Wolfgang Petritsch

»Walker war ein Cowboy«

Wolfgang Petritsch ist österreichischer Botschafter in Belgrad und seit Oktober letzten Jahres EU-Sondergesandter für das Kosovo. Der Sozialdemokrat wurde am vorvergangenen Dienstag von den Staats- und Regierungschefs der EU als neuer Hoher Repräsentant für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina nominiert. Petritsch wird damit den Spanier Carlos Westendorp ablösen.

Der ehemalige stellvertretende Leiter der OSZE-Kosovo-Mission, Gabriel Keller, ist der Meinung, die Mission sei komplett gescheitert. Warum glaubt der Mann das?

Mein massiver Eindruck war, daß sich die Führungspersönlichkeiten nicht vertragen haben. Die Kombination des Franzosen Keller mit dem Cowboy William Walker war einfach eine sehr unsensible Entscheidung der OSZE. Da muß man die Gründe gar nicht so sehr im traditionellen französischen Anti-Amerikanismus suchen: Wenn man den Walker kennt, sieht man alle Vorurteile gegenüber Amerikanern bestätigt.

Ehemalige OSZE-Beobachter haben berichtet, es habe gesäuberte Berichte für die OSZE-Zentrale in Wien und andere Berichte für das State Department gegeben.

Wir haben ja diese Berichte in Belgrad auch bekommen und es ist eigentlich gängige Praxis, daß verschiedene Staaten von ihren Beobachtern eigene Reports erhalten haben. Ich bin davon überzeugt, daß die Amerikaner und Briten da ganz spezielle Berichte lesen konnten.

Könnte es sein, daß es innerhalb der Mission Parallelstrukturen gab?

Natürlich gab es informelle Parallelstrukturen, weil die Amerikaner und Briten mehr oder minder starke Eigeninteressen hatten. Die Zusammenarbeit von Amerikanern und Briten hat sicher hervorragend geklappt.

Aber das sind nicht die eigentlichen Probleme dieser Mission gewesen. Grundsätzlich dauerte die Implementierung der Mission viel zu lange. Bis zum endgültigen Abzug der OSZE-Leute aus dem Kosovo waren ja nur 1 400 der geplanten 2 000 Beobachter vor Ort. In Zukunft müssen wir für zivile Interventionen wie diese neue Strukturen schaffen - vielleicht unter dem Dach der Uno. Im Kosovo hatte diese Verzögerung zur Folge, daß die UCK recht rasch Positionen eingenommen hat, die planmäßig von der serbischen Armee geräumt wurden. Damit war auch schon der Kern für den nächsten Konflikt gelegt.

Keller schreibt in seinem Bericht auch, daß die serbische Öffentlichkeit überzeugt gewesen sei, die OSZE würde undercover für die Nato arbeiten. Die OSZE habe zudem nichts getan, um diesen Vorwurf zu entkräften. Kann man da noch konfliktverhütend arbeiten?

Ich würde diesen Vorwurf der OSZE nicht machen. Walker schon. Der Mann hatte eben aus seiner Zeit in Mittelamerika seine kolonialen Erfahrungen. Er ist eben ein Cowboy: Gutwillig, aber leider seiner Aufgabe nicht immer ganz gewachsen. Der Mann ist kein Intellektueller. Er war kein Anti-Serbe, das war ihm eher alles ganz egal. Keller dagegen ist der intellektuelle Typ mit einem gewissen Grundverständnis für die serbische Position. Als Franzose ist man eben davon überzeugt, daß der Staat das Recht hat, Terrorismus zu bekämpfen.

War die Wahl Walkers also eine personalpolitische Fehlentscheidung?

Das war eine personalpolitische Fehlentscheidung. Der Mann war vielleicht bemüht, hat aber die Komplexität der Situation überhaupt nicht begriffen. Dazu kam eben dieser Zwist mit Keller, die haben sich von Anfang an nicht verständigen können.

Die ganze Aktion war schlecht geplant. Vielleicht war Polen als damaliger Vorsitzender der OSZE auch überfordert. Die Amerikaner haben ihnen überall dreingeredet. Das habe ich selbst auch spüren müssen: Als Richard Holbrooke mit dem jugoslawischen Außenminister Jovanovic das Abkommen über die Implementierung der OSZE geschlossen hat, rief er mich erst danach an. Obwohl ich damals schon EU-Sondervermittler war. Dann kam ich mit dem russischen und dem polnischen Botschafter zu ihm, und er hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt: Wir Amerikaner stellen den Head of Mission, und die Europäer und die Russen könnten ja jeweils einen Stellvertreter für die Missionsleitung stellen.

Aber man muß auch den Europäern den Vorwurf machen, sich zuwenig engagiert, zuwenig mitgestaltet zu haben.

In dem Keller-Bericht taucht auch der Vorwurf auf, die Mission sei "exzessiv militarisiert" worden.

Es gibt eben eine Tradition der Amerikaner, Militärs in Zivilkleider zu stecken, das gleiche gilt auch für die Briten. Im Gegensatz zu anderen Militärs sind sie intellektuell dazu auch imstande, andererseits aber führt das natürlich zu einem Primat des Militärischen.

Die große Gefahr für einen Fortbestand des ohnehin fragilen Friedens im Kosovo kommt heute von der UCK. Ist ihr zu trauen?

Die UCK will eine Perspektive haben, eine Polizeitruppe zu werden. Ich halte das für sehr schlecht. Die UCK muß ganz einfach völlig entmilitarisiert werden und auch in ihrer Organisationsstruktur zur Gänze aufgelöst werden.

Da wird Hashim Thaqi aber keine große Freude haben.

Hashim Thaqi und die anderen Führer der UCK sind gar nicht so sehr das Problem. Die wissen, daß sie mitspielen müssen, um eine politische Perspektive zu haben. Für sie ist klar: Wenn ich da mitmache, werde ich mal Premierminister oder kriege irgendeinen anderen Posten. Aber was machen die vielen lokalen Kommandeure der UCK? Die müssen aus ihren Uniformen raus und wieder zurück in die Arbeitslosigkeit. Die können sich ihr UCK-Emblem zu Hause irgendwo aufhängen, wie die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr. Das war auch schon in Rambouillet das Problem. Da mußte Thaqi auch mit seinen Untergebenen verhandeln, bevor er schließlich das Abkommen unterschrieben hat.

Werden sich die lokalen Führer diesen Zwängen unterwerfen?

Natürlich ist keine Rebellenarmee der Welt so organisiert wie etwa die Armee eines regulären Staates. Andererseits haben wir schon in der Vergangenheit bemerkt, daß Thaqi sein Wort eigentlich oft halten konnte und daher wohl einen gewissen Durchgriff auf sein Fußvolk hat. Eine andere Frage aber ist, wieviel Brutalität hinter diesem Durchgriff steckt. Thaqi und sein Gefolge kommen natürlich nicht aus einem Mädchenpensionat, die wenden Brutalität auch gegenüber eigenen Leuten an.

Aber ich nehme schon an, daß er sich politisch gefügig zeigt, er will einfach ein glaubwürdiger Gesprächspartner bleiben. Säuberungen in den eigenen Reihen sind da sehr gut vorstellbar.

Was passiert denn mit einer UCK, die keine Organisation und keine Waffen mehr hat?

Wir haben Thaqi ganz klar gemacht, daß es keine Diktatur geben kann. Es muß eine klare Trennung zwischen zivilem Bereich und Militär geben. Man kann nicht Oberkommandierender und Minister gleichzeitig sein. Es gibt verschiedene Thesen zur Zukunft der UCK: Die einen sagen, sie wird sich zur Partei wandeln. Das aber glaube ich nicht. Es gibt ja innerhalb der UCK verschiedene Richtungen. Deshalb drängen wir auch die demokratischen Parteien im Kosovo, sich jetzt mehr einzubringen. Bislang wird das Bild von der UCK dominiert, das muß sich ändern.

Sie werden nun Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Ist die Situation in Bosnien mit der im Kosovo vergleichbar?

Die politische Lage in Bosnien-Herzegowina ist noch wesentlich komplizierter als jene im Kosovo. Wenn die Sfor-Truppen und die internationalen Verwaltungsbehörden heute aus Bosnien-Herzgewina weggehen würden, würde es morgen kein Bosnien-Herzegowina mehr geben. Es wird noch jahrelang dauern, bis Bosnien-Herzegowina ein einheitlicher Staat wird.

Welche Rolle spielt der ja immer noch virulente Separatismus der bosnischen Serben?

Ein Hoffnungsschimmer ist die Zurückhaltung, die die bosnischen Serben während des Kosovo-Konfliktes gezeigt haben. Dazu gibt es einige sehr gemäßigte serbische Politiker - wie etwa den Premier Milorad Dodik -, die es vielleicht schaffen, die ethnischen Schranken abzubauen. Meine Aufgabe wird es sein, positiv zu motivieren und ganz massiv Nachwuchspflege zu betreiben. Aber die Serben sind ja nicht das einzige Problem. Bedenklich sind auch kroatische Begehrlichkeiten: Da muß man sich leider eingestehen, daß die Ansprüche Kroatiens auf die Herzegowina nicht abflauen werden, solange in Zagreb Franjo Tudjman Präsident ist.

Ich werde versuchen, all diese politischen Teilungsbestrebungen durch eine Ankurbelung der Wirtschaft zu kompensieren. Wenn die bosnischen Serben einmal merken, daß sie mit dem anderen Landesteil gute Geschäfte machen können, wird es sie nicht mehr so nach einer Sezession gelüsten.