Anschlag auf die Jugendgeschichtswerkstatt

Berlin as usual

Diesmal war es eine Begegnungsstätte. Die Jugendgeschichtswerkstatt des Vereins "Miphgasch" (hebräisch für Begegnung), untergebracht in einem ausrangierten S-Bahn-Waggon am Anhalter Bahnhof, wurde am Dienstag letzter Woche bei einem Brand völlig zerstört. In dem Waggon hatten Jugendliche eine Ausstellung mit dem Titel "Für Juden verboten" über die Ausgrenzung von Juden während des Nazi-Regimes gezeigt.

Wie immer geht die Polizei nicht von einem antisemitischen Anschlag aus, sondern "ermittelt in alle Richtungen". Ende letzter Woche war den Ermittlern zumindest soviel klar: Es war ein Brandanschlag. Aber da die Zerstörungen so verheerend sind, wird wahrscheinlich nicht einmal ermittelt werden können, wie es zu dem Brand kam. Der Staatsschutz wird sich freuen.

Wie immer hat auch dieser Anschlag eine Vorgeschichte. Steinwürfe gegen den Waggon, eine Schmiererei "Wir fahren nach Polen, um Juden zu versohlen" und diverse Einträge im Gästebuch belegen, daß Leute die Ausstellung registriert haben, die zumindest Kontakt zu "gewaltbereiten" Nazis pflegen.

Doch wie immer werden wohl auch in dieser Sache die Ermittlungen in einigen Monaten eingestellt: So wie kurz zuvor die wegen des Bombenanschlags auf das Grab von Heinz Galinski; so wie die wegen der Anschläge auf das Denkmal in der Großen Hamburger Straße; so wie die wegen der Zerstörungen auf den jüdischen Friedhöfen in der Schönhauser Allee und in Weißensee.

"Mich kann nichts mehr überraschen." In der Mischung von Abgeklärtheit und Selbstaffirmation ist dieser Satz zugleich Feststellung und - oft wiederholt - Beschwörungsformel. Seine desperate Aussage: Nicht der Skandal, sondern die Reibungslosigkeit des Vollzuges überrascht. Daß es keine Überraschung ist, ist die Überraschung. Die zur Kunstform entwickelte Fähigkeit des Berliner Staatsschutzes, den oder die Täter nicht zu finden, kann nicht überraschen, sollte aber doch Erstaunen hervorrufen.

Das politische Interesse, die Existenz eines gewalttätigen Antisemitismus zu leugnen, weil er nicht zum Selbstbild der Berliner Republik paßt, amalgamiert auf unheimliche Weise mit dem Ressentiment selbst, welches der Boden für solche Anschläge ist und den möglichen Täterkreis unbestimmbar macht. Letzteres verhindert auch, daß der Staatsschutz Täter präsentiert: Solange man glaubt, die Ziele solcher Anschläge hätten selbst irgendeinen Anlaß dazu gegeben, sie anzugreifen, müßte man sich eigentlich zuerst selbst in Verdacht haben.