Synthetisierte Gesellschaft

Jay Denham wandelt sich vom Black Nationalist zum Techno-Universalisten

Techno kommt aus Detroit, House aus Chicago. So lehrt es die Geschichte; und Jay Denham, so lehren es die biographischen Angaben, kommt aus Kalamazoo, einem Kaff auf halbem Weg dazwischen. Dort ist er geboren, und dort lebt er mittlerweile wieder, nachdem er Detroit den Rücken zugekehrt hat.

Detroit, Chicago. "Synthesized Society", sein neues Album, scheint das Vakuum zwischen dem harten, industriellen Sound Detroits und dem eher funklastigen Klängen des House-Städtchens Chicago zu füllen. Andererseits geht es aber um mehr, nämlich um den Mythos Detroit, aus dem sich immerhin seit knapp einem Jahrzehnt Musikjournalisten und Poptheoretiker aus aller Welt immer wieder aufs neue mystische Theorien basteln, die Techno einen bestimmten Sinn verliehen.

Also: Detroit. Dorthin zog es Denham Mitte der Achtziger und dort jammte er zusammen mit seinem Kumpel Antony Shakir auf einem Keyboard und einer Drum-Machine. Ihnen gelangen Sounds, die Derrick May auf sie aufmerksam machten, einen zentralen Protagonisten der ersten Generation Detroiter Technoproduzenten. Er installierte Denham genau dort, wo in dieser Phase der neue Sound entstand: zwischen Jeff Mills, Mike Banks, Robert Hood und Juan Atkins. Hier ging es nicht einfach nur um Musik, sondern darum, unter Zuhilfenahme von Science-fiction, militanten Posen, Elija Muhammad-Lektüre und kompromißlosem Techno-Gebolze etwas Neues zu generieren. Techno wurde explizit linksradikal politisch und dazu dezidiert "schwarz". Die Mitglieder von Underground Resistance etwa traten vermummt auf und reckten die Fäuste in Black-Power-Manier. Die Straße, der HipHop-Claim, der von dieser Musik immer wieder aufs neue verhandelt wurde, spielte fast keine Rolle, im Gegenteil, er wurde bereitwillig aufgegeben, um den Blick nach oben zu richten. Von dort sollte das Gute kommen. Das war natürlich alles andere als neu, sondern koppelte sich an eine lange Tradition afro-amerikanischer Vorstellungen von rettenden Schiffen und Raumgleitern.

In Titeln, Gedichten, Cover-Gestaltungen und Künstlernamen der Detroiter konnten Anleihen wiedergefunden werden, die bereits in anderen Musikstilen wie P-Funk (George Clintons "Mothership Connection") oder im Free Jazz genutzt wurden. Bei Elijah Muhammad etwa war es ein im Namen Allahs gebautes Kriegsschiff, das bei der großen Entscheidungsschlacht zum Einsatz kommen werde. Bei Free-Jazz-Orchesterleiter Sun Ra erschien es als ein Transportmittel, das sowohl Astronauten in eine neue Kolonie führen könnte als auch gleichzeitig ein mit Aliens besetztes Ufo, das "Feinde unserer Feinde transportiert, die unsere Freunde sein könnten". Als Treibstoff ging Ra von Musik aus, die Kanzel war ein Mischpult, im Maschinenraum saßen seine Musiker.

Bei all dem spielte Jay Denham gerne mit. Unter dem Namen "Fade II Black" unterlegte er seine brachialen Technoklänge mit den mystischen bis radikalen Konzepten. Doch 1992 kehrte Denham zurück nach Kalamazoo. Denn die scheinbar homogene und sich an ähnlichen Idealen orientierende Techno-Community von Detroit entpuppte sich nach innen als längst nicht so solidarisch und freundschaftlich, wie es von außen den Anschein hatte. Denham bekam Gelder nicht, die ihm eigentlich zugestanden hätten und mußte beobachten, wie vormalige Alliierte sich plötzlich anders verhielten, als sie es jahrelang propagiert hatten.

Es war nicht nur das Geld als des Übels Wurzel, das Jay Denham zum zeitweiligen Rückzug aus dem Musikgeschäft bewegte. Es war auch der verwunderte Blick in die Detroit glorifizierenden und heiligsprechenden Medien und auf die überall auftauchenden, von Inhalten oft entleerten und in der reinen Pose erstarrten Zeichen dessen, was sich einstmals als Aufbruch verstanden hatte.

Hier setzte Denham mit der Gründung von Black Nation Records an. Er brach sein musikalisches Schweigen und äußerte sich nationalistisch-radikal zur "alltäglichen, rassistischen Gewalt, die Amerika heimsuchte", weit weniger subtil und mystisch als andere Detroiter Technokünstler. Er formulierte Weisheiten, die ihm "seine Mutter mitgegeben hat".

Ein Versuch, der aber scheiterte, weil der Detroiter Techno seine Hauptabsatzmärkte eben doch in Europa hat. Dieses Projekt verkörperte Detroit zwar immer noch in einer gradlinigen und schnörkellosen Sound-Ästhetik, es machte aber bereits deutlich, was Denham am Detroiter Modell störte: Das Spiel mit politisch korrekten Posen, um Marktlücken zu schließen.

"Escape To The Black Planet", sein erstes Album, folgte auf dem Münchner Disko B-Label und symbolisierte zwar nochmals seine Nähe zu den Theorien Elijah Muhammads, die mit wütenden Tracktiteln wie "War Dance, The Battle, Black Planet" weiter betoniert wurden, und die im zu kolonisierenden All das Heil einer von Vorurteilen verletzten schwarzen Community suchten. Als Visionen taugten sie jedoch nicht mehr.

"Synthesized Society" nun schreibt die bisher formulierten Ziele um und zeigt gleichzeitig eine völlige Abkehr vom Spirituellen und vom Nationalismus. Der harte schwarze Mann hat sich zum Techno-Universalisten gewandelt. Back on earth geht es Denham 40 Jahre nach den ersten astro-amerikanischen Entwürfen Sun Ras und zwanzig Jahre nach dem Höhepunkt des P-Funk um anderes, ohne allerdings diese Einflüsse zu verleugnen. Doch Denham will nicht mehr weg. Die Maschinen sind da, und anstelle sie zur Flucht zu benutzen, kann man sich, in einer Fortschreibung des Mensch-Maschine-Projekts von Kraftwerk, mit ihnen verbinden. Vor der Maschine sind alle gleich.

Im ersten Stück auf dem neuen Album, "Pride (It's Time)", verwendet Denham in der sonst nonverbalen Technomusik, ein durchlaufendes Sprachsample, "White power, black power, is that the right power?", und verweist einerseits auf die Motive einer befreiten Gesellschaft, bringt sie direkt aus der Box wieder zurück auf die Straße und schaut andererseits in das früher so laute Detroit zurück, wo bereits seit längerem Ruhe eingekehrt ist.

Und dieser Entwurf ist notwendigerweise nicht mehr visionär. Vielmehr verändert er nuancenhaft bisher formulierte Thesen. Denham stellt seine musikalischen wie kulturellen Quellcodes, ähnlich der immer weiter wachsenden Linux-Betriebssystemgemeinschaft, zur Verfügung und läßt jeden, der etwas hinzuzufügen vermag, am synthetischen Gesellschaftskonstrukt weiterbasteln, bis es nicht mehr nötig ist, mit roten "Riot-Pullovern" und Atari Teenage Riot-Tattoos deutlich zu machen, worum es eigentlich geht - um eine Befreiung von traditionellen Wertmustern nämlich.

Jay Denham: "Synthesized Society". Disko B / Efa