13 Jahre und ein Klimmt

Elf Monate, nachdem Oskar Lafontaine Saarbrücken verließ, verliert die SPD die Macht an der Saar. Und in Brandenburg wird die SPD nicht mehr alleine regieren

Es kam, wie es kommen mußte - die Sozis im Keller, die Neonazis obenauf. Überraschen konnte am vergangenen Wahlsonntag allenfalls noch das vergleichsweise niedrige Ergebnis für die Deutsche Volksunion (DVU) in dem Bundesland, das in der Liste rechtsextremer Übergriffe bundesweit stets unter den Top-Drei zu finden ist (Jungle World, Nr. 33/99): Mit 5,3 Prozent blieb die DVU in Brandenburg deutlich hinter den 12,9 Prozent zurück, die die Partei letztes Frühjahr in Sachsen-Anhalt gewonnen hatte.

Ein zweistelliges Ergebnis hatte sich noch im Vorfeld der Wahlen der brandenburgische DVU-Vorsitzende, Axel Hesselbarth, ausgerechnet, auch wenn ihm die Münchner Parteizentrale eine eigene Kandidatur nicht erlaubte: Zu DDR-freundlich sei die Haltung des früheren Unterfeldwebels der Nationalen Volksarmee (NVA), meinte DVU-Chef Gerhard Frey, der seine Kandidaten in und um den märkischen Sand herum persönlich auswählte - und schickte statt dessen Hesselbarths Frau Liane in den Wahlkampf. Die schaffte dann auch gleich im ersten Anlauf mit vier weiteren Kandidaten den Sprung in den Landtag.

Der ominöse, gesichtslose "Protestwähler" - da waren sich die Spitzenkandidaten von SPD, CDU und PDS einig - soll es mal wieder gewesen sein, der der DVU ihren Erfolg bescherte. Doch daß dieser deutsch prügelt und rechts denkt, hatten nicht nur Meinungsumfragen ergeben - auch Sozial- und Christdemokraten setzten im Wahlkampf auf ein "sicheres Brandenburg". Aber am Ende nutzte alles nichts: Ein SPD-Innenminister Alwin Ziel, der das Brandenburger Polizeigesetz in den letzten Monaten zu einem der schärfsten der Republik ausbaute und ein markiger Ex-Bundeswehrgeneral Jörg Schönbohm, der der Landes-CDU die Macht in Potsdam sichern sollte, genügten den Wählerinnen und Wählern in und um den märkischen Sand herum nicht. 58 225 Brandenburgerinnen und Brandenburger wollten sich auf ordnungspolitische Kopien nicht verlassen, sondern wählten gleich das rechtsextreme Original.

Klar ist nach dem SPD-Verlust von nahezu 15 Prozent der Wählerstimmen und ebensovielen Sitzen im Landtag eigentlich nur eins: Die Zeit der Alleinherrschaft von Ministerpräsident Manfred Stolpe ist vorbei. Wie an Wahlabenden üblich, ließ er zwar offen, ob das Land künftig allein von - roten wie rosaroten - Sozialdemokraten regiert oder ob in den nächsten vier Jahren auch Christdemokraten an der Macht beteiligt werden sollen. Doch mit den um den Zusatz "bis in die letzte Faser" erweiterten Rücktrittsworten Oskar Lafontaines "Das Herz schlägt links" zeigte Stolpe zumindest auf, woran es gelegen haben könnte. Möglicherweise sei die Kritik am Sparkurs von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu lasch ausgefallen: "Vielleicht hätten die Menschen eine deutlichere Sprache besser verstanden."

Die seiner Arbeits- und Sozialministerin Regine Hildebrandt vielleicht? Auf die programmatische Nähe von SPD und PDS, vor allem im sozialen Bereich, hatte sie vor einer Woche hingewiesen, wovon sie am Sonntagabend freilich nichts mehr wissen wollte. Die zweite Regierungsbeteiligung nach Mecklenburg-Vorpommern schon im Blick, zeigte sich PDS-Fraktionschef Lothar Bisky da weniger wählerisch: "Wenn es ein Signal der SPD in Richtung auf mehr soziale Gerechtigkeit gibt, sind wir zur Regierungsbeteiligung bereit. Wenn nicht, machen wir fröhliche Opposition".

