Skandal beim »stern«

Stalin-Orgel im »Tagesspiegel«

Hohn und viele schlechte Witze muß man über sich ergehen lassen, wenn man im Kollegenkreis als regelmäßiger Leser des Berliner Tagesspiegel gilt. Ebenso könnte man erklären, man verbringe seinen Sommerurlaub regelmäßig an der kroatischen Adriaküste. Oder daß man Maggi-Suppenwürze für eine kulinarische Entdeckung hält.

Daß man dennoch auf das traditionelle Westberliner Blatt zurückgreift, liegt weniger an seiner Qualität, sondern an seiner miserablen Konkurrenz. Und die gehört in erster Linie zum Gruner & Jahr-Imperium, das im Wettbewerb der Langeweile derzeit knapp in Führung liegt. Als Preis winkt der schöne Titel der "Hauptstadtzeitung".

Kein Wunder also, daß es sich der Tagesspiegel nicht nehmen ließ, den neuesten "Skandal" beim Gruner & Jahr-Flaggschiff stern auszuschlachten. Ein ganzes Reporter-Team wurde aufgeboten, um die Absetzung der beiden stern-Chefredakteure, Michael Maier und Oliver Herrgesell, farbenfroh zu schildern. Lang und breit erfährt man auf der Medienseite von vergangenem Freitag alle Einzelheiten über den dramatischen "Showdown" zwischen Redaktion und Chefetage. Der einstige stern der Konkurrenz, da sind sich die Autoren sicher, ist dem Untergang geweiht.

Führungslos sinkt die Auflage des Magazins in bisher unbekannte Tiefen. Und beschleunigt wird der Weg nach unten durch ein Arbeitsklima, wie es sonst nur vom Archipel Gulag berichtet wurde. Die Ex-Chefs hätten mit ihrer "rüpelhaften" und "arroganten" Art die Redaktion vergrätzt. Diese scheint es auch nicht besser verdient zu haben, führen dort doch die "Stalinisten" das Wort. So werden im Fachjargon die Traditionalisten bezeichnet, die jegliche Innovation verweigern. Und dabei sind ihnen alle Mittel recht.

Sogar angesichts des Todes kennen die verruchten Knechte Stalins keine Gnade. So kürzlich, als die Kollegen beigesetzt wurden, die für die Story "Todeszone Kosovo" ihr Leben gaben. Am Grabe witzelte die stalinistische Journaille, ob denn Chefredakteur Maier "wenigstens Orgel spielen könnte"; eine pietätlose "Spitze gegen den studierten Organisten", wie die Tagesspiegel-Redakteure sachkundig referieren.

Im stern sind also die Haifische unter sich: Auf der Chefetage nichts als Streit, Zank und Hader. Und auch auf den niederen Ebenen nur niederträchtige Intrigen. Wie schön, daß so etwas dem Tagesspiegel nie passieren kann. Mit seinen Sympathieträgern wie Hellmuth Karasek, die bekannt sind für ihre schrecklich gute Laune. Oder so grundseriösen Menschen wie dem Ex-Chefredakteur Walter Stützle - dem guten Geist aus dem Verteidigungsministerum, dessen Inspirationen auch weiterhin die Redakteure auf der Meinungsseite beflügeln.

So bleibt vermutlich den Autoren das bittere Ende erspart, das den stern-Mitarbeitern nun nach dem Niedergang ihrer Zeitung droht. Scheinbar zufällig wurden sie Zeuge, wie der ehemalige "sadistische Zuchtmeister", Ex-stern-Chef Werner Funke, auf einem Inlandsflug über seinen schlechten Sitzplatz lamentierte. Und live mußten sie miterleben, wie ihm die Stewardess einen frisch gepreßten Orangensaft versagte. Solche Demütigungen werden die Tagesspiegel-Autoren nie erleben. Auf den billigen Plätzen gibt es sowieso nur O-Saft aus der Tüte.