ein Nato-Bombardement zu verhindern und damit die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Auch Frankreich, so der Ex-Bundeswehrgeneral Loquai, habe vor einem Abzug gewarnt. "Aber die USA schienen ein militärisches Eingreifen schon vor den Rambouillet-Gesprächen fest im Blick zu haben."

Was wohl auch erklärt, warum Walker die Idee mit den menschlichen OSZE-Schutzschilden gar nicht gut fand. Wie sollte er das auch seinen zum Krieg entschlossenen Freunden in Washington erklären?

Statt der westlichen Beobachter blieben nach Beginn der Nato-Angriffe kosovo-albanische und serbische Wächter vor der OSZE-Zentrale in Pristina zurück, um diese zu bewachen. "Es war absolut lächerlich: Man gab ihnen OSZE-Käppchen und erklärte ihnen, nun die Stellung halten zu müssen", erinnert sich die ehemalige Missions-Sprecherin Beatrice Lacoste an die letzten Tage vor dem Abzug. Zumindest die Kosovo-Albaner sind jetzt tot - und die Serben inzwischen wahrscheinlich auch.