Was der CDU-Landesvorsitzende Jörg Schönbohm auf keinen Fall will: "Jetzt wird nicht lustig opponiert, sondern hart regiert." Doch vielleicht ahnte er schon, worauf Stolpe mit seinem Lafontaine-Zitat möglicherweise anspielte: auf eine von der PDS tolerierte SPD-Regierung nämlich. Schönbohm: "Eine SPD-Minderheitenregierung zu tolerieren wäre eine Verhohnepipelung der Wähler."

Das sieht die SPD-Parteispitze anders. Während sich Schröder "traurig und enttäuscht" zeigte, gab das Präsidium Stolpe freie Hand, was die Wahl des künftigen Koalitionspartners anbelangt. Zumindest eines hat sich seit dem Regierungsantritt von Rot-Grün geändert: die Angst der Sozialdemokraten davor, daß Rote-Socken-Kampagnen der CDU ihnen die Macht im Bund kosten könnten. Seitdem die PDS in Schwerin mitregiert und das Magdeburger Tolerierungsmodell sich auch fünf Jahre nach seiner Gründung nicht als das realpolitisch schlechteste Verwaltungskonzept für den Osten herausgestellt hat, ist die Furcht der Parteiführung vor allzuviel Nähe zu den Postsozialisten geschwunden. Am Ende bleibt den Herren im Berliner Willy-Brandt-Haus auch nichts anderes übrig. Mit jeder verlorenen Mehrheit in den Ländern verliert auch Rot-Grün im Bund an Macht: Durch den Verlust der Alleinherrschaft in Potsdam verschiebt sich das bundespolitische Entscheidungszentrum einmal mehr in Richtung Vermittlungsausschuß - und durch den CDU-Gewinn der absoluten Mehrheit im Saarland erst recht.

Ausgerechnet im Stammland Oskar Lafontaines bereitete die Saar-CDU mit ihren Spitzenkandidaten Peter Müller der SPD nach vierzehn Jahren Alleinregierung die bitterste Niederlage. Und das, obwohl Ministerpräsident Reinhard Klimmt - von den verbliebenen Sozialstaatsbewahrern innerhalb der SPD schon als möglicher innerparteilicher Nachfolger Lafontaines gehandelt - mit Kritik am Schröder-Sparkurs nicht gespart hatte.

Schröder selbst dürfte der Machtverlust an der Saar gar nicht so ungelegen kommen, wie die meisten Kommentatoren am Wahlabend und in den Montagszeitungen meinten. Er, der nie ein Freund von Rot-Grün war, kann nun im Grunde mit jener Konstellation regieren, die ihm schon nach der Bundestagswahl die liebste gewesen wäre: eine große Koalition zumindest in der Länderkammer, die ihm helfen wird, den linken Parteiflügel und die Gewerkschaften weiter im Zaum zu halten. Der Kanzler dürfte während der SPD-Präsidiumsssitzung am Wahlabend nicht darauf verzichtet haben, darauf hinzuweisen, daß es erst Klimmt und Stolpe waren, die mit ihrer Kritik am rotgrünen Sparkurs das "SPD-Sommertheater" in Gang brachten.

Dem designierten SPD-Generalsekretär, Ex-Verkehrsminister Franz Müntefering, wird es so noch leichter fallen, die Genossinnen und Genossen auf Schröder-Kurs zu halten. Denn mit der Niederlage Klimmts und der bevorstehenden Ablösung des letzten Saarländers an der Parteispitze - Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner - war der Wahlsonntag vor allem eine Niederlage für die Lafontaine-Anhänger in der SPD. Und, was Schröder beim Regieren noch mehr nutzen dürfte, eine Schlappe für den kleinen Koalitionspartner: In Brandenburg, wo Parteisprecherin Gunda Röstel wochenlang für einen grünen Aufschwung Ost geworben hatte, schaffte sie das Schlüpfen unter die Zweiprozenthürde und im Saarbrücken den doppelten Salto aus dem Parlament. Wofür Kriege alles gut sein können